Planen statt Panik: Josefine Heinemann über die “Krise”

Nach der enttäuschenden Europameisterschaft 2025 sieht Nationalspielerin Josefine Heinemann die deutschen Frauen nicht in einer akuten Krise, wohl aber in einer lange anhaltenden Stagnation. In einer ausführlichen Videoanalyse erklärt Heinemann, warum die jüngsten schlechten Ergebnisse kein Grund für Panik sind – und was sich langfristig ändern müsste, damit es nachhaltig besser wird.

Josefine Heinemann mit einer 17-minütigen Bestandsaufnahme.

Heinemann beginnt mit einer begrifflichen Klärung: Eine Krise sei laut Definition eine zeitlich begrenzte Phase massiver Störung. Genau das treffe hier nicht zu. Schlechte Turniere einzelner Spielerinnen – wie zuletzt bei der EM – gebe es immer wieder. Sie selbst habe direkt vor dem Turnier eine Performance von 2500 Elo gehabt (Sieg beim Großmeisterinnen-Turnier in Serbien), dann aber deutlich unter ihren Möglichkeiten gespielt. Solche Schwankungen seien im Sport normal.

Um die Situation einzuordnen, hat Heinemann die internationalen Resultate der vergangenen 25 Jahre untersucht:

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  • World-Cup-/WM-Teilnahmen: 14 deutsche Teilnahmen seit 2000, davon allein zehn von Elisabeth Pähtz.
  • Olympiaden: Seit 2010 stagnierende Resultate. Es gab drei Top-10-Platzierungen seit 2000, eine davon in jüngster Vergangenheit 2022.
  • Team-EM: Zwei der besten drei Ergebnisse seit 2000 erzielten die Frauen in den Jahren 2021 und 2023.

Seit der Jahrtausendwende sieht Heinemann mehr oder weniger konstante Ergebnisse.

Was Heinemann als kritisch empfindet: In 25 Jahren sei es nicht gelungen, eine zweite Spielerin auf dem Niveau von Elisabeth Pähtz in Deutschland auszubilden. Drei der fünf IM in der deutschen Rangliste der Frauen seien erst im Erwachsenenalter nach Deutschland gekommen – ein deutlicher Hinweis auf fehlende systematische Förderung.

Langfristige Nachwuchsförderung sieht Heinemann als zentrale Stellschraube. Die Nationalmannschaft könne man nicht „einfach besser erwarten“, ohne etwas am Fundament zu ändern. Sie schlägt vor:

  • Mehr Breite: Je mehr Mädchen Schach spielen, desto höher die Chance, Talente zu entdecken.
  • Langfristige Trainingsgruppen: Erfolgreiche Beispiele gibt bzw. gab es – die „Prinzengruppe“ bei den Männern (u. a. Blübaum, Donchenko, Svane) und die private Trainingsgruppe um Pähtz, gegründet seinerzeit nicht vom DSB, sondern von Thomas Pähtz.
  • Kontinuität und Geduld: Ergebnisse solcher Modelle zeigen sich erst nach vielen Jahren.

Trotz Fokus auf Jugendförderung plädiert Heinemann dafür, die bestehende Nationalmannschaft weiter zu unterstützen. Drei von fünf gut aufgelegte Spielerinnen könnten bei der Team-EM jederzeit für ein starkes Ergebnis sorgen. Sonderförderungen hält sie nicht zwingend für nötig – aber Unterstützung sei wichtig.

Heinemanns Fazit: Keine Krise – aber auch kein Fortschritt. Josefine Heinemann fordert nicht Panik, sondern Planung. Ihr Appell: „Wenn man alles macht wie immer, aber andere Ergebnisse erwartet, ist das naiv.“ Der Weg zu einer stärkeren Nationalmannschaft führt über systematische, langfristige Förderung – und über die Bereitschaft, Strukturen zu verändern.

