“Politisch erforderlich, moralisch geboten” – Generalmajor Christian Freuding

Angesichts der allgegenwärtigen Unsicherheit über die künftige Unterstützung der Ukraine durch die USA unter der neuen Regierung von Donald Trump rät Generalmajor Christian Freuding zur Gelassenheit. Der Leiter des Planungs- und Führungsstabes im Verteidigungsministerium stellt fest, dass die von der Biden-Regierung beschlossenen Hilfen vorerst weiterlaufen. Entscheidend ist aus Freudings Sicht, den Dialog mit der neuen US-Regierung zu suchen: „Wir werden dann versuchen, diesen Dialog wieder zu versachlichen.” Freuding sieht die Perspektive, einen Weg zu finden, “wie wir gemeinsam die ukrainischen Streitkräfte weiter unterstützen“.

Generalmajor Christian Freuding im Interview auf dem YouTube-Kanal der Bundeswehr.

Könnte Europa die Ukraine auch ohne die USA unterstützen? Freuding stellt klar, dass Europa und Kanada bereits mehr als 60 Prozent der Unterstützung leisten. Vor allem bei der Munition stelle Europa mit 80 Prozent den Hauptanteil. Zwar gebe es einzelne Waffensysteme, die nur die USA liefern können, aber Freuding hält es für möglich, dass Europa einen noch größeren Beitrag übernimmt, wenn der politische Wille vorhanden ist. Freuding hält Unterstützung für die Ukraine für “politisch erforderlich und moralisch geboten”.

Und Frieden? „Natürlich sehnen sich alle nach Frieden und niemand mehr als die Ukrainerinnen und die Ukrainer. Aber wir müssen doch alles daransetzen, dass es auch einen dauerhaften, einen gerechten Frieden geben kann. Einen Frieden, in dem die Ukraine selbstbestimmt ihren Weg geht.“ Ein Frieden darf nach Freudings Einschätzung nicht zu Russlands Bedingungen geschlossen werden: „Russland darf nicht belohnt werden für seinen Völkerrechtsbruch.“ Ein Friedensabkommen müsse sicherstellen, dass die Ukraine ihre Souveränität behält:

Werbung

Die militärische Lage Anfang 2025

Die Ukraine ist nach Freudings Angaben entlang der gesamten Frontlinie in der Defensive, während Russland offensive Operationen durchführt. „Der Schwerpunkt der russischen Angriffsoperationen ist im Zentral-Donbass, insbesondere im Raum um Pokrowsk. […] In Pokrowsk wird zunehmend versucht, die ukrainischen Streitkräfte von der Versorgung abzuschneiden und dadurch Pokrowsk zum Fall zu bringen.“ Im Süden und Norden seien die Frontlinien weitgehend stabil.

In Kursk halten die ukrainischen Streitkräfte noch etwa 30 bis 40 Prozent der Gebiete, die sie im Sommer 2024 erobert haben. Dies entspricht etwa 300 bis 400 Quadratkilometern. In dieser Region sind bis zu 60.000 russische Soldaten gebunden. Russland setzt speziell im Raum Kursk weiterhin nordkoreanische Soldaten in den Kämpfen ein. „Wir gehen davon aus, dass das zwischen 11.000 bis 12.000 nordkoreanische Soldaten waren.” 3.000 bis 4.000 seien gefallen oder schwer verwundet worden. Freuding sieht Hinweise, dass weitere nordkoreanische Kontingente nach Russland verlegt werden.

“YouTube-General” und “Social-Media-Star” (für Abonnenten) trifft es insofern, als Christian Freuding sich wohltuend von anderen Social-Media-Stars abhebt – und der Sachlichkeit und Klarheit seiner Analysen eine gewisse Popularität verdankt. Einen Social-Media-Account hat er, so weit ersichtlich, nicht.

Über die genauen ukrainischen Verluste gibt es keine gesicherten Zahlen, auch nicht für die Bundeswehr. Freuding geht von einer sechsstelligen Zahl aus. Auf russischer Seite liege die Gesamtzahl der Gefallenen und Verwundeten, die dauerhaft nicht mehr einsatzfähig sind, bei etwa 800.000.

Um den Personalbedarf zu decken, hat die Ukraine das Rekrutierungsalter auf 25 Jahre gesenkt. Seit kurzem gibt es eine weitere Initiative zur Gewinnung von Freiwilligen zwischen 18 und 24 Jahren. Neue Anreize sind unter anderem die Möglichkeit, sich Einheit und Waffengattung auszusuchen, eine vergleichsweise lange Ausbildung von zweieinhalb bis drei Monaten sowie eine attraktive Bezahlung. „Es gibt eine gute Besoldung und es gibt auch die Zusage, dass man nach zwölf Monaten den Dienst in den Streitkräften wieder verlassen kann und dann sogar die Erlaubnis erhält, ins Ausland zu reisen.“

Freuding weist darauf hin, dass die russischen Offensiverfolge einen hohen Preis fordern. Die russischen Streitkräfte hätten im Lauf des Kriegs den Anteil des von ihnen besetzten ukrainischen Gebiets von 18 auf 20 Prozent des Gebiets der Gesamukraine gesteigert. “Und das bei Verlusten von über 1000 Soldaten pro Tag. Da sieht man, in welchem Missverhältnis der Fortschritt der Angriffsoperation zu den immensen Verlusten steht.“

Russische Fortschritte, ja, speziell im Donbass, aber “zu einem unverhältnismäßigen Preis”, sagt Freuding.

Neben den militärischen Verlusten gibt es auch eine erhebliche Zahl ziviler Opfer. Laut Angaben der Vereinten Nationen beläuft sich die Zahl der getöteten Zivilisten auf knapp 20.000, darunter hunderte von Kindern. Zusätzlich gibt es eine hohe Zahl an Verwundeten sowie mehrere Zehntausend ukrainische Kriegsgefangene in russischer Hand.

Freuding bezeichnet das Leiden der Zivilbevölkerung als eine der größten Tragödien des Krieges. Russland greife gezielt zivile Infrastruktur an, darunter Energieversorgungsanlagen, um die Lebensbedingungen in der Ukraine weiter zu verschlechtern. Trotz internationaler Bemühungen, etwa durch humanitäre Hilfen und Wiederaufbaumaßnahmen, bleibt die Lage für die Bevölkerung extrem schwierig.

Werbung

Der gezielte Angriff auf die Zivilbevölkerung und die Infrastruktur der Ukraine unterstreicht für Freuding die Notwendigkeit weiterer Unterstützung: Die humanitäre Lage mache den Krieg nicht nur zu einer miltärischen, auch einer moralischen Herausforderung für Europa und den Westen. „Wir haben ein sicherheitspolitisches Interesse. Wenn Russland gewinnt, wenn die Ukraine als souveräner Staat aufhört zu existieren, steht die russische Militärmacht unmittelbar an den Grenzen der NATO.“

Deutsche Unterstützung

Deutschland hat bisher militärische Hilfe im Wert von 28 Milliarden Euro geleistet. Dazu gehören drei Patriot-Systeme, sechs IRIS-T-Flugabwehrsysteme, knapp 60 Flugabwehrkanonenpanzer Gepard, über 120 Kampfpanzer, 140 Schützenpanzer sowie mehr als 80 Millionen Schuss Munition.

Für 2025 sind weitere umfangreiche Lieferungen geplant, darunter mehr als 20 Schützen- und Kampfpanzer, drei IRIS-T-Feuereinheiten, weitere Gepard-Flugabwehrpanzer, mehrere Radhaubitzen sowie 370.000 Schuss Artilleriemunition.

Die Bundeswehr verfolgt einen umfassenden Ausbildungsansatz. Neben der Einweisung an gelieferten Waffensystemen gibt es Spezialkurse für Sanitäter, Scharfschützen und ganze Verbände. Deutschland will jährlich etwa 10.000 ukrainische Soldaten ausbilden, hat diese Zahl aber bislang nicht ganz erreicht, was vor allem mit der Herausforderung für die Ukraine zusammenhängt, im laufenden Krieg Truppen für die Ausbildung abzustellen.

Innerhalb der Ukraine-Kontaktgruppe haben sich themenspezifische Koalitionen gebildet, die „Capability Coalitions“, in denen einzelne NATO-Staaten Verantwortung für den gezielten Aufbau bestimmter militärischer Fähigkeiten in der ukrainischen Armee übernehmen. Deutschland ist an sieben von acht dieser Koalitionen beteiligt und übernimmt insbesondere in der Luftverteidigung eine führende Rolle.

Die “Capability Coalitions”.
5 1 vote
Article Rating
Werbung

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

0 Comments
Most Voted
Newest Oldest
Inline Feedbacks
View all comments