In dem frühen 90er-Jahren, als Internet in Bielefeld keine Selbstverständlichkeit war, begab sich der Schreiber dieser Zeilen abends oft ins Rechenzentrum der Universität. Nicht um zu studieren, sondern um Schach zu spielen. Er hatte diese Plattform namens ICS entdeckt (wenig später in “ICC” umbenannt), die Unglaubliches möglich machte: Schach spielen mit Leuten aus aller Welt. Am Uni-Rechner war nicht mehr zu tun, als “seek 5 0” einzutippen, und bald ploppte eine Fünf-Minuten-Blitzpartie auf. Der Gegner, oft tausende Kilometer entfernt, hatte an seinem Rechner ebenfalls “seek 5 0” eingetippt. So fanden wir einander. Wahnsinn.
Der Internet Chess Club war nie weg, aber er ist im Lauf der Jahre bedeutungslos geworden. Als kommerzieller Anbieter dominiert chess.com den Markt, als freier Anbieter Lichess. Alle anderen sind Nische.
Nun kursiert in der internationalen Schachszene seit Monaten das Gerücht, der ICC komme zurück, und zwar mit Karacho. Es hätten sich Investoren gefunden, und es habe sich ein professionelles Team formiert, das den aus der Zeit gefallenen Laden reanimieren und neu hinstellen will.
Wer und welches Konzept dahintersteckt, wie sich die Sache rechnen soll, bleibt vorerst unbekannt, aber es mehren sich die Zeichen, dass an dem Gerücht etwas dran ist. Vor kurzem sah plötzlich die Website ganz anders aus als bisher. Seit heute, 1. September 2024, ist die neue Spielplattform des ICC online.
Auf der Website heißt es:
“Kurz nach seiner Gründung 1995 wurde der ICC die erste globale Schachgemeinschaft, die ursprüngliche Heimat des Online-Schachs und die Geburtsstätte neuer, unterhaltsamer Spielweisen wie Bullet-Schach. Im Jahr 2024 wird ICC chessclub.com mit demselben Pioniergeist, aber mit neuer Energie und neuen Ideen wiederbelebt. Wir sind entschlossen, den König der Spiele zugänglicher, unterhaltsamer und fesselnder zu machen als je zuvor. Zuerst brachten wir das Online-Spielerlebnis zu den Schachspielern. Jetzt bringen wir das Schacherlebnis zu den Online-Gamern.”
Einem Beitrag auf Reddit zufolge wird die alte Plattform und deren Interfaces bald abgeschaltet. Die neue werde eine Bezahl- ebenso wie eine kostenlose Mitgliedschaft anbieten. Jetzt geht es darum, auf der neuen Plattform Schachbetrieb zu generieren. Das soll auf zwei Weisen passieren: Diejenigen, die noch auf der alten spielen, sollen nach und nach auf die neue gelotst werden, außerdem soll auf der neuen Plattform gezielt ein neuer Spielerinnen- und Spielerpool aufgebaut werden.
Das funktioniert über Kooperationen, etwa mit dem Schachverband aus Norwegen oder, wie gestern bekannt wurde, mit dem Berliner Schachverband. Dessen Mitglieder sollen finanzielle Anreize (vier Preise à 75 Dollar) bewegen, in den ersten Septembertagen möglichst viel auf dem ICC zu spielen. Zu den finanziellen Anreizen kommen große Namen als potenzielle Gegenspieler. Der ICC wird mit einigen bekannten Meisterinnen und Meistern kooperieren, sodass die Chance besteht, etwa eine Blitzpartie gegen den argentinischen Wunderknaben Faustino Oro zu spielen.
Die Geschichte des ICC begann am 15. Januar 1992, als der erste Internetschachserver (ICS) online ging. Anfangs loggten sich die Spieler über Telnet ein, und das Brett wurde als ASCII-Text angezeigt. Im Laufe der Zeit wurden immer mehr Funktionen hinzugefügt, in erster Linie eine grafische Oberfläche, dazu zum Beispiel eine ICC-Elo.
Der Computerwissenschaftler Daniel Sleator (Wikipedia) überarbeitete in diesen ersten Jahren den von anderen geschriebenen Servercode grundsätzlich – und erhielt Kaufangebote von Unternehmen, die das Onlineschach-Angebot vermarkten wollten. Daraufhin ließ er seinen Code rechtlich schützen.
Am 1. März 1995, der heute als Geburtstag des ICC gilt, kündigte Sleator an, den ICS in ICC umzubenennen und zu kommerzialisieren. Fortan spielten Titelträger gratis, andere mussten zahlen. Als erster „Pay-to-Play-Schachserver” hatte der ICC zehn Jahre später 30.000 zahlende Mitglieder. Aber die Kommerzialisierung des ICC sahen viele Nutzer wie ursprüngliche Programmierer kritisch. Aus dieser Gegenbewegung entstand der bis heute aktive „Free Internet Chess Server“ (FICS).