Zwei Männer, vertieft in eine Schachpartie. Ein leises Spiel, ein stilles Bild – aufgenommen 1843, vor mehr als 180 Jahren. Dieses Foto gilt als die älteste bekannte Aufnahme von Menschen beim Schach. Interessant ist es nicht nur für Schachfreunde, auch für Technikhistoriker: Es wurde auf Papier aufgenommen – mit einer Methode, die es erstmals erlaubte, Fotos zu vervielfältigen.

Zur selben Zeit hatte sich ein anderes Verfahren durchgesetzt: die Daguerreotypie. Sie war nach dem Franzosen Louis Daguerre benannt, der Anfang 1839 seine Technik öffentlich vorstellte. Seine Bilder auf versilberten Kupferplatten waren gestochen scharf, aber jede Aufnahme war ein Unikat – Vervielfältigungen nicht möglich.
William Henry Fox Talbot (1800–1877), ein englischer Naturwissenschaftler und Universalgelehrter, hatte Jahre zuvor an einem anderen Ansatz gearbeitet. Bereits 1835 war ihm die erste Papierfotografie gelungen. Doch statt seine Methode zu veröffentlichen, konzentrierte er sich zunächst auf andere Studien. Erst als er von Daguerres Präsentation erfuhr und um seine Erfindung fürchtete, ging Talbot an die Öffentlichkeit.
Sein Verfahren beruhte auf dem sogenannten Negativ-Positiv-Prinzip: Zunächst wurde ein lichtempfindliches Papier belichtet. Es entstand ein seitenverkehrtes Negativ. Dieses diente als Vorlage für beliebig viele Positive. Damit war die Fotografie auf Papier geboren. Bis zum Aufkommen der Digitalfotografie um die Jahrtausendwende blieb sie der Standard.

Talbot war kein Berufsfotograf. Als vielseitig gebildeter Gelehrter und Mitglied der Royal Society experimentierte er ab 1834 mit chemischen Methoden, um Bilder haltbar zu machen. Sein Antrieb war zunächst ganz persönlich: Auf seiner Hochzeitsreise am Comer See versuchte er, Landschaften zu zeichnen – und war frustriert von den eigenen Ergebnissen. Statt besser zu zeichnen, wollte er lieber die Kamera für sich arbeiten lassen.

Mit Salzen, Silbernitrat und viel Geduld entwickelte Talbot eine Methode, mit der sich Bilder dauerhaft auf Papier festhalten ließen. Sein erstes Negativ – das Gitterfenster seines Hauses in Lacock Abbey – stammt aus dem Sommer 1835. Seine Technik nannte er später „Calotype“ (vom Griechischen „kalos“ – schön). Sie ermöglichte bald Aufnahmen mit Belichtungszeiten von unter einer Minute und damit sogar Porträts.
Auch das Schachfoto stammt aus dieser Zeit. Es zeigt vermutlich Talbots Assistenten Nicolaas Henneman und den Fotografen Antoine Claudet bei einer Partie. Ganz sicher ist das nicht: Die Aufnahme ist nicht signiert, und sie unterscheidet sich in Format und Papierart von Talbots typischen Arbeiten. Manche Forscher vermuten daher, dass sie in Claudets Studio entstand und später über Henneman in Talbots Besitz gelangte.

Was sicher ist: Talbot wählte seine Motive auch danach aus, ob sie stillhalten konnten – eine Notwendigkeit bei langen Belichtungszeiten. Schachspieler waren dafür ideal. Talbot fertigte mindestens zehn Aufnahmen mit Schachmotiven an. Die Aufnahme oben mit den beiden Männern am Brett ist die bekannteste davon – und ein Symbol für die Zeit, in der Fotos von Unikaten zu vervielfältigbaren Medien wurden.
Dass sich Talbots Verfahren gegenüber der Daguerreotypie langfristig durchsetzte, lag genau daran: Seine Bilder konnten vervielfältigt werden. Daguerres Methode dagegen blieb trotz höherer Bildqualität technisch eine Sackgasse. Talbots Schachfoto ist nicht nur ein kulturgeschichtliches Kuriosum, sie repräsentiert auch eine mediale Revolution – eingefroren im Schwarzweiß einer Salzpapieraufnahme.
Aus welchem Jahr stammt das erste Foto, auf dem man “die” Schachstellung auf dem Brett erkennt?