Die Odyssee eines Mittelmäßigen

„Schach ist schön genug, um sein Leben damit zu verschwenden.“ – Dieses Zitat des niederländischen Großmeisters Hans Ree begleitet Stephen Moss seit seiner tiefen Auseinandersetzung mit dem Spiel. Als Journalist, langjähriger Redakteur beim Guardian, war er stets von einem Thema zum nächsten gesprungen. Moss wollte endlich „ein wahrer Experte in einer Sache“ werden. Und diese “Sache” sollte Schach sein. Moss tauchte ein in die Schachszene und erkundete eine Welt, die ihn bis heute fasziniert, die ihn geprägt und verändert hat.

Seine Reise führte ihn nach Moskau, Wijk aan Zee und New York, wo er gegen ambitionierte Amateure spielte, legendäre Turniere besuchte und schließlich sogar Bobby Fischer traf. Diese Erlebnisse verarbeitete er in seinem Buch The Rookie, das 2016 erschien und seine vierjährige Odyssee durch die Schachwelt beschreibt. Darin erzählt er von den Höhen und Tiefen des Lernens, von Niederlagen und kleinen Erfolgen – und davon, wie es ist, einem Ideal nachzujagen, das immer außer Reichweite bleibt.

Stephen Moss’ Schachreise war eine Suche nach Meisterschaft – und endete mit der Erkenntnis, dass wahre Exzellenz wenigen vorbehalten ist. Schach, so sagt er im Interview (für Abonnenten), bringt einem nicht bei, besser zu leben, sondern zeige eher, wer man wirklich ist. Am Ende hat er nicht den Gipfel erklommen, aber er hat eine Welt kennengelernt, in der viele leben – und doch nie wirklich ankommen.

Denn Schach lehrt nicht unbedingt, ein besserer Mensch zu werden. „Ich bin immer noch ein schlechter Verlierer“, gestand er jetzt im Gespräch mit Spiegel-Redakteur Florian Pütz (für Abonnenten). Wer am Brett erfolgreich sein wolle, müsse nicht nur strategisch denken und taktisch kalkulieren. Meisterschaft im Schach bedürfe einer gewissen Härte: „Am Brett heißt es: Töten oder getötet werden.“ Ein “Mangel an Bösartigkeit” sei einer der Gründe, warum er selbst nur ein mittelmäßiger Spieler geblieben ist.

Werbung

Schach ist mehr als der Wettkampf- und Turnierbetrieb. Rund um Schach hat sich eine eigene Kultur gebildet, eine alternative Realität mit eigenen Regeln und Menschen, die oft außerhalb der „normalen Welt“ stehen. „Schach erteilt dir keine Lektion fürs Leben, es lehrt dich eher, dich von der Welt fernzuhalten“, sagt Moss.

Viele starke Spieler seien Suchende, Individualisten, die sich gegen einen konventionellen Lebensweg entschieden haben. So wie Keith Arkell, der einst im Bus saß, auf dem Weg zu seinem ersten Arbeitstag – und entschied, stattdessen sein Leben dem Schach zu widmen. Oder Daniel Gormally, der als Möbelpacker 100.000 Pfund Schaden anrichtete und feststellte, dass er für die normale Welt einfach nicht gemacht war.

Als ich Stephen Moss nach einem Interview frage, antwortet er schnell: »Vielleicht könnten wir währenddessen eine Partie spielen.« Gut, denke ich, er hat das Schach immer noch nicht aufgegeben. Trotz allem. Das stimmt mich hoffnungsvoll.

Florian Pütz (@flopuetz.bsky.social) 2025-03-18T17:13:19.181Z

Moss begab sich während seiner Midlife-Crisis auf eine Odyssee durch die Schachwelt. Er spielte in New York, Wijk aan Zee und Moskau. Heute sagt er: »Schach lehrt dich, dich von der Welt fernzuhalten.«

Florian Pütz (@flopuetz.bsky.social) 2025-03-18T17:13:19.182Z

Wir redeten über die eigenwilligen Persönlichkeiten in der Schachwelt: »Das sind kluge Leute, aber sie passen nicht in die gewöhnliche Welt.« Stephen erzählte von seiner Begegnung mit Bobby Fischer und wir sprachen darüber, was man vom Schach fürs Leben lernt.

Florian Pütz (@flopuetz.bsky.social) 2025-03-18T17:13:19.183Z

Für Moss ist Schach nicht mehr die Obsession, die es einmal war. Er spielt kaum noch Turniere, übernimmt aber viel Verantwortung in seinem Verein Kingston Chess. Die Arbeit mache Spaß, könne aber sehr anstrengend sein: „Gute Schachspieler sind Individualisten. Das ist, als würde man versuchen, eine Gruppe Katzen zu hüten.“

Ob Schach ihn letztlich verändert hat? Vielleicht, sagt Moss, aber sicher nicht so, wie er es sich erhofft hatte. Sein Buch endet mit dem Bild einer Gipfelbesteigung – doch in Wahrheit, gesteht er heute, stecke er immer noch im Basislager fest und suche den richtigen Weg nach oben.

Stephen Moss macht sich in The Rookie daran, die Geheimnisse des Schachs zu ergründen und das Geheimnis der anhaltenden Anziehungskraft des königlichen Spiels zu lüften. Was, so fragt er, ist die Essenz des Schachspiels? Und was wird er auf seinem Weg über seinen eigenen Charakter erfahren? Mit einer greifbaren Heiter- und Boshaftigkeit, die Neulinge erfreuen und Puristen irritieren wird, stellt sich Moss die Welt als ein Brett vor – und bereist sie. In 64 Kapiteln liefert er einen bissigen Bericht über die Welt des Schachs. Moss’ Bestreben, das Schachspiel zu verstehen und ein besserer Spieler zu werden, ist eigentlich ein Versuch, einem lebenslangen Dilettantismus zu entkommen. Er will ein Experte in einer Sache werden. Was werden die Konsequenzen sein, wenn er erkennt, dass er zum Scheitern verurteilt ist? Mosch trifft Fischer, Kasparow, Carlsen, Aronian – und verliert so oft gegen Kinder, dass er es kaum ertragen kann. Trotzdem wird Moss Meister von Surrey, gewinnt Turniere in Chester und Bury St. Edmunds und kämpft wacker in Wijk an Zee (bis zu einem Zusammenbruch in der letzten Runde). Im Spiel sucht er nach spiritueller Erfüllung, findet aber vor allem mentale Folter.
3.9 8 votes
Article Rating
Werbung

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

0 Comments
Most Voted
Newest Oldest
Inline Feedbacks
View all comments