Erich Honeckers Schachcomputer

Als Erich Honeckers Nachlass 1994 in Bad Oldesloe versteigert wurde, sorgten nicht nur die zahlreichen Erotikfilme des ehemaligen DDR-Staatschefs für Aufsehen. Zwischen Kuckucksuhren, Leninbüsten und Jagdtrophäen stand ein unscheinbarer schwarzer Kasten – Honeckers persönlicher Schachcomputer vom Typ SC 2, gebaut im VEB Funkwerk Erfurt, später VEB Mikroelektronik „Karl Marx“ Erfurt.

Der Honecker-Vermerk mit einem SC-2-Schachcomputer. Der Computer im Hintergrund ist nicht das Honecker-Gerät, sieht aber genauso aus: ein handelsüblicher SC 2 ohne Extras, wie er beim DDR-Chef stand. | via schachcomputer.info

Ein amtlicher Vermerk zeigt die Herkunft des Schachcomputers. Am 6. März 1990 wurde das Gerät beschlagnahmt – im Zuge der Ermittlungen gegen den „Beschuldigten Honecker“. Es steht auf Position 46 der Liste der sichergestellten Gegenstände.

Der SC 2, gebaut von 1981 bis 83, war das zweite und letzte Serienmodell eines Schachcomputers aus der DDR, gefertigt von zehn Arbeiterinnen am Fließband. Vorgänger war der heute extrem seltene SC 1, ebenfalls ab 1981 in sehr kleiner Stückzahl gebaut und heute kaum noch zu finden. Beide Geräte entstanden in Erfurt.

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Technisch war der SC 2 — typisch DDR — eine Mischung aus Eigenleistung und Nachbau westlicher Technik. Die Hardware basierte auf einem Nachbau des im Westen verbreitetsten 8-Bit-Prozessors Z80. Die Software war eine modifizierte Version des legendären US-Programms Sargon 2.5, entwickelt von Dan und Kathe Spracklen, die in den frühen 1980ern für den US-Schachcomputer-Hersteller Fidelity programmierten. Die Fidelity-Geräte mit Spracklen-Software gewannen Anfang der 1980er vier Mikro-Weltmeister-Titel, bevor 1985 die Siegesserie der in Deutschland hergestellten Mephisto-Schachcomputer begann.

“Den Sozialismus in seinem Lauf, halten weder Ochs noch Esel auf”: Am 14. August 1989, drei Monate vor dem Mauerfall, bekommt Erich Honecker ein Exemplar des neuen 32-Bit-Prozessors U80701 ausgehändigt. Auch diese vermeintliche Entwicklung war in Wirklichkeit ein Nachbau eines Prozessors des US-Herstellers DEC. | Foto via Bundesarchiv

Mit seiner nachgebauten Hardware und der geklauten Software erreichte der SC 2 in etwa die Spielstärke eines schwächeren Vereinsspielers. Für den DDR-Markt wäre er ein technisches Highlight gewesen, war aber für normale Bürger kaum zu bekommen – und wenn doch, dann kaum zu bezahlen. Kostenpunkt: 2180 Mark der DDR — rund drei Monatsgehälter.

Eines dieser Geräte landete 1985 in Erich Honeckers Wohnzimmer. Der SED-Chef spielte dort regelmäßig gegen den SC 2. Honeckers Enkel Roberto Yanez (Wikipedia) berichtete später der Bild, dass Honecker oft Schach mit ihm spielte, gern begleitet von einer Büchse Bier. Der SC 2 als Gegner dürfte dem schachlich nicht allzu versierten Staatsratsvorsitzenden mehr Frustration als Erfolgserlebnisse beschert haben.

Ein Rückblick auf die selbsternannte Hightech-Nation DDR, in der von Damenschlüpfern über Autoreifen bis Bananen fast alles Mangelware war (für Abonnenten).

