Wenn ein Amerikaner und ein Russe Schach spielen, 1972 zumal, ist das mehr als ein Spiel. “Even this little thing with me and Spassky is sort of a microcosm of the whole world political situation”, sagt Bobby Fischer gleich zu Beginn der nach diesem Satz benannten BBC-Dokumentation – ein Schlüssel zur Deutung eines Spiels, das zum Stellvertreterkonflikt des Kalten Krieges wurde. Und zur Selbstdeutung eines Mannes, der Schach nicht spielte, sondern lebte.
Reykjavik, Island
Ein karger Ort. Grau. Einsam. “This is Reykjavik, Iceland. It’s an empty, lonely place. Hardly anybody ever comes here”, sagt BBC-Reporter James Burke. 1972 rückt die Insel ins Zentrum der Weltöffentlichkeit. Beim “Match des Jahrhunderts” begegnen sich zwei Männer, die gegensätzlicher kaum sein könnten – und dennoch im selben Spiel, auf denselben 64 Feldern dieselbe Obsession teilen.
Die BBC zeigt Fischer als getrieben, verschlossen, kompromisslos. “You either consider him the greatest chess player who ever lived or the most arrogant man you’re ever likely to meet”, sagt Burke über den Menschen, der von Kindheit an dem Spiel verfallen ist. Fischer: “I started playing games with myself… eventually I would checkmate the other guy. I almost always won.”
Früh fühlt Fischer sich als der Beste. “If it’s true, it’s not arrogant.” Die Doku lässt ihn ausführlich sprechen. Über seine Kindheit, über russische Schachbücher, über das frühe Gefühl, betrogen worden zu sein. Seine Abneigung gegen sowjetische Spieler ist nicht nur politisch, sondern persönlich. “The first time the Russians ever mentioned me… they said all this publicity he’s getting is sure to do damage to his character.”
Was folgt, ist eine jahrzehntelange Geschichte von Misstrauen, Verschwörung und Trotz. “I wrote an article: ‘The Russians cheated at chess.'” Der Vorwurf: Absprachen, manipulierte Partien, gezielte Belastung. Die Doku gibt Raum für Fischers Sicht – und lässt Weggefährten wie Bent Larsen und Svetozar Gligoric ergänzen. Larsen erinnert sich, wie Fischer in einem Match gegen Michail Tal zuerst einen Zug aufschrieb, Tal ihn las, Fischer dann einen anderen Zug spielte – und verlor. “That loss helped his bitterness grow.”
Über Boris Spasski erfährt das Publikum weniger direkt. Gligoric zeichnet ein Bild des disziplinierten, innerlich wachen Meisters mit “poker face”. Spassky sei “a very intelligent man” mit feinem Gespür für kritische Momente. Seine Stärke: das Gleichgewicht erkennen – und kippen.
Fischer erkennt das an. Aber er sagt auch: “If you play aggressive chess, like black did here, you can take even a very strong player pretty easily.”
Fischer lebt in Hotelzimmern, spielt gegen sich selbst, lernt Partien auswendig. “He literally lives for chess.” Die Kamera zeigt einen Mann, der in Isolation Perfektion sucht. “I like to meet people, but I don’t like to meet 80 people at a shot.”
Ein Leben außerhalb des Spiels scheint für ihn kaum denkbar. “I always say to myself, what else can I do? Nothing.”
Für Fischer geht es um mehr als den Titel. “I felt all along that I’ve been the best. But especially to the general public… it’d be nice to show the Russians, too.” Dass er am Ende doch spielt, ist keine Selbstverständlichkeit. Er unterschreibt zehn Minuten vor Ablauf der Frist.
Sein Ziel: gewinnen – und danach endlich Ruhe. “I’m going to be working just as much… but I’m not going to have so much of a hassle with day-to-day things.”
Die BBC-Dokumentation zeigt keinen Helden und keinen Schurken. Sie zeigt einen Mann im Ausnahmezustand. Getrieben, brillant, streitbar. Und ein Spiel, das auf einmal die Welt bedeutet.
Am Ende sagt Fischer, er habe Angst vor der Leere nach dem Sieg. “It’s going to be a bit of a problem… but I’ll worry about that when I get there.”
Der Rest ist Geschichte.