“Schluss mit dem Rumtingeln”: Wie der Schachprofi Gernot Gauglitz Unternehmer wurde

In den Tagen nach dem Mauerfall ließ Gernot Gauglitz ein Turnier in Ungarn sausen und fuhr mit dem Lada aus Leipzig nach Bad Wildbad. Binnen weniger Wochen erspielte er sich bei drei Open in Süddeutschland das Startkapital, um Unternehmer zu werden. Seine 1999 gegründete Energieparkfirma UKA feierte im November ihr 25-jähriges Bestehen. Für den Schachkalender 2025 erinnert sich Gauglitz an die Wendezeit – seine letzten Monate als Schachprofi.

Bundesliga 1992/93: Gernot Gauglitz und der heutige Bundesnachwuchstrainer Bernd Vökler liefern sich ein wildes Gefecht.

„Am 10. November 1989 begann ein Schachturnier in Harkány. Morgens kam ich mit Zug und Bus aus Budapest in Südungarn an. Thomas Pähtz war schon da. Er kam auf mich zu und sagte: „Du Gernot, die Grenzen sind offen.“ Ich habe gedacht, er macht Spaß, und habe mich erstmal vergewissert, was in der Nacht passiert war.

Daraufhin haben Thomas und ich uns kurz zusammengesetzt: Die Gelegenheit müssen wir wahrnehmen. Wenn die Grenzen offen sind, können wir jetzt nicht in Ungarn bleiben. Wir haben bei den westdeutschen Spielern herumgefragt, wer eine Schachzeitung dabeihat. Dann haben wir nachgesehen, welches Turnier in den alten Bundesländern als nächstes startet. Und das war Bad Wildbad, vielleicht fünf Tage später, so genau weiß ich das nicht mehr.

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Daraufhin haben wir also angerufen, Thomas und ich, und haben gefragt: Habt ihr Interesse, dass wir bei euch spielen? Wir hatten ja keine D-Mark. Wir sind Internationale Meister, laden Sie uns ein? Und der Organisator hat gesagt: „Na klar, wir bringen euch unter. Und das Essen bezahlen wir auch.“ Darf ich meine Freundin mitbringen? „Na klar, können Sie gerne mitbringen. Wir freuen uns.“

Als UKA 2015 ein Büro in Erfurt eröffnete, wurde natürlich Schach gespielt. Gernot Gauglitz und Thomas Pähtz waren mit von der Partie. | Foto: DSB

Dann haben wir aufgelegt und den Organisatoren mitgeteilt, dass wir nicht spielen, sondern nach Westdeutschland fahren. Die Ungarn hatten volles Verständnis: „Klar, für euch ist jetzt eine neue Zeit. Viel Glück.“ Dann habe ich meine Frau angerufen: Guck mal, ob du auf Arbeit frei kriegst, ob du mitkommen kannst. Ich habe mich in den nächsten Bus gesetzt und in Budapest den nächsten Flug nach Deutschland genommen. 

Zuhause in Leipzig lautete das nächste Problem: Wie kommen wir nach Wildbad? Den Sprit in Westdeutschland hätten wir ja in D-Mark zahlen müssen. Also haben wir mehrere 20-Liter-Kanister besorgt und gefüllt in unseren Lada gepackt, damit es zusammen mit der Tankfüllung von Leipzig bis Wildbad und wieder zurück reichte. Eigentlich waren wir ja stolz auf unseren 17 Jahre alten grünen Lada, aber auf der Fahrt stellten wir fest, dass es auch schönere Autos gibt.

Bad Wildbad war ein schmuckes Städtchen im Schwarzwald. Also hatte ich mir gleich zum Anfang einen Ort rausgesucht, wo andere Urlaub machen. Logisch sind wir als DDR-Bürger dort viel angesprochen und beglückwünscht worden. Damals in der Anfangsphase waren ja alle happy. Ich war auch motiviert und habe das Turnier gewonnen. Thomas Pähtz teilte den zweiten Platz, wahrscheinlich haben wir zusammen gefeiert, so genau weiß ich das nicht mehr.

Das Preisgeld war damals sehr wichtig. Ich war ja noch Profi. Der Umrechnungskurs war fünf Ostmark für eine D-Mark. Was ich da in einer Woche verdiente, war der Durchschnittslohn in der DDR für ein halbes Jahr. Ich bekam gleich die Einladung für zwei weitere Turniere: In Böblingen wurde ich zwischen Weihnachten und Silvester geteilter Erster, anschließend in Schwäbisch Gmünd Erster bis Dritter.

“Ohne Moos nichts los”: In der Wechselstube stellten viele DDR-Bürger fest, dass ihre Ostmark wenig wert sind. Wohl dem, der, zum Beispiel bei Schachturnieren, schon unmittelbar nach dem Mauerfall D-Mark verdiente.

Meine Freundin war jedes Mal mit. Während ich spielte, ging sie spazieren und hoffte, dass ich was verdiente, damit sie sich später etwas kaufen kann. In den zwei Monaten nach dem Mauerfall habe ich also bei drei Turnieren jeweils Platz eins zumindest geteilt. Diese Preisgelder, das werden so um die 5000 D-Mark gewesen sein, waren für DDR-Verhältnisse schon ein kleines Vermögen. Es wurde mein Startkapital, mit dem ich später wirtschaftlich aktiv wurde.

In der DDR habe ich Schach gewählt, weil ich im Verhältnis zu anderen Berufen gut verdienen konnte. Wirtschaftlich war ich schon immer ganz pfiffig. Ich habe in Leipzig Sportwissenschaften mit der Spezialrichtung Schachpsychologie studiert. Das war ein seltenes Studium, meiner Kenntnis nach haben das nur vier insgesamt durchlaufen. In meiner Diplomarbeit ging es um psychologische Aspekte in den Wettkämpfen zwischen Karpow und Kasparow. Die Quintessenz war, dass man nicht den objektiv besten Zug suchen sollte sondern den unangenehmsten Zug für den Gegner.

Mit dem Abschluss Diplomsportlehrer in der Spezialrichtung Schachtrainer wurde ich bei der Akademie der Wissenschaften als Trainer angestellt. Zum Gehalt kamen Preisgelder und was ich mit dem Verkaufen von Garde-Schachuhren und Büchern vom Sportverlag einnahm. Wobei es nicht immer leicht war, Uhren aufzutreiben. Ich bin relativ sicher, dass ich auch in Harkány Schachuhren mithatte. Weil aber keine Zeit blieb, etwas zu verkaufen, habe ich die Uhren irgendeinem Freund oder Bekannten übergeben, der das dann für mich abgewickelt hat.

Gernot Gauglitz 1985 in Dresden. | Foto via ChessBase

Mit Schach habe ich in der DDR wahrscheinlich fünfmal so viel verdient wie in einem normalen Job. Nachdem die Grenzen offen waren, war Schachprofi nicht mehr wirtschaftlich attraktiv. Meine damalige Freundin und jetzige Frau Sibylle, mit der ich seit 37 Jahren zusammen lebe, hat das im Juli 1990 auf dem Rückflug aus unserem ersten Urlaub auf den Punkt gebracht. Sie sagte: „Jetzt sind die Grenzen offen, die Welt steht uns offen. Jetzt ist Schluss mit Rumtingeln, jetzt muss Du arbeiten!“ Sie war der Meinung, dass man die Fähigkeiten ihres Mannes nun besser einsetzen könnte als zum Schachspielen. 

Im September ´90 habe ich mein erstes Gewerbe angemeldet: Immobilienmakler. 1991 habe ich das erste Projekt gestartet, eine kleine Einkaufspassage, die ich zwischen ´91 und ´93 in Meißen gebaut habe. Ich habe die Grundstücke gekauft, mir Geld von der Bank besorgt und das Projekt umgesetzt und vermietet. Es folgten noch ein paar Projekte in der Innenstadt von Meißen, auch als Bauträger. Die Sonderabschreibungen und einige spezielle Regelungen liefen dann aus, und der Immobilienmarkt war nicht mehr so attraktiv, so dass ich mich nach etwas Neuem umsah.

Windkraft war spannend. Die damalige Bundesregierung hatte gerade erstmals eine Förderung beschlossen: das erste “Erneuerbare Energien Gesetz”. Im November ´99, genau zehn Jahre nach Wildbad, habe ich zusammen mit Ole-Per Wähling UKA gegründet. Die Erfahrungen in der Projektentwicklung, die Kontakte und das Kapital, das ich mittlerweile hatte, waren natürlich hilfreich.

Heute habe ich über tausend Mitarbeiter, da sind auch ein paar sehr gute Schachspieler aus der Dresdner Bundesligamannschaft dabei. Aus Verbundenheit und Liebe zum Schach unterstütze ich seit über zehn Jahren die Nationalmannschaft und die deutsche Meisterschaft.

Das ist aber kein Mäzenatentum, sondern ein wirtschaftlich sinnvolles Sponsoring zum gegenseitigen Vorteil. Wir hatten schon mehrere Grundstückseigentümer, die sich wegen dem Schach bewusst für UKA und gegen die Konkurrenz entschieden haben. UKA bringt es wirtschaftlich einen Nutzen, und mit dem Einsammeln von Sponsorengeldern klappt es ja eh nicht so gut. Da bringt UKA wenigstens etwas Stabilität hinein, damit der Schachbund diese Finanzierungsorge nicht jedes Jahr hat.“

Am 27. Mai 2011 wurde in Meißen die Kooperation zwischen der UKA-Gruppe und dem Deutschen Schachbund besiegelt. Seitdem ist UKA Hauptsponsor der deutschen Nationalmannschaften. Unterschrieben wurde der Vertrag vom Geschäftsführer der DSB-Wirtschaftsdienst GmbH, Heinz-Jürgen Gieseke, sowie vom UKA-Geschäftsführer Gernot Gauglitz. Hinten von links: Horst Metzing, Hans-Jürgen Weyer und Uwe Bönsch. | Foto: DSB

Der obige Text entstammt dem Schachkalender 2025. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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Uwe Böhm
Uwe Böhm
18 Tage zuvor

Da hat jemand durch Eigeninitiative sehr viel erreicht. Das ist mehr wert als der Schachtitel. Da muss man einfach Respekt zollen.

Im Grunde ist das Problem aber zeitlos. Jedes Talent muss heute entscheiden, ob es wirklich Berufsspieler werden will. Da muss man auch ehrlich zu sich selbst sein und überlegen, was man schachlich maximal erreichen kann.

Holger Namyslo
Holger Namyslo
18 Tage zuvor

Ich war in Schwäbisch Gmünd dabei, als Gernot Gauglitz auftauchte.