Der SC 2 war ursprünglich als Devisenbringer gedacht. Etwa 1000 Geräte wurden gebaut. Rund 90 Prozent der Produktion sollen in den Export gegangen sein, meist über westliche Zwischenhändler. Besonders in West-Berlin wurden viele Geräte auf Wochenmärkten verkauft, oft an Schachvereine.

Schachcomputer waren gefragt, und die Idee, damit Devisen zu verdienen, war im Prinzip gut, kam aber zu spät, und die volkseigenen Geräte waren der Konkurrenz nicht gewachsen. In den 1980ern lieferten sich längst mehrere westliche Hersteller einen erbitterten Kampf um den boomenden Markt. Obwohl die DDR ihren Schachcomputer auf diversen Messen im Westen präsentierte, wurde daraus nie ein Geschäft.

Made in DDR: der Chess-Master-Schachtisch. | via chesscomputeruk.com

Trotzdem erschien 1983/84 mit dem höherwertigen, in der Substanz ebenfalls geklauten Chess-Master ein weiteres Gerät, das es später sogar in einer Edel-Version als Schachtisch gab, von der nur zehn Exemplare gebaut wurden. Im Wettbewerb mit der westlichen Konkurrenz sah der Chess-Master bei der Mikro-WM 1983 nicht gut aus: Platz 16 unter 18 teilnehmenden Maschinen, 2 Punkte aus 7 Partien.

Erich Honecker blieb bis zu seiner Entmachtung im Oktober 1989 bei seinem SC 2. Einen Chess-Master-Schachtisch mit handgeschnitzten Figuren und automatischer Figurenerkennung, heute ein extrem seltenes Sammlerstück, soll er seinem kubanischen Schachfreund Fidel Castro geschenkt haben, eine vielfach überlieferte Geschichte, von der nicht sicher ist, ob sie stimmt.

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Auf beiden Seiten der Mauer waren Schachcomputer in den 1980ern ein großes Thema. Die Deutschen im Westen waren verrückt danach. Denen im Osten fehlte die Gelegenheit, es zu werden.

Vom Politbüro in die Vitrine

Nach Honeckers Sturz wurde sein persönlicher SC 2 im Rahmen der Nachlassversteigerung 1994 angeboten. Peter Lemcke, Leiter des Deutschen Spielemuseums in Chemnitz, sicherte sich das Gerät für kleines Geld. Heute steht es dort in einer Glasvitrine – und erinnert an ein ganz eigenes Kapitel Schachgeschichte: Ein Staatschef, der regelmäßig gegen seinen Schachcomputer verlor, ein Gerät, das ganz wesentlich eine Kopie der Technik des Klassenfeinds war.

Die Wundermaschine – Höhepunkt (und Ende) einer Ära: Nur zehn Stück gebaut, Entwicklungskosten mehrere 100.000 Mark, Stückpreis 15.000 Mark. 1993 wollte Mephisto den besten Schachcomputer bauen, den es je gegeben hatte. Es entstand die “Wundermaschine”.
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Sven (Zeitzeuge)
Sven (Zeitzeuge)
2 Tage zuvor

Der Artikel beinhaltet leider Fehler. Der SC2 war selbstverständlich nicht das letzte Serienmodell und man konnte ihn auch ganz normal kaufen in der DDR. Wer, wie ich, auf dem Bau arbeitete, hatte das Geld dafür in zwei Monaten zusammen (die Wohnungsmiete betrug 42,50 Mark!). 1987 kam der CHESS MASTER diamond, als Nachfolger des CHESS MASTER in den Volkseigenen Handel der DDR. Ich erwarb den SC2 und später den diamond, verlor aber schnell das Interesse. Man musste mindestens 10 Minuten auf einen schwachen, aber zumindest sinnvollen, Antwortzug warten. Empfehle https://de.wikipedia.org/wiki/Schachcomputer_in_der_DDR Dort wird auch ein anderer US Programmierer genannt als hier für… Weiterlesen »