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Gerhard Lorscheid
Gerhard Lorscheid
6 Tage zuvor

Wie viele Spieler haben es im Alter über 25 noch geschafft signifikant besser zu werden, vor allem wenn sie schon vorher viel Zeit investiert haben? Es gibt sehr seltene Beispiele unter speziellen Bedingungen wie Yermolinsky. Insofern halte ich die hier geäußerten Hoffnungen für utopisch. Geld gewinnt nicht.
Umgekehrt kenne ich mehr Spieler, die es mit Gewalt versucht haben, aber eine harte Grenze nie überschritten haben. Mehr oder weniger Talent, das ist die Frage.

Ingo Althöfer
Ingo Althöfer
6 Tage zuvor

Im deutschen Schach gibt es, glaube ich, ein viel größeres Problem als das Frauenschach: das Sterben vieler kleiner Vereine. Ullrich Kraus hatte 2017 vor seiner Wahl zum DSB-Präsidenten darauf hingewiesen, dann aber im Amt nichts dazu gemacht. Durch Corona ist das Problem nochmals verschärft worden.

Kommentierender
Kommentierender
5 Tage zuvor

“Drei der fünf IM in der deutschen Rangliste der Frauen seien erst im Erwachsenenalter nach Deutschland gekommen – ein deutlicher Hinweis auf fehlende systematische Förderung.”

Das halte ich für völlig aus der Luft gegriffen.
Warum sollte mehr Förderung mehr Titelträgerinnen hervorbringen?
Wenn Talent und Leistungsbereitschaft fehlen, kann die beste Förderung nichts bewirken. Da nutzt es nichts, den Schwarzen Peter dem DSB zuzuschieben.

acepoint
acepoint
4 Tage zuvor

Reflektierte und quantitativ/qualitativ differenzierende Analyse inklusive nachvollziehbarer Lösungsvorschlägen, der ich voll zustimme. Da sich einige der Kommentierenden an Einzelschicksalen abarbeiten: Habt Ihr das Video gesehen oder den zusammenfassenden Text hier überhaupt vollständig gelesen? Der Deutsche Schachbund hat ca 86.000 Mitglieder, davon etwa 10% weiblich. Auch ohne Studium der Statistik sollte doch eigentlich klar sein, dass in einem um den Faktor 10 kleineren Pool auch weniger Talente schlummern. Wenn nun auch die systematische Talent- bzw. Spitzenförderung hintenan steht, kann das Ergebnis doch nur so sein, wie es gerade ist. Zum Schluss auch von mir etwas anekdotische Evidenz: ich betreue 7 Grundschul-AGen… Weiterlesen »

Last edited 4 Tage zuvor by acepoint
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Peter
Peter
6 Tage zuvor

langfristige Förderung – und über die Bereitschaft, Strukturen zu verändern.
Denke man soll die Beiträge nochmal um 2 EUR anheben.
Oder man bittet die Vereine zur Kasse und zahlt für jeden Legionär ab dem 4. Brett eine Entwicklungsgebühr. Das die Breitensportler alles Finanzieren geht nicht.

Thomas Richter
Thomas Richter
5 Tage zuvor

“Drei der fünf IM in der deutschen Rangliste der Frauen seien erst im Erwachsenenalter nach Deutschland gekommen”. Das stimmt zwar, aber alle waren keine “importierten IMs” sondern zugereiste Spielerinnen, die sich dann zum IM entwickelt haben. Dinara Wagner kam mit zuvor maximal 2350 nach Deutschland, dann eine Weile ca. 2320 und dann verbesserte sie sich auf IM-Niveau (2400+) und bekam den Titel – auch alle drei Normen nach dem Verbandswechsel. Die “russische Schachschule” (falls es sie noch gibt) brachte sie bis auf Niveau damals Brett 2-5 der deutschen Nationalmannschaft, aktuell Brett 3-5 oder ohne Paehtz wieder 2-5 – der Rest… Weiterlesen »