Der 17-jährige US-Student Eddy Xu hat eine Brille entwickelt, die es ermöglicht, beim Schach zu betrügen. Gemeinsam mit seinem Freund Caden Li modifizierte Xu Anfang 2025 während eines Hackathons eine Exemplar der “Meta Smart Glasses” von Ray Ban. Die modifizierte Brille nimmt das Schachbrett auf, überträgt die Bilder an eine App, die mithilfe von Stockfish die besten Züge berechnet. Diese werden der Spielerin oder dem Spieler durch die in die Brillenbügel integrierten Lautsprecher angesagt.

Die Reaktionen auf diese Entwicklung waren gemischt. Während einige die technische Raffinesse bewunderten, äußerten andere, der selbsternannte Anti-Cheating-Detektiv Vladimir Kramnik allen voran, Besorgnis über die möglichen Auswirkungen auf die Integrität des Spiels. Kramnik forderte sogleich die Entwicklung neuer Anti-Betrugs-Systeme, um solchen technologischen Hilfsmitteln entgegenzuwirken.
Eddy Xus Brille ist gleichwohl nur ein Ausblick auf das, was kommen mag. Als Betrugswerkzeug taugt sich noch nicht. In ihrer gegenwärtigen Form mit der nicht zu übersehenden Kameralinse an der Front würde sie auffallen. Sie während einer Partie zu tragen, wäre ohnehin ein Regelverstoß. Elektrische Geräte jeder Art sind am Brett verboten.
Der Student betonte in Interviews, dass sein Hauptziel darin bestehe, das Bewusstsein für mögliche Betrugsmethoden zu schärfen und zur Entwicklung besserer Erkennungssysteme beizutragen. Er sieht in der Augmented Reality (Wikipedia) großes Potenzial, insbesondere in der Bildung. Er möchte mit seiner Erfindung positive Impulse setzen.
Das wollten auch die Harvard-Studenten Anhphu Nguyen und Caine Ardayfio, als sie Ende 2024 Meta-Ray-Ban-Smartbrillen so modifizieren, dass sie Gesichter erkennen und persönliche Informationen über fremde Personen aus dem Internet abrufen können. Möglich war das durch eine Kombination aus Live-Videoübertragung, Gesichtserkennung über die Plattform PimEyes (Wikipedia) und automatischer Datensuche in öffentlich zugänglichen Quellen wie Wählerregistern. Das Projekt mit dem Namen „I-XRAY“ sollte auf Datenschutzrisiken aufmerksam machen, löste aber weltweit Kritik aus. Datenschützer warnen vor Missbrauch durch Kriminelle oder Stalker.

Smart Glasses haben sich seit den 1960ern von klobigen Prototypen zu modernen Alltagsgeräten entwickelt. Heute bieten sie Funktionen wie Augmented Reality, freihändige Kommunikation, Foto- und Videoaufnahme sowie Fitness-Tracking. Die Technik ist schon alltagstauglich. Künftig sollen KI-Funktionen wie Objekterkennung (analog zum Schach-Experiment) und Übersetzungen hinzukommen. Herausforderungen bleiben: Datenschutz, Akkulaufzeit und Design. Das Potenzial ist riesig, die Missbrauchsgefahr auch.

Im Schach ist technologiebasierter Betrug nicht neu. Der Fall des Clemens Allwermann, der sich am Brett von einem Helfer Computerzüge durchsagen ließ, hat gerade 25-jähriges Jubiläum gefeiert. Der bulgarische Spieler Borislav Ivanov wurde 2012/13 verdächtigt, ein Gerät in seinem Schuh zu verstecken, um während der Partien Unterstützung zu erhalten. Obwohl keine direkten Beweise gefunden wurden, führten die Umstände 2014 zu seiner Suspendierung.
Ein prominentes Beispiel war der lettische Großmeister Igors Rausis, der 2019 während eines Turniers in Straßburg mit einem Mobiltelefon auf der Toilette erwischt wurde. Er gestand den Betrug, verlor seinen Großmeistertitel und wurde für sechs Jahre von FIDE-Turnieren ausgeschlossen. Das Mobiltelefon auf der Toilette ist und bleibt der Klassiker beim Schachbetrug. Unlängst hat die FIDE die Sperre des ukrainisch-rumänischen Großmeister Kirill Shevchenko verlängert. Shevchenko hatte während der spanischen Mannschaftsmeisterschaft mutmaßlich sein Mobiltelefon auf der Toilette deponiert.

Verglichen mit diesen Fällen stellt die von Eddy Xu entwickelte KI-Brille eine neue Dimension des möglichen Betrugs dar. Solche Geräte mit integrierter KI und Augmented Reality werden in Zukunft unauffällig getragen werden können. Auch wenn die Brille jetzt als Betrugswerkzeug noch nicht taugt, unterstreicht sie doch die anhaltende Herausforderung für den Sport, seine Integrität zu schützen.