Der Schach-Weltverband FIDE hat den ukrainischen Großmeister Kirill Shevchenko mit einer weltweiten Sperre von drei Jahren belegt. Das gab die Organisation jetzt bekannt. Der 22-Jährige hat bei der spanischen Mannschaftsmeisterschaft im Oktober 2024 versucht zu betrügen. Die Ethik- und Disziplinarkommission (EDC) der FIDE sah es als erwiesen an, dass Shevchenko ein Handy in einer Toilette versteckt hatte, um damit Zugriff auf die Online-Plattform Lichess zu erhalten. Wie jetzt chess.com berichtete, ist Shevchenko auch dort wegen eines Fair-Play-Verstoßes gesperrt.

Nach Beschwerden seiner Gegenspieler Francisco Vallejo Pons und Bassem Amin wegen der häufigen Toilettenbesuche Shevchenkos fand ein Mitglied des Organisationskomitees in einer Toilettenkabine ein Mobiltelefon, dazu eine handschriftliche Notiz: “Nicht anfassen! Dieses Telefon liegt hier, damit der Besitzer nachts rangehen kann.” Die Organisatoren konfiszierten das Telefon und schlossen die Kabine ab. Später sahen sie, wie Shevchenko versuchte, die abgeschlossene Kabine zu betreten, während er eine andere, freie Toilette nicht benutzte.

Shevchenko wurde vom Turnier ausgeschlossen und eine Woche später im Rahmen einer Untersuchung des Fair-Play-Teams der FIDE mit einer Sperre von 75 Tagen belegt. Die Sperre wurde anschließend verlängert, während das EDC-Verfahren noch lief. Seit dem Ausschluss aus dem spanischen Wettbewerb hat Shevchenko nicht mehr gespielt. Einen Monat später sperrte chess.com sein Konto wegen eines Fair-Play-Verstoßes. Dort spielte er zuletzt am 8. Oktober 2024.
Ein Gutachten des Antibetrugsexperten Kenneth Regan zeigte jetzt “keine signifikanten Auffälligkeiten” in Shevchenkos Partien. Dennoch gab der Spieler zu, das Handy auf der Toilette deponiert und damit auf Lichess zugegriffen zu haben, nicht aber, dass er per Engine seine laufenden Partien analysierte. Und das vermochte ihm jetzt die FIDE nicht nachzuweisen. Partieauswertungen blieben nach Angaben der Ermittler im Rahmen statistischer Normalwerte.

Die Ethikkommission stellte fest, dass bereits der Versuch des Betrugs eine Verletzung des FIDE-Disziplinarkodex’ darstellt. In ihrer Entscheidung betonte sie: „Betrug ist eine existenzielle Bedrohung für Schachwettbewerbe und muss streng geahndet werden. Schon der Versuch des Betrugs ist verwerflich und muss hart bestraft werden.“
Trotzdem fiel das Strafmaß milder aus als von der Fair-Play-Kommission (FPL) gefordert. Diese hatte zusätzlich die Aberkennung des GM-Titels gefordert, was das Gremium ablehnte. Die EDC führte mehrere mildernde Umstände an: Shevchenko hatte die Tat schnell gestanden, mit den Ermittlern kooperiert, zuvor keine Disziplinarstrafen erhalten und war laut eigenen Angaben durch Drohungen und psychische Belastungen angeschlagen. Er hatte angegeben, seine geistige Stabilität sei durch Morddrohungen beeinträchtigt gewesen.
Die Sperre wurde rückwirkend zum 19. Oktober 2024 verhängt und gliedert sich in zwei Teile:
- Zwei Jahre effektive Sperre bis zum 18. Oktober 2026
- Ein Jahr auf Bewährung, gültig bis Oktober 2027
In dieser Zeit darf Shevchenko weder an offiziellen FIDE-Turnieren noch an Online-Events unter FIDE-Regelwerk teilnehmen.
Fair-Play-Kommission erwägt Berufung
Die FIDE Fair-Play-Kommission zeigte sich enttäuscht über das Urteil. Ihr Vorsitzender Andrew Howie erklärte: „Diese Entscheidung erscheint zu milde und steht nicht im Einklang mit unserer Null-Toleranz-Politik.“ Die kommission prüfe derzeit, gegen das Urteil Berufung einzulegen.
Shevchenko hatte sich über seinen Anwalt um eine einjährige Sperre bemüht und betont, er habe zwar einen Betrugsversuch unternommen, diesen aber nicht ausgeführt. Die Kommission ließ dieses Argument nicht gelten – der Versuch allein reiche für eine Verurteilung.
Einer der besten Nachwuchsspieler Europas
Kirill Shevchenko wurde am 22. September 2002 in Kiyv geboren. Mit 14 Jahren wurde er Internationaler Meister, ein Jahr später, 2017, Großmeister. In seiner Jugend gehörte er als regelmäßiger Teilnehmer an Welt- und Europameisterschaften zu den vielversprechendsten Talenten der Ukraine. 2018 gewann er die U16-Weltmeisterschaft im Schnellschach. Im selben Jahr wurde er ukrainischer Blitzmeister. In der Schachbundesliga ist er seit 2021 für den SV Werder Bremen gemeldet. In der laufenden Saison hat er noch keine Partie für Bremen gespielt.

Seinen bislang größten sportlichen Erfolg feierte Shevchenko 2021, als er mit der ukrainischen Nationalmannschaft die Team-Europameisterschaft gewann. Mit 5,5 Punkten aus 8 Partien trug er maßgeblich zum Titel bei. Im Februar 2022 erlebte er in seiner Heimatstadt Kyiv den Überfall Putin-Russlands auf die Ukraine und den Versuch, die ukrainische Hauptstadt einzunehmen.

Wenig später wechselte Shevchenko zum rumänischen Schachverband. Seither spielte er unter rumänischer Flagge in internationalen Turnieren und vertrat Rumänien auch bei der Schacholympiade. Vor seiner Sperre galt er als einer der besten Nachwuchsspieler Europas. Mit einer Elozahl von 2653 liegt er auf Rang 75 der Weltrangliste.

(Titelfoto: Mark Livshitz/ECCC)