“Ding Liren und ich, wir kämpfen noch”: Stev Bonhage, der Kandidaten-Fotograf

Niemand ist so nahe dran wie er, niemand außer Spielern und Schiedsrichtern verbringt so viel Zeit im Spielsaal des Kandidatenturniers. Von einem Tag auf den anderen ist sein Name zu einem der meistgenannten im internationalen Schach geworden.

Stev Bonhage, Rufname “Stevo”, geboren in Aschersleben, aufgewachsen bei Hamburg und in Schweden, lebt das Leben eines fotografierenden Globetrotters. Auf Sportfotografie spezialisiert, hat er unter anderem die Formel 1, die UFC oder Red-Bull-Sportler in Szene gesetzt. Jetzt ist Bonhage mit seinem Bürstner-Wohnmobil in Madrid beim Kandidatenturnier vorgefahren. Im Interview mit den Perlen, geführt am ersten Ruhetag des Wettbewerbs, erzählt Bonhage, wie er zum Spitzenschach gekommen ist, wie er dieses für ihn neue Umfeld erlebt – und was das mit Christiano Ronaldo zu tun hat.

Fotos: Maria Emelianova/chess.com, Stev Bonhage/FIDE

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Stev Bonhage am zweiten Ruhetag des Kandidatenturniers nach der sechsten Runde. | Foto: David Llada/FIDE

Stev, was führt dich zum Schach?

Ich spiele leidenschaftlich gerne, interessiere mich für die Geschichte des Spiels, auch für die Politik drumherum. Schach begleitet mich schon lange. Vor ein paar Monaten hat meine Freundin gefragt, warum ich Schach nicht in meine Arbeit einbaue, wenn ich mich doch ohnehin so viel damit beschäftige. Gute Frage! Also habe ich der FIDE meine Fotografie angeboten, umsonst sogar…

…wie, bitte?

Anfangs umsonst, und wenn ihnen gefällt, was ich tue, können wir darüber reden, ob und unter welchen Konditionen wir längerfristig zusammenarbeiten, das war mein Angebot. So handhabe ich es mit allen Kunden, immer schon. Die FIDE konnte das allerdings nicht recht einordnen (schmunzelt). Nach einiger Zeit schrieb FIDE-Marketingchef David Llada zurück. Er entschuldigte sich für die späte Antwort und ließ durchblicken, das sei ein ungewöhnliches Angebot gewesen. Sie würden gerne beim Kandidatenturnier mit mir zusammenarbeiten – aber gegen Bezahlung. Wir haben dann miteinander geredet, jetzt bin ich hier.

Du beschreibst dich als „introvertierten Freak“, der voll in seiner Arbeit aufgeht und daneben kaum etwas anderes macht. Damit müsstest du gut ins Schach passen. Wie erlebst du als Fotograf die WM-Kandidaten?

Die hatten noch nie meinen Namen gehört, sahen die tätowierten Arme und fragten sich wahrscheinlich erstmal, wer dieser Typ ist. Aber ich glaube, sie haben relativ schnell gemerkt, dass ich genauso in meiner Sache aufgehe wie sie in ihrer. Mein einziges Interesse in Madrid ist, fotografisch ihre Geschichten zu erzählen. Ich will Bilder produzieren, die Aufmerksamkeit fürs Kandidatenturnier und fürs Schach wecken. Wenn Leute hingucken, sagen „cooles Bild“ und sich damit beschäftigen, was zu sehen ist, dann habe ich alles richtig gemacht.

Teilen die Spieler dein Interesse?

Mittlerweile stellen sich erste Momente der Zusammenarbeit ein. Nepo zum Beispiel hat gestern einmal gewartet, um mir nicht das Bild kaputtzumachen, und ist erst weitergegangen, als ich fertig war. Wir haben einander kurz angeschaut, stummes Einverständnis. Ich hoffe, dass das im Lauf der kommenden Wochen noch stärker wird. Wir lernen einander gerade erst kennen.

Stummes Einverständnis: Ian Nepomniachtchi inspiziert den Palast. | Foto: Maria Emelianova/chess.com

Du hast mit Spitzensportlern gearbeitet, mit Stars aus dem Showgeschäft oder Politikern. Was unterscheidet das Schach-Kandidatenturnier von anderen Anlässen, die du fotografierst?

Beim Schach, mehr als anderswo, genießen die Allerbesten nach meinem Eindruck fast einen gottgleichen Status, und das schlägt sich darin nieder, wie das Umfeld mit ihnen umgeht. Insofern ist meine unbefangene Herangehensweise wahrscheinlich neu, mein Hintergrund auch, vielleicht bringe ich frischen Wind rein. Wenn es um Fotografie geht, nehme ich kein Blatt vor den Mund, dann bin ich zu allen Beteiligten sehr direkt und mache die Dinge so, wie ich sie machen muss, um das beste Ergebnis zu bekommen.

Kein Blatt vor dem Mund?

In der UFC kann ich zu einem Kämpfer sagen „Halt die Klappe, komm her, ich brauch dich für ein Foto“…

…oje. Wie reagiert Ding Liren auf diese Art der Ansprache?

(Lacht) Ich passe meinen Ton schon den Umständen an, und, wie gesagt, wir lernen einander ja noch kennen. Ich will nur ausdrücken, auch als der Neue beim Schach kann ich mit den Subjekten meiner Fotografie nicht umgehen wie ein Siebenjähriger, der Christiano Ronaldo trifft. Das würde zu nichts führen. Zwischen Fotograf und Subjekt muss eine gewisse Energie fließen.

“Zwischen Fotograf und Subjekt muss Energie fließen”. | Foto: Stev Bonhage/FIDE

Wie läuft für dich ein Spieltag ab?

Spätestens um 12, drei Stunden vor Spielbeginn, bin ich da. Ich mache dann schon ein paar Fotos, aber vor allem will ich präsent sein. Die Leute sollen mich wahrnehmen, mich kennenlernen, sich an meine Anwesenheit gewöhnen, und sie sollen merken, dass ich ein größeres Interesse habe als das, ein paar Bilder zu machen. Gegen 14.30 Uhr kommen die Spieler, ich fotografiere die Ankunft.  Später im Spielsaal bin ich neben Maria Emelianova, Niki Riga und einem Videografen von chess.com einer von Vieren, die sich frei um die Tische bewegen dürfen. Die anderen Pressefotografen müssen nach einigen Minuten den Saal verlassen, wir dürfen bleiben.

Bist du durchgehend im Spielsaal?

Nein, aber viel mehr als die anderen. Ich will besondere Augenblicke einfangen, aber es hat auch damit zu tun, einfach anwesend zu sein, sodass die Spieler sich daran gewöhnen und Vertrauen aufbauen. Dazu kommt, die anderen drei haben viel mehr Erfahrung mit Schach als ich, die können sich Auszeiten nehmen und verpassen trotzdem nichts. Von Maria zum Beispiel kann ich viel lernen, sie hat ein tolles Timing. Maria weiß genau, wann der Händedruck kommt, und sie steht auf den Punkt an der richtigen Stelle, um ihr Foto zu machen.

Welche Spieler stechen aus Fotografensicht heraus, welche bieten die meisten Augenblicke an?

Am meisten Spaß machen natürlich Nepo und Nakamura. Diese Mimik! Was in deren Gesichtern vor sich geht, finde ich wundervoll.

Und die anderen?

Ding Liren scheint ein wenig irritiert zu sein, er fühlt sich noch nicht komfortabel. Ich glaube, das hängt mit seiner Niederlage in der ersten Runde zusammen. Außerdem ist er alleine hier. Ding hat mir schon einen Blick zugeworfen, der sagte: „Muss das jetzt sein?“ Ich habe trotzdem weiterfotografiert, weil: Manchmal muss das sein. Wir beiden haben noch miteinander zu kämpfen.

“Funky”: Richard Rapport. | Foto: Stev Bonhage/FIDE

Richard Rapport kommt wie ein Rockstar zu den Runden.

Rapport finde ich funky, sehr zurückhaltend, aber auch sehr offen. Gestern hat er mit seinem ersten Zug gewartet, bis ich an seinem Tisch meine Arbeit erledigt hatte. Auch das ein stummes Einverständnis: Ich warte, bis du dein Ding gemacht hast, und dann mache ich meines.

Alireza Firouzja?

Der ist in seiner eigenen Welt unterwegs. Was um ihn herum passiert, ob ich gerade fotografiere oder nicht, kümmert ihn nicht großartig. Jan-Krzysztof Duda nehme ich ähnlich war. Der ist da und macht sein Ding, keine Wellen in der Ausstrahlung wie bei Nakamura oder Nepo. Radjabov ist sehr entspannt, sehr cool. Er lässt sich vom Trubel um ihn herum nicht ablenken.

“In seiner eigenen Welt”: Alireza Firouzja. | Foto: Stev Bonhage/FIDE

Hattest du Gelegenheit, die Spieler kennenzulernen?

Kaum. Mit Fabiano Caruana habe ich bei der Eröffnung ein paar Worte gewechselt. Mir war es ein Bedürfnis, ihm zu sagen, wie gut ich es fand, dass er sich den Fragen bei der Auftaktpressekonferenz gestellt hat. Die Spieler stehen aus meiner Sicht in der Verantwortung, daran mitzuarbeiten, dass ihr Sport wächst. Er ist dem gerecht geworden, das fand ich toll.

Einige Beobachter fanden es gar nicht toll, dass die anderen sieben sich nicht haben blicken lassen.

In ihrem Interesse wäre es gewesen. Fragen zu beantworten, sich zu zeigen, gehört einfach dazu. Nicht an Kindern vorbeizugehen, die gerne ein Autogramm auf ihrem Schachbrett hätten, gehört auch dazu. Caruana, Rapport, Duda nehmen sich diese Zeit, aber nicht alle. Ich verstehe natürlich, dass die Spieler vor der Partie in ihrem Tunnel sind, das Phänomen kenne ich aus meiner Kunst aus eigener Erfahrung. Aber die WM-Kandidaten sind nun einmal herausragende Vertreter ihres Sports, und als solche müssen sie im Sinne ihres Sports Kompromisse machen.

Zuschauersport zu sein, lernen wir beim Schach gerade erst.

Das ist normal, andere mussten das auch lernen. Bei der Arbeit für Red Bull oder MMA, in deren frühen Jahren, habe ich viele Sportler erlebt, die wollten trainieren, trainieren, trainieren und fanden, dass sie keine Zeit für Interviews, PR-Termine oder dergleichen haben. Heute sind sie dafür sensibilisiert, und das ist die Grundlage für deren Sportarten zu wachsen. Die jüngste Entwicklung von MMA ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein Sport wächst, wenn er und seine Protagonisten sich medial offen präsentieren. Ich hoffe, dass Schach eine ähnliche Entwicklung nimmt.

Fabiano Caruana und FIDE-Marketingchef David Llada. | Foto: Maria Emelianova/chess.com

Im Vergleich mit anderen Sportarten ist Schach optisch limitiert. Du hast auf begrenztem Raum eine begrenzte Auswahl von Motiven, keine Bewegung, keine Dynamik, mit der du arbeiten könntest. Wie kreierst du unter diesen Umständen drei Wochen lang immer neue Ansichten?

Wiederholungen werde ich wahrscheinlich nicht vermeiden können. Es gibt natürlich einfach ein paar Grundtechniken der Fotografie, mit denen ich arbeite. Schärfentiefe, Drittel-Regel, Vorder- und Hintergrund, solche Dinge. Abseits vom Handwerkszeug repräsentiert jedes Bild eine Idee. Die Idee ist plötzlich da, woher sie kommt, kann ich dir auch nicht sagen, und dann entsteht aus der Idee ein Foto. Manchmal erahne ich Dinge vorher, aber oft passiert es spontan. Im Gespräch mit Ulrich Stock von der Zeit habe ich das gestern mit Nakamuras 41…c3 gegen Firouzja verglichen, ein schwieriger Zug, den der Computer lange berechnen muss, aber Nakamura hat ihn einfach aufs Brett gehauen. Er hat die Situation mit einem Blick erfasst. So ähnlich ist es bei mir und meinen Fotos. 

Ob Faustkampf, Formel 1 oder Schach, du machst im Grunde immer dasselbe.

Wenn du so willst. Ich bringe mein Handwerkszeug und wende es an, entwickle Ideen, aus denen Bilder entstehen. Dazu kommt noch ein dritter Aspekt, der meinen Stil prägt: Jeder Sport, jede Veranstaltung hat eine spezifische Atmosphäre. Die gilt es, in die Bilder zu übertragen. Aus diesen drei Zutaten entstehen meine Fotos.

“Oft passiert es spontan”: Jedes Bild repräsentiert eine Idee. | Foto: Stev Bonhage/FIDE
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