Warum eigentlich werden zwei der aufregendsten Veranstaltungen jedes Jahr in fünf Tage gequetscht? Warum müssen jetzt hunderte Schachmeister*innen nach Kasachstan fliegen anstatt eines Dutzend Auserwählter? Warum gibt es bei der Schnellschach- und Blitz-WM keine Qualifikationsstufen, offen für alle, über das Jahr verteilt, die am Ende in einer WM gipfeln, bei der die Besten um die Titel kämpfen? Die gerade in Reykjavik beendete 960-Weltmeisterschaft hat gezeigt, wie das geht.
Bevor die Schnellschach- und Blitz-WM im Sinne eines Formats reformiert ist, das den Planeten schont und dem “gens una sumus” gerecht wird, werden einige Jahre vergehen. Es hat sich um die Turniere seit 2012 eine Tradition gebildet, und mit einer solchen zu brechen, tut sich nicht nur der Schachsport schwer.
Das traditionelle Prozedere um die seit 2012 im gegenwärtigen Format, große Schweizer-System-Turniere zwischen Weihnachten und Neujahr, ausgetragenen Weltmeisterschaften beginnt jedes Jahr mit einem kollektiven Rätselraten, das etwa im September einsetzt und sich in den Wochen danach zu einem Rumoren verstärkt, je näher der 26. Dezember rückt. Traditionell recht kurzfristig gibt dann die FIDE bekannt, wo die Turniere stattfinden, und der Tross der Spielerinnen und Spieler kann endlich buchen.
2021 ergab sich pandemiebedingt ein Kurzfristigkeitsrekord. In Kasachstan, wo der Wettbewerb stattfinden sollten, erließ die Regierung Corona-Regelungen, die das Turnier unmöglich machten. Kurzfristig sprang die polnische Hauptstadt Warschau ein. Am 10. Dezember erst war offiziell, dass es auch 2021 eine Rapid- und Blitz-WM geben wird und wo sie stattfindet.
Dieses Jahr ging es etwas schneller. Heute hat die FIDE bekanntgegeben, dass die “FIDE World Rapid & Blitz Championships”, so der offizielle Name, vom 26. bis 30. Dezember 2022 in Almaty, Kasachstan, stattfinden, dem Land, in dem 2012 die Tradition begann, seinerzeit in der Hauptstadt Astana.
Beim Schnellschach 2022 in Almaty werden im offenen Turnier an drei Tagen 13 Runden Schweizer System gespielt, im Frauenturnier 11 Runden. Das “World Blitz” wird ebenfalls ein Schweizer-System-Turnier sein: 21 Runden für das offene Turnier und 17 für das Frauenturnier an den letzten beiden Tagen. Das hat jetzt FIDE-Geschäftsführer Emil Sutovsky auf Anfrage von chess.com bestätigt.
Hauptsponsor der Veranstaltung ist Freedom Finance, eine zu Freedom Holdings (Nevada, USA) gehörende Investmentgesellschaft, die in den Bereichen Investmentbanking, Vermögensverwaltung und Kapitalmarktdienstleistungen tätig ist. Das Unternehmen besitzt unter anderem die kasachische Bank Freedom Finance, den Online-Shop Freedom24 und den kasachischen Broker Freedom Finance JSC.
Eine neue Tradition besteht darin, dass alles, was die FIDE tut, hinsichtlich russischer Verbindungen/Geldgeber und Sportswashing genauer denn je unter die Lupe genommen wird. Abzusehen ist, dass die Schnell- und Blitzschach-WM in dieser Hinsicht die eine oder andere Offenbarung mit sich bringen wird. Hinter dem Hauptsponsor steht der Milliardär Timur Turlov. Der gebürtige Russe (34, sechs Kinder) hat als schillernde Figur der Finanzszene mit seinem ungewöhnlichen Geschäftsmodell in der jüngeren Vergangenheit Schlagzeilen gemacht.
Für die Schnellschach-Weltmeister Nodirbek Abdusattorov sowie Alexandra Kosteniuk und Blitz-Weltmeister Maxime Vachier-Lagrave sowie Bibisara Assaubayeva brechen nun die letzten Wochen ihrer Regentschaft an – außer es gelingt ihnen, ab dem 26. Dezember in Kasachstan ihre Titel zu verteidigen.
Vier Monate später wird eine weitere Weltmeisterschaft auf dem Programm stehen, die “richtige” – womöglich in Mexiko? FIDE-Präsident Arkady Dvorkovich hat in einem Interview in Russland durchblicken lassen, es gebe mexikanisches Interesse am WM-Match 2023. Auch in China bestehe Interesse, das Match zwischen Ian Nepomniachtchi und Ding Liren auszurichten, aber dem Weltverband sei “ein neutraler Ort” lieber.
Schade, dass auf dieser Seite sprachentstellendes Gendern Einzug hält.
Ich kann die Kritik am Modus eigentlich nicht teilen. Für mich sind beide Events gerade wegen der Austragungsform echte Highlights in der Zeit um den Jahreswechsel geworden (knapp vor der Vierschanzentournee). Wann messen sich wirklich einmal (fast ausnahmslos) alle Top-Spieler der Schachwelt direkt in einem Turnier miteinander. Ich habe 2015 die WM in Berlin besucht und war absolut begeistert von der intensiven Atmosphäre. Ein kurzrundiges Turnier an 4 oder 5 Brettern, wie wir es nun kürzlich in Reykjavik gesehen haben, hätte für mich nicht halb so viel Charme. Das ist natürlich mein subjektiver Blick aus der Zuschauer-Perspektive. Die Spieler selbst… Weiterlesen »
Ich empfinde es schon seit langem als beschämend für unseren schönen Sport, dass immer wieder Turniere an Länder vergeben werden, die die Menschenrechte mit Füssen treten. Kasachstan ist eine Diktatur, und liegt im internationalen Demokratieindex derzeit auf Rang 128.
Nur so nebenbei: Kuwait auf Rang 110 😉
[…] plane, die Rapid- und Blitz-WM zu spielen (zum Zeitpunkt der Fragestunde stand der Ort noch nicht fest, Anm. d. Red.). Daran […]