„Ich habe wahrscheinlich das Asperger-Syndrom, das typisch ist für leicht exzentrische Genies. Nicht, dass ich selbst ein Genie wäre”, sagt David Navara – und erklärt: “Menschen mit Asperger konzentrieren sich oft intensiv auf ein bestimmtes Feld, etwa Schach oder Mathematik. Das kann ihnen helfen, darin sehr gut zu werden. Gleichzeitig fällt es ihnen oft schwer, andere Menschen zu verstehen.“ Diese Einsicht offenbarte der tschechische Großmeister jetzt im Gespräch mit Sagar Shah von ChessBase India, der anlässlich des Prager Schachfestivals Navara daheim besuchte.
Der tschechische Großmeister, geboren am 27. März 1985 in Prag, hält mit 13 nationalen Meistertiteln den Rekord in seinem Heimatland. Als Sechsjähriger erlernte er das Schachspiel und machte schnell auf sich aufmerksam. Zwischen 1993 und 1995 gewann er mehrfach die tschechischen Jugendmeisterschaften und errang internationale Erfolge, etwa als Dritter bei der U14-Weltmeisterschaft 1997 und Vizeweltmeister U16 im Jahr 1998. Im Alter von 14 Jahren wurde er 1999 Internationaler Meister, ehe er 2002 den Großmeistertitel erhielt. In der Schachbundesliga spielt Navara für den SV Mülheim-Nord. In der Saison 2024/25 hat er bislang 3 Punkte aus 4 Partien erzielt.

Eiserne Disziplin brauchte Navara nicht, um zu einem Großmeister der Weltklasse (Elo-Bestwert 2751) zu werden. „Ich musste nicht ständig Schach studieren, um Meisterschaften in meiner Altersklasse zu gewinnen oder zur Olympiade zu fahren. Ich habe mich viel mit Schach beschäftigt, aber aus Liebe zum Spiel. Es war nie ein Opfer.“ Navara war und ist Schachspieler aus Leidenschaft: „Schach bedeutet für mich sehr viel. Es ist mein Beruf, mein Hobby und eine Möglichkeit, mich selbst zu verwirklichen.“
Seinen sportlichen Weg sieht er realistisch: „Ich wollte nie unbedingt in die Top 10 gelangen. Ich hatte zwar das Potenzial, habe das aber nicht voll ausgeschöpft.“ Unter anderem sein Studium der Logik an der Karls-Universität Prag, das er 2010 mit dem Master abschloss, stand noch größeren Schach-Erfolgen im Weg. Gleichwohl findet sich in der Liste derjenigen, die Navara besiegt hat, fast die komplette Weltelite, Ding Liren etwa, Fabiano Caruana oder Levon Aronian.
Früh zeigte sich Navaras Leidenschaft für Bücher, geprägt von seinem Vater, einem Mathematiker, und der Mutter, einer Zahnärztin. In Navaras Haus in Prag türmen sich nicht nur Schachbücher in mehreren Reihen, Werke in Tschechisch, Englisch und Russisch. Seine Sprachkenntnisse entwickelte er eher zufällig. Weil der Deutschkurs an seiner Schule voll war, musste er mit 15 Jahren Russisch lernen. Dies erwies sich, Bobby Fischer lässt grüßen, als Vorteil für den angehenden Schachprofi: „Russisch war damals für das Schach enorm wichtig, da die Sowjetunion zu jener Zeit die führende Schachnation war.“ Heute liest er Schachliteratur am liebsten auf Reisen, denn zu Hause „bin ich nicht sehr organisiert.“
Mit dem slowakischen Großmeister und Autor Ján Markoš schrieb Navara das Buch „The Secret Ingredient“. „Er schlug die Struktur vor, ich teilte meine schachlichen Einsichten. Er schreibt besser, aber ich bin der stärkere Spieler – so ergänzten wir uns perfekt.“ Ein weiteres eigenes Werk, „My Chess World“, erschien nach langer Schreibpause, ausgelöst durch die Pandemie, erst 2024. „Die Struktur schien mir zwischendurch abstrakt und schwierig. Erst Anfang 2024 konnte ich mich wieder motivieren und das Buch abschließen.“


Navaras Entwicklung wurde von zahlreichen Trainern und Sekundanten geprägt, etwa vom legendären Großmeister Luděk Pachman, vom Internationalen Meister Josef Přibyl, dessen Endspielwissen Navara besonders schätzt, oder dem Großmeister Igor Štohl, der ihm half, seine Eröffnungsvorbereitung zu verbessern. Besonders hebt er seine langjährige Zusammenarbeit mit Großmeister Pentala Harikrishna hervor. Der in Prag lebende Inder habe ihm geholfen, seine Herangehensweise in der Eröffnung zu professionalisieren.
David Navaras Offenheit und Ehrlichkeit machen ihn zu einer Ausnahmeerscheinung in der Schachwelt. Navara beschreibt sich selbst als ehrlichen, authentischen Menschen: „Ich sage meistens die Wahrheit und spreche offen darüber, was ich fühle.“ Online-Trolls gelassen zu ignorieren, fiel ihm lange schwer, aber er sei darin besser geworden.
Mit bald 40 Jahren ist für David Navara der Herbst seiner Karriere als Schachprofi nicht fern. „Ironischerweise arbeite ich heute mehr an meinem Schach als früher. Wahrscheinlich spiele ich auch besser als früher – aber das Niveau ist insgesamt stark gestiegen, und auch die Konkurrenz hat sich verbessert. Es wird immer schwieriger, die Gegner in der Eröffnung zu überraschen.“
Navara will weiterspielen, vermehrt Schach960. Das gebe ihm frischen Schwung gibt, da „die Eröffnungstheorie immer mehr zur Last geworden ist“. „Ich spiele gerne Fischer Random und freue mich, dass Freestyle Chess populärer wird. Manche Startpositionen sind vielleicht etwas merkwürdig, aber ich mag sie. Es ist schön, ohne die Last der Eröffnungstheorie kreative Partien zu spielen.“
David Navara ist ein sehr starker Spieler, sein Buch my Chess World habe ich gelesen und kann es nur wärmstens empfehlen.
Ich stelle mal eine Frage, deren Antwort ich nicht weiß: Tun sich Schachmeister mit Asperger-Syndrom mit dem Chess960 tendenziell leichter als solche ohne Asperger-Syndrom?