Sogar für den gefragten Gesprächspartner Magnus Carlsen war der Auftritt im Podcast „The Joe Rogan Experience“ etwas Besonderes. Joe Rogan (Wikipedia), ein ehemaliger Stand-up-Comedian, UFC-Kommentator und einer der einflussreichsten Podcaster der Welt, hat mit seiner Show ein riesiges Publikum aufgebaut. Allein auf YouTube folgen ihm fast 20 Millionen Menschen. Im Vergleich zu anderen Rogan-Talks fiel das Carlsen-Gespräch mit 2:20 Stunden Länge recht kurz aus.
Carlsen sprach über seine frühen Jahre und erzählte, dass er zunächst wenig Interesse an Schach hatte. „Mein Vater dachte, ich hätte Talent, also brachte er es mir bei, als ich etwa fünf Jahre alt war. Aber ich fand es nicht wirklich spannend.“ Stattdessen faszinierte ihn alles, was mit Zahlen und Fakten zu tun hatte. „Ich hatte ein kleines Flaggenbuch mit allen Ländern, ihrer Einwohnerzahl, Fläche und so weiter. Das habe ich auswendig gelernt.“ Der Schachfunke sprang erst über, als er begann, mit seinem Vater und seiner Schwester zu spielen. „Ich wollte meine Schwester in allem schlagen. Und als ich merkte, dass ich sie beim Schach besiegen kann, wurde es mein Ding.“
Ein Thema des Gesprächs war der vermeintliche Betrugsskandal um Hans Niemann. Carlsen bekräftigte seine Überzeugung, dass Niemann sich in ihrer Partie 2022 nicht regelkonform verhalten habe. „Es gab viele Faktoren, die mich misstrauisch gemacht haben. Es geht nicht nur um eine Partie – es ist ein größeres Bild.“ Die spektakulärste Theorie, dass Niemann mittels vibrierender Analperlen Hinweise auf die besten Züge erhalten haben könnte, wies Carlsen jedoch als Unsinn zurück. „Das begann als Witz in einem Twitch-Chat, dann landete es auf Reddit, Elon Musk twitterte darüber – und plötzlich war es überall.“ Dennoch bleibt er skeptisch: „Er hat in der Vergangenheit zugegeben, online betrogen zu haben. Ich glaube nicht, dass er die ganze Wahrheit gesagt hat.“
Carlsen sprach auch über das generelle Problem von Betrug im Schach. „Jeder hat heute ein Handy, und darauf läuft ein Schachprogramm, das besser spielt als jeder Mensch. Das macht es extrem gefährlich.“ Er erklärte, dass viele Spieler mittlerweile paranoid seien. „Top-Schach basiert auf Vertrauen. Wenn das weg ist, wird jeder misstrauisch.“ Besonders problematisch findet er, dass Betrug im Online-Schach oft verziehen wird. „Früher konnte man erwischt werden, gestehen, und nach ein paar Monaten war alles wieder gut. Jetzt geht es mehr in Richtung Name and Shame – das finde ich besser.“
Joe Rogan fragte, wie man überhaupt beim Schach erkennen könne. „Es gibt keinen klaren Beweis“, gab Carlsen zu. „Aber es gibt Dinge, die einfach nicht natürlich wirken. Er hatte keine erkennbare Spielweise – entweder spielte er eher mittelmäßig oder er war perfekt. Das fühlte sich nicht richtig an.“
Auch über andere Schachlegenden wurde gesprochen. Besonders beeindruckt ist Carlsen von Garry Kasparow, vor allem von dessen Spiel in jungen Jahren. „Mein Lieblings-Kasparow ist der junge Kasparow, bevor er Weltmeister wurde. Er spielte unglaublich dynamisches, aggressives Schach. Es war ein Stil, den ich nie wirklich kopieren konnte.“ Über Bobby Fischer sagte Carlsen: „Schachlich war er natürlich unglaublich. Aber als Mensch? Ich weiß es nicht. Ein absolutes Genie, aber auch extrem exzentrisch.“
Ein weiteres zentrales Thema war die Rolle der Künstlichen Intelligenz im Schach. Carlsen erklärte, dass Engines das Spiel drastisch verändert hätten. „Es gibt keine Geheimnisse mehr. Wenn du die richtigen Tools hast, kannst du in zwei Wochen eine Vorbereitung auf Weltmeister-Niveau machen.“ Er sieht das als Problem für das traditionelle Schach. „Es gibt 14-Jährige, die die gleichen Eröffnungen perfekt spielen wie ich. Das ist kein natürlicher Lernprozess mehr.“ Als Alternative befürwortet er Freestyle-Schach, auch bekannt als Schach960. „Die Eröffnungsvorbereitung fällt weg, man muss von Anfang an kreativ sein. Es ist wie in einem Videospiel mit ständig neuen Maps.“
Über seine Entscheidung, nicht mehr um den klassischen Weltmeistertitel zu kämpfen, sagte Carlsen: „Schach hat sich verändert, aber die Weltmeisterschaftsstruktur nicht. Sie ist zu langsam, veraltet. Ich liebe es, Schach zu spielen, aber ich brauche nicht den Titel, um mich zu motivieren.“ Joe Rogan zeigte sich beeindruckt: „Das ist so eine krasse Einstellung. Du bist so gut, dass du es nicht mal nötig hast, Weltmeister zu sein.“ Carlsen lachte: „Ja, genau das. Ich will einfach Spaß am Spiel haben.“
Privat hat sich für Carlsen einiges verändert – er ist jetzt ein verheirateter Mann. Rogan wollte wissen, wie sich sein Leben als Ehemann gestaltet. „Ich denke, meine Frau versteht, dass ich manchmal in meiner eigenen Welt bin – selbst wenn ich mit ihr rede, kann es sein, dass ich noch eine Partie analysiere, die ich am Morgen gespielt habe.“ Eine zweite Leidenschaft neben seiner Frau hat er unlängst entdeckt, Golf. „Ich bin süchtig danach. Es ist so schwer, es perfekt zu spielen – das macht es für mich spannend.“
Rogan fragte, ob Carlsen jemals gegen die Schach-Hustler im Washington Square Park in New York gespielt habe. „Ich war einmal dort, 2010. Aber es ist ein bisschen ein Mythos, dass diese Typen unglaublich stark sind. Sie sind gut, aber nicht auf Großmeister-Niveau.“ Dennoch erinnerte er sich an eine Begegnung mit einem besonders kreativen Spieler. „Zuerst dachte ich, der Typ hat keine Ahnung. Aber nach 15 Zügen war ich in Schwierigkeiten. Er hatte ein eigenes System entwickelt – das fand ich beeindruckend.“
Im Zusammenhang mit der kommenden Netflix-Dokumentation über den Schachskandal erklärte Carlsen, dass er darin seine Sicht auf die Affäre um Hans Niemann ausführlich schildern wird. Rogan: „Du wolltest nicht unbedingt dabei sein, aber du hast es trotzdem gemacht?“ Carlsen bestätigte das: „Ja, ich habe akzeptiert, dass solche Sachen helfen, das Spiel populärer zu machen.“

Er erklärte, dass die Dokumentation zwar den Skandal thematisiert, aber auch die allgemeine Entwicklung des Schachs beleuchten wird. „Es ist nicht nur negativ. Schach bekommt so viel mehr Aufmerksamkeit als früher. Heute siehst du es überall auf YouTube, TikTok, Instagram.“ Rogan stimmte zu: „Es ist definitiv in meiner Algorithmus-Blase. Ich bekomme ständig Schach-Videos angezeigt.“ Carlsen hofft, dass die Doku nicht nur die Kontroversen beleuchtet, sondern auch den positiven Wandel des Spiels zeigt. „Natürlich wollen die Leute das Drama, aber ich hoffe, dass sie auch sehen, warum Schach so faszinierend ist.“
Als das Gespräch auf Musik kam, wollte Rogan wissen, was Carlsen während Schachpartien hört. „Ich spiele meine besten Partien, wenn ich norwegischen Rap höre.“ Besonders eine Gruppe beeindruckte ihn: „Mr. Pimp Lotion und Oral Bee – sie machen Westcoast-Rap auf Norwegisch. Das passt einfach perfekt.“ Carlsen offenbarte sogar, dass er einmal mit den Rappern einen Song aufgenommen hat. Rogan konnte es kaum glauben: „Du hast einen Song gemacht mit einem Typen, der sich Mr. Pimp Lotion nennt?“ Carlsen lachte: „Ja, absolut. Norwegen ist ein kleines Land.“