Dem ersten Ausflug ins Schach-TV-Geschäft vor eineinhalb Jahren lässt die Tageszeitung Welt jetzt einen zweiten folgen. Nach eigenen Angaben exklusiv im deutschsprachigen Raum überträgt Welt die Global Chess League. Beginnend am heutigen Donnerstag, werden auf der Website 40 Stunden Weltklasseschach mit Carlsen&Co. zu sehen sein.

Für den Verlag geht es darum, neue Abonnenten zu gewinnen und bestehenden einen Mehrwert des Welt-Angebots aufzuzeigen. Dazu komme die Hoffnung, frühzeitig auf einen Sport mit Trendpotenzial aufzuspringen, sagt Olaf Gersemann. Der schachaffine Leiter der Welt-Wirtschaftsredaktion verweist auf ähnliche, erfolgreiche Projekte im Springer-Verlag ebenso wie bei Mitbewerbern.
Spannend ist der große Kontext: ein Sport, der sich in seiner Spezialistennische als Zuschauersport etabliert hat, dem aber fürs breite Publikum ein Geschäftsmodell fehlt, ein Sport, der nie im Wettbewerb mit anderen Sportarten um die Gunst des Publikums stand. Das ändert sich jetzt nach und nach, und es geht um nicht weniger als darum, wie die Zukunft des Spitzenschachs aussieht. Entweder es gelingt, den Sport nachhaltig in die Breite zu tragen und wachsen zu lassen, oder er bleibt in seiner Mäzenatennische, in der es keines Geschäftsmodells bedarf.
Die zentrale Frage, auf die jeder global ambitionierte Veranstalter eine Antwort finden muss, ist die nach der Distribution: Wo soll mein Turnier zu sehen sein? In der Schachnische gibt es exakt einen internationalen Sender mit relevanter Reichweite, chess.com. Freestyle etwa hat beim ersten Turnier im Februar 2024 mit chess.com vereinbart, dass seine Hochglanzproduktion dort zu sehen ist.
So haben aus dem Stand Hunderttausende zugeschaut, aber um den Preis zweier Zugeständnisse: a) Wenn das eigene Programm auf einem fremden Sender läuft, entwickelt sich der eigene Sender nicht. b) Wenn die ganze Welt auf YouTube zugucken kann, gibt es keine exklusiven Inhalte mehr, die sich anderswo vermarkten ließen. Nun ist aus dem ersten Freestyle-Turnier tatsächlich eine Tour mit Plänen für mehrere Jahre geworden. In dieser neuen Konstellation wird spannend zu sehen sein, welchen Distributions-Ansatz das Buettner-Carlsen-Team ab Februar 2025 verfolgt.
Die Global Chess League verzichtet auf ein globales Gratis-Programm. Wer auf YouTube “Global Chess League live” sucht, findet in Deutschland einen Link zur Welt…

…und in anderen Ländern mutmaßlich entsprechende Banner zu anderen Distributionspartnern, die die Übertragungsrechte an der Global Chess League gekauft haben. Das sind nach Angaben der Liga unter anderem DAZN, Saudi Sports Channel, Fox Sports (Australien), Sportklub (Balkan), Verdens Gang (Norwegen), Sport TV (Slowenien), S Sport (Türkei), HTV Sports (Vietnam), NSports (Brasilien), SABC (Südafrika), TAPMAD (Pakistan), SportsMax (Karibik).
So weit ähnelt diese dezentrale Verbreitung der Armageddon-Serie von World Chess, das auch 2025 wieder eine Serie produzieren will, um die Übertragungsrechte zu verkaufen. Armageddon hat beim vorigen Versuch selbst live gestreamt und Partnern in anderen Ländern angeboten, auf Basis der Originalbilder Kommentar in ihrer Landessprache zu produzieren. Seinerzeit war “Armageddon” bei der Welt exklusiv auf Deutsch zu sehen.
Obwohl die Premiere noch aussteht, haben alle Veranstalter im Schach das Konzept auf der Agenda, ihren Wettbewerb nachträglich in die Form einer TV-Serie oder -Doku zu gießen. So ließe sich eine Veranstaltung zweimal vermarkten. Jan Henric Buettner etwa hat im Freestyle-Kontext wiederholt von der Formel 1 und deren Netflix-Doku als Vorbild geschwärmt.
Seinem Geschäftspartner Magnus Carlsen und chess.com-Chef Erik Allebest ist derweil extrem wichtig, ihre definitive Aussage zum Niemann-Drama exklusiv auf Netflix zu platzieren. Obwohl Carlsen in dieser Angelegenheit nicht gut aussieht, gibt er für Monate freiwillig die Deutungshoheit ab. Was er zu sagen habe, werde die Öffentlichkeit 2025 in der Sport-Doku-Serie “Untold” erfahren. Allebest hat schon “Enthüllungen” angekündigt. Welches Kalkü dahintersteckt, Enthüllungen wegzugeben, anstatt sie zu verkünden, ist nicht ganz klar. Wahrscheinlich haben sich Allebest und Carlsen vertraglich verpflichtet, Stillschweigen über Inhalte der Doku zu wahren.
Selbst im Schach ist das Konzept, per Influencer die eigene Reichweite zu steigern, nicht ganz neu. Mittlerweile laden diverse Open gezielt Influencer als Teilnehmer ein, damit auf deren Kanälen übertragen wird. Kaum ein Turnier von Weltrang bittet nicht Sagar Shah und dessen Team dazu, auf dass die ihr Millionenpublikum mit Eindrücken, Episoden und Stimmen versorgen. Auch bei der Global Chess Tour ist das Cheerleading von ChessBase India Teil des Programms.
Aber das vom indischen Tech-Milliardär Anand Mahindra und der FIDE als Partner angeschobene Spektakel geht weiter. Die Global Chess Tour produziert gezielt exklusive Inhalte, Bilder, Clips, Eindrücke von hinter den Kulissen etwa, die sie in allen Sprachräumen ausgewählten Schachpublizisten zur Verfügung stellen. Im deutschsprachigen Raum etwa bekam (unter anderem?) diese Seite eine Anfrage. Sie könnte mit exklusiven Carlsen-, Nakamura- oder Pähtz-Inhalten das eigene Publikum erweitern – und das der GCL gleich mit.
In diversen Ländern wird es so laufen, hier nicht. Neben den Carlsens und Nakamuras sowie einem Dutzend Inder ist die Global Chess League gespickt mit Spielerinnen und Spielern, die an Sergey Karjakins Z-Propagandaturnieren teilgenommen haben. Diese Seite sieht von Turnier-Berichterstattung über einen Link zu den Livepartien hinaus ab.
Schade, dass sich die “Welt” einen der uninteressantesten Wettbewerbe ausgesucht hat, die es gibt. Es geht um nichts. Die Spieler:innen sind irgendwie zusammengewürfelt.
Man könnte das gleich WM nennen und von Düsseldorf sponsern lassen …
Ich vermisse die Perlen sehr und freue mich, wenn sie wieder aktiv sind.
Wohin ist denn Conrad verschwunden?
[…] und Social-Media-König geschuldet sein. Gerade in Richtung Top 20 fließt dank eSport, Global Chess League und Freestyle mehr Geld denn je. Anlass, eine neue Gewerkschaft zu gründen (die alte hat sich […]
Welt.de ist ja berühmt für seine Leserkommentare, die Hass und Hetze verbreiten. Das ist wohl eher nicht das geeignete Umfeld für Schachspieler.
Ein generell positiver Bericht und am Ende dann “gespickt mit Spielerinnen und Spielern, die an Sergey Karjakins Z-Propagandaturnieren teilgenommen haben” – pfui, ich boykottiere das weitgehend. Verstehe ich das richtig, ab sofort auch keine (positive) Berichterstattung über den Düsseldorfer SK? Der hat ja mit Raunak Sadhwani einen ausländischen Stammgast der Karjakin-Turniere verpflichtet und in der ersten Doppelrunde auch eingesetzt – wenn auch vielleicht nur mangels Alternativen (sonst hätte Wadim Rosenstein selbst spielen müssen?). Oder gilt “kommt drauf an”? Laut einem Kommentar in der Lichess-Liveübertragung waren englische Autoritäten auch flexibel: keine Visa für Nepomniachtchi (Aushängeschild dabei mit differenzierter eigener Meinung – gegen… Weiterlesen »