In der Sportszene ist Michael S. Langer bei weitem nicht nur als Präsident des Niedersächsischen Schachverbands unterwegs. Als Präsidiumsmitglied des Landessportbunds Niedersachsen war er jetzt indirekt mit einer selten brisanten Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbunds beschäftigt. Grund genug, im Gespräch mit dem Perlen-Interview-Stammgast Langer über den Tellerrand des Schachsports zu schauen:
Michael, die Schachszene trauert um Robert Hübner. Welche Erinnerungen verbindest du mit ihm?
Durch Robert Hübner bin ich zum Schach gekommen. Während des Kandidaten-Halbfinales 1980 gegen Lajos Portisch musste ich meinem Vater die Ergebnisse der Partien besorgen. Ich wollte gerne verstehen, was meinen alten Herrn daran so fasziniert, also habe auch ich mit Schach angefangen. Als Hübner 1992 in Dortmund Garry Kasparow besiegte, saß ich auf der Tribüne in den Westfalenhallen. Die besondere Atmosphäre in der dort errichteten Schach-Arena für 1000 Zuschauer spüre ich heute noch. Als Kasparow aufgab, erhob sich das Publikum und spendete stehend Applaus.
Kanntet ihr einander, Hübner und du?
Kaum. Während meiner Zeit als DSB-Vizepräsident Finanzen hatten wir bei einem offiziellen Anlass kurz miteinander zu tun, ein freundlicher Austausch, mehr nicht.

Führungskrise, Olympia- und Paralympics-Bewerbung, Sportförderung, World-Games-Vergabe: Selten soll eine Mitgliederversammlung des DOSB so brisant gewesen sein wie diejenige Anfang Dezember. Warst du als Vorstandmitglied des Niedersächsischen Landessportbunds mit von der Partie?
Ich war nicht da, aber hatte die Versammlung natürlich mit unseren Leuten inhaltlich vorbereitet. Während sie lief, war ich dank WhatsApp auf dem Laufenden.
Bei der Lektüre darüber musste ich zwangsläufig an Versammlungen in der Sportart denken, über die wir uns kennengelernt haben: Die guten Leute halten sich vom Verband fern, und dann sitzen dort eben andere Leute, indifferent gegenüber kritischen Themen, in Selbstverwaltung verhaftet, ohne großen Bezug zum Sport. Ist die DOSB-Versammlung wie die Schachverwaltung, nur eben für alle Sportarten?
Sie repräsentiert die Königsklasse der Sportverwaltungen! Aber bei solchen Versammlungen musst du immer mitdenken, dass vieles abseits des eigentlichen Gremiums geklärt und debattiert wird, um sich nicht vor laufenden Kameras zu streiten. Das gilt zum Beispiel für die von dir angesprochene Führungskrise, die den DOSB zwar in seinen Grundfesten erschüttert, aber bei der Versammlung kaum wahrzunehmen war. Ich persönlich wünsche mir durchaus, dass wir dort die tatsächlichen Debatten in größtmöglicher Offenheit führen, um eben nicht das Bild einer reinen Verwaltung abzugeben. Wir sollten nicht so tun, als sei die Welt heil, wenn sie es offensichtlich nicht ist.
Auch das kommt mir aus dem Schach bekannt vor.
Ja.
Olympische Sommerspiele in Deutschland, 2036 oder 2040?
Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine Olympiabewerbung, nur eine Debatte darum. Von einer Bewerbung sind wir weit entfernt. Nach Paris 2024 haben viele Menschen festgestellt, dass sie Olympia gerne wieder in Deutschland hätten.
Was glaubt eigentlich Thomas Bach, wer er ist, wenn er jetzt im Zusammenhang mit einer möglichen deutschen Olympiabewerbung der Bundesregierung rät, erst einmal die Einreisebestimmungen zu ändern?
Er argumentiert mit der angeblichen „politischen Neutralität des Sports“, obwohl ein Blick auf das Wirken von Organisationen wie dem IOC oder der FIFA zeigt, dass es damit nicht weit her ist. Aus deutscher Sicht verstehe ich den Wunsch, dass Olympische Spiele in unserer Zeitzone und regional betrachtet innerhalb unseres Wertekanons stattfinden. Für unsere Sportlerinnen und Sportler wäre Olympia daheim eine einmalige Gelegenheit. Aber das gesamte System IOC mit seinen mutierten Spielen stößt mich ab. Ich würde nicht um jeden Preis Olympische Spiele haben wollen und halte die Forderungen von Herrn Bach für unangemessen.
Alter Hut, trotzdem: Warum ist aus dem Deutschen Sportbund eigentlich der Deutsche Olympische Sportbund geworden?
Um das Thema Olympia besonders zu betonen. Früher hatten wir das NOK, das auf Olympia fokussiert die olympischen Verbände betreute, und den DSB, der sich für den Sport in seiner ganzen Breite eingesetzt hat. Aus dem Zusammenschluss entstand der DOSB, und das hat bei Weitem nicht nur Gutes bewirkt. Die Landessportbünde und damit die breite Basis sind jetzt nach Stimmenzahl klar in der Minderheit. Während der Corona-Zeit etwa standen wir vor Fragen, wie wir unsere gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen können und sollten, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Problem, wie sich die Pandemie auf Kinder in ihrer Entwicklung auswirkt. Über solche Facetten wird jetzt in einem Verband befunden, in dem das Thema Olympia nach meinem Empfinden deutlich überbewertet ist. Das Erste, was ich damals in den Medien hörte, war „was ist mit Tokio?“ Es fehlt meines Erachtens viel zu oft der Blick über den olympischen Tellerrand hinaus.
Was ist denn so schlimm an olympischen Erfolgen?
Nichts! Aber das System, das das darauf beruht, vergangene Erfolge zu belohnen, anstatt mit Verstand in der Gegenwart zu fördern, kritisiere ich. Geld bekommt, wer Medaillen und Erfolge vorweisen kann. Sportlerinnen und Sportler, die Förderung bräuchten, um ein bestimmtes Niveau zu erreichen, bekommen sie nicht. Daran krankt die deutsche Sportförderung. Nichts gegen den Bobsport, den ich sogar gern und regelmäßig verfolge, aber ich brauche jetzt ein Beispiel: Seit Jahren klatschen unsere Sportminister glückselig in die Hände, wenn wir Medaillen im Bobsport gewinnen, eine Sportart, die es in vielen Ländern gar nicht gibt und die in Deutschland keine 7000 Leute in weniger als 80 Clubs betreiben. Ich finde Medaillen auch gut, einen nachhaltig in der Gesellschaft verankerten Sport in einem Mix aus Spitzen- und Breitensport in der Gesellschaft finde ich noch besser!
Wollen wir noch über Schach sprechen?
Gerne.
100 Jahre Niedersächsischer Schachverband. Seid ihr durch mit dem Jubiläumsjahr, oder kommt noch was?
Nach der großen Woche in Wolfsburg mit dem Niedersachsen Masters haben wir noch eine Abschlussveranstaltung in Braunschweig gehabt, zusammen mit der CSA, zusammen mit d-fine, das waren noch einmal drei intensive Tage. Das Jubiläum ist vorbei, aber unsere Arbeit geht natürlich trotzdem weiter, zum Beispiel mit den Landeseinzelmeisterschaften, die gerade über die Bühne gegangen sind. Am Ende des vergangenen Jahres war es vielleicht sogar etwas zu viel, die Teilnehmerzahlen haben nicht mehr ganz unseren Wünschen entsprochen. Aber wir haben das durchgezogen und sind stolz auf all das, was wir im Jubiläumsjahr auf die Beine gestellt haben.

Bei niedersächsischen Veranstaltungen fällt immer die große Zahl an Partnern, Sponsoren, ehrenamtlichen Helfern auf.
Gäbe es ein Ranking, welcher Landesverband im Schach am meisten gestaltet und am besten funktioniert, würde ich uns unangefochten auf dem ersten Platz sehen. Ich, als derjenige, der mitarbeitend immer sein Gesicht nach draußen vorzeigt, bin nur Teil eines funktionierenden Ganzen. Stolz bin ich auf das, was wir in Niedersachsen gemeinsam und als Team auf die Beine stellen. Wir machen vieles, was andere nicht mal andenken.
Auch weil ihr dank Erbschaft mehr Mittel habt als andere.
Stimmt. Aber so ein Erbe muss man erstmal zugesprochen bekommen. Es zeigt das Grundvertrauen eines Menschen, der unser Wirken jahrelang beobachtet hat und dann zu dem Schluss gekommen ist, dass er dem Niedersächsischen Schachverband sein Vermögen vererben möchte.
Was könnte besser werden?
An der sportlichen Spitze können und wollen wir noch zulegen. Uns fehlen Spielerinnen und Spieler, die national ganz vorne dabei sind. Das Niedersachsen Masters gab es auch, um genau daran zu arbeiten.
Ein niedersächsischer Bundesligist wäre gut.
Auch wenn wir unser Bestes tun, für Landesverbände gibt es Grenzen des Machbaren. Wir können bei der Spitzensportförderung allein des Verbands nicht davon ausgehen, dass am Ende 2600er herauskommen. Aber existenziell wichtig finde ich das nun auch wieder nicht.
Warum?
Weil wir auch so aktiv sein können und wahrgenommen werden. Nach meiner Erfahrung ist sportliche Spitze nicht der allein ausschlaggebende Punkt für Aufmerksamkeit und Interesse von Geldgebern. Durch den Zuspruch nach unseren Jubiläumsveranstaltungen sehe ich mich darin bestätigt. Man kann auch ohne 2700 Elo, aber mit guten Ideen und Konzepten an das Geld anderer Leute kommen.
Nach dem Niedersachsen Masters in Wolfsburg hast du gesagt, du wollest ausloten, ob das Masters eine jährliche Veranstaltung werden kann. Kann es?
Mal schauen. Nicht um jeden Preis. Wir als NSV haben einen Anspruch, wie viel Prozent Fremdkapital wir für so ein Turnier haben wollen, und das muss irgendwoher kommen. Ob es sich nochmal in Wolfsburg mit VW als Partner machen lässt, ist zum Beispiel offen. Wir sind mit verschiedenen potenziellen Partnern im Gespräch. Derzeit kann ich nur sagen, dass es mein und unser Wunsch ist, so ein sportliches Highlight nicht als Eintagsfliege zu belassen. In ein paar Wochen kann ich vielleicht mehr sagen.
Bis du eigentlich noch der Marketing-Berater der Bundesliga?
Das weiß ich nicht so genau. Natürlich spreche ich viel mit Leuten, die mit der Bundesliga zu tun haben, aber es ist nicht so, dass Projekte an mich herangetragen werden oder dass jemand einfach nur um Rat fragt oder um Hilfe bittet. Nach meinem Eindruck ruht diese Tätigkeit, obwohl sich aus dem Dreikampf Düsseldorf/Baden-Baden/Viernheim, garniert mit St. Pauli/Carlsen, für das deutsche Schach noch mehr herausholen ließe. Ich würde wetten, dass nicht viele Leute wissen, wer gerade die Bundesliga anführt.

Aus der Schachverwaltung war ein Rumpeln zu vernehmen, als kurz vor Jahresende ein DSB-Referent den Mitglieder-Meldetermin 2025 für die Landesverbände vorziehen wollte.
Es ist schon erstaunlich, dass Referenten Entscheidungen, die weit in die Belange der Landesverbände eingreifen, mal eben kurz vor Toresschluss treffen wollen. Ich finde es ärgerlich, wie dann mit sachlich vorgetragener Kritik umgegangen wird. Dass das Präsidium sich komplett aus der Diskussion im großen internen Verteiler herausgehalten hat, irritiert mich. Wir als NSV werden unsere Sicht sicher im nächsten Kongress noch mal sehr klar ansprechen. Der Vorstoß an sich ist mittlerweile abgewehrt.
Ansonsten alles okay zwischen dir und dem DSB?
Mehr anerkennende Aufmerksamkeit für das, was wir in Wolfsburg veranstaltet haben, hätte ich mir gewünscht. Da richtest du ein Spitzenturnier aus, wie es sonst nur professionelle Ausrichter hinbekommen, bettest es in Breitenschach mit hunderten Teilnehmern ein, hast eine tolle Lokalität, den größten deutschen Autobauer als Unterstützer, den jüngsten deutschen Nationalspieler im Feld, die ehemalige DSB-Aktivensprecherin auch – gemessen daran war die Resonanz des DSB sehr dünn und für uns absolut nicht zufriedenstellend. Die Fahrt von der Geschäftsstelle bis nach Wolfsburg hätte eine Stunde gedauert, da hätte sich doch mal jemand blicken lassen können. Ansonsten hoffe ich, dass der DSB seine wirtschaftliche Lage unter Kontrolle behält und einfach seinen Job macht.
Den Seitenhieb auf den Bobsport finde ich unpassend. Er erinnert mich an das, was ein Fußball-Promi mal über Schach sagte (“Mir brauche de Klötzle-Schieber nicht”). Bobsport ist so spannend – und hat so viel Potenzial für die Zukunft, zum Beispiel auch, wenn man daran denkt, wie kompliziert Roboter-Bobfahren ist.
Ingo Althöfer.
Gutes und interessantes Interview! Nur den Seitenhieb auf den Bobsport fand ich daneben! Ich halte es für richtig und wichtig, dass auch solche “Randsportarten” gefördert werden. Zumal der Bobsport in Deutschland eine Tradition hat wie wenige andere Sportarten! Während Deutschland bei der Sommerolympiade nur noch “unter ferner liefen” abschneidet, sind wir bei den Winterspielen noch eine Sportmacht!