Am Ende einer von Krieg und Spaltung geprägten Amtszeit verteidigt der scheidende Außenminister Anthony Blinken im New-York-Times-Podcast sein Vermächtnis in Bezug auf Gaza und die Ukraine. Blinken sagt, er habe Amerika stärker gemacht. Jetzt bereitet er sich darauf vor, sein Amt an die kommende Trump-Regierung zu übergeben – von der er es vor vier Jahren übernommen hat.
Ausgangslage und Bilanz
Blinken beschreibt die schwierige Ausgangssituation zu Beginn seiner Amtszeit: “Wir erbten die schlimmste Wirtschaftskrise seit der Großen Depression, wir erbten die schlimmste Gesundheitskrise seit mindestens 100 Jahren. Wir hatten ein gespaltenes Land und schwierige Beziehungen zu Verbündeten und Partnern in der ganzen Welt.” Besonders problematisch war die Wahrnehmung durch Gegner wie Russland und China, die die USA “in unaufhaltsamem Niedergang” sahen.
Nach vier Jahren zieht er eine positive Bilanz: “Ich denke, wir übergeben ein Amerika in einer viel, viel stärkeren Position, nachdem wir die Wirtschaftskrise überwunden, die Gesundheitskrise überwunden und unsere Position in der Welt zum Besseren verändert haben.”
Ukraine-Konflikt
In Bezug auf die Ukraine betont Blinken die frühe Unterstützung noch vor der russischen Invasion: “Wir stellten sicher, dass wir lange vor der russischen Aggression vorbereitet waren. Wir brachten bereits im September still und leise viele Waffen in die Ukraine.” Er verteidigt den schrittweisen Ansatz bei der Waffenlieferung: “Bei jedem System mussten wir nicht nur prüfen, ob wir es den Ukrainern geben sollten, sondern auch, ob sie damit umgehen können, ob sie die erforderliche Ausbildung haben, ob sie es warten können.”
Zur aktuellen Situation räumt er ein: “Die Linie wird sich als praktische Angelegenheit in absehbarer Zukunft wahrscheinlich nicht sehr viel bewegen.” Dennoch sieht er die Ukraine in einer besseren Position: “Putin hat in seinem strategischen Ziel, die Ukraine zurückzugewinnen, versagt und wird nicht erfolgreich sein.”
Gaza-Konflikt
Einen großen Teil des Interviews nimmt der Gaza-Konflikt ein. Blinken beschreibt, wie der Hamas-Angriff vom 7. Oktober die Pläne der Administration durchkreuzte: “Am 6. Oktober verfolgten wir sehr aktiv die Normalisierung zwischen Saudi-Arabien und Israel […] Ich sollte am 10. Oktober nach Saudi-Arabien und Israel reisen.”
Er verteidigt das amerikanische Vorgehen und die Unterstützung Israels, betont aber auch die intensiven Bemühungen um humanitäre Hilfe: “Ich verbrachte mit meinem Team neun Stunden im Kirya [israelisches Militärhauptquartier] […] und argumentierte endlos über die grundlegende Forderung, dass humanitäre Hilfe zu den Palästinensern in Gaza gelangen müsse.” Blinken beschreibt, wie er den israelischen Premier Benjamin Netanyahu unter Druck setzte: “Ich sagte dem Premierminister, ich werde den Präsidenten anrufen und ihm sagen, er soll nicht kommen, wenn Sie nicht zulassen, dass diese Hilfe zu fließen beginnt.”
Zur Kritik an Israels Kriegsführung sagt Blinken: “Von Tag eins an haben wir gesagt, dass es wichtig ist, wie Israel [seinen Verteidigungskampf] führt.” Blinken differenziert zwischen Absicht und Ergebnis: “Es gibt einen großen Unterschied zwischen Absicht und Ergebnis, ob nach dem Gesetz oder nach jedermanns Standard.”
China-Politik
In Bezug auf China lobt Blinken überraschenderweise Trumps erste Einschätzung: “Ich denke, Präsident Trump hatte während seiner ersten Amtszeit Recht in der Identifizierung einiger der Herausforderungen durch China.” Er kritisiert jedoch Trumps isolationistischen Ansatz: “Wo ich nicht übereinstimmen würde […] ist, dass wir viel effektiver im Umgang mit den Herausforderungen durch China sind, wenn wir eng mit anderen Ländern zusammenarbeiten.”
Blinken erklärt die Strategie der Biden-Administration: “Wenn wir alleine mit Chinas Wirtschaftspraktiken umgehen, repräsentieren wir 20 Prozent des weltweiten BIP. Wenn wir uns mit Europäern und wichtigen Verbündeten im asiatisch-pazifischen Raum zusammentun, sind es plötzlich 40, 50, 60 Prozent des weltweiten BIP – etwas, das China nicht ignorieren kann.”
Afghanistan
Zum umstrittenen Afghanistan-Abzug steht Blinken: “Ich entschuldige mich nicht dafür, Amerikas längsten Krieg beendet zu haben.” Er argumentiert sogar, dass dies die Position der USA gestärkt habe: “Unsere Gegner hätten nichts lieber gesehen, als dass wir für ein weiteres Jahrzehnt in Afghanistan festgesteckt hätten.”
Innere Kritik und Rücktritte
Auf die Frage nach Rücktritten und interner Kritik am Umgang mit dem Gaza-Konflikt betont Blinken seinen Respekt für abweichende Meinungen: “Ich habe enormen Respekt vor den Menschen in diesem Ministerium, die nicht nur andere Ansichten zu unserer Politik hatten, sondern diese Ansichten auch zum Ausdruck gebracht haben.” Er verweist auf den traditionellen “Dissent Channel” des Ministeriums: “Jede einzelne dieser Nachrichten landet auf meinem Schreibtisch, jede einzelne lese ich, auf jede einzelne antworte ich.”
Persönliche Reflexion
Zum Abschluss spricht Blinken über die Lehren seines Stiefvaters, eines Holocaust-Überlebenden: “Er pflegte zu sagen: ‘Vergiss nie – ich bin Amerikaner aus freier Wahl, du bist Amerikaner durch Zufall der Geburt.'” Dies unterstreiche für ihn die “außerordentliche Verantwortung, die damit einhergeht, Teil des größten Landes der Erde zu sein”.
Sein Fazit zur amerikanischen Rolle in der Welt ist eindeutig: “Überall auf der Welt […] wollen die Menschen die Vereinigten Staaten involviert sehen, sie wollen uns engagiert sehen, sie wollen uns in Führung sehen. Sie wissen, dass wir eher zu einer Lösung kommen, wenn wir mit am Tisch sitzen.”
Perspektive
Trotz aller aktuellen Krisen sieht Blinken Hoffnung für die Zukunft, besonders im Nahen Osten: “Es gibt ein Licht, das man sehen kann, das die Aussicht auf eine ganz andere und viel bessere Zukunft bietet.” Er verweist auf die Möglichkeit normalisierter Beziehungen zwischen Israel und Saudi-Arabien sowie einen “echten Weg zu einem palästinensischen Staat.” All diese Vorarbeiten, so Blinken, “werden wir übergeben, aber es erfordert von den Führern, wirklich harte Entscheidungen zu treffen.”