Matthias Blübaum – Europameister 2022

Der deutsche Nationalspieler Matthias Blübaum ist Europameister 2022. Mit einem Remis in der Schlussrunde gegen den Titelträger 2018 Ivan Saric (Kroatien) sicherte sich der Mathematikstudent aus Bielefeld den Titel. Mit 8,5 Punkten aus 11 Partien beendete Blübaum den Wettbewerb punktgleich mit seinem ärgsten Konkurrenten Gabriel Sargissian, lag aber nach Wertung vor dem Armenier. Da Blübaum seine Punkte gegen etwas stärkere Gegner erzielt hat, gewann er den Titel und 17.500 Euro Preisgeld.

Matthias Blübaum beim Schachgipfel 2020. | Foto: Arne Jachmann/Deutscher Schachbund

Blübaum ist der erste Deutsche, der die seit dem Jahr 2000 ausgetragene Europameisterschaft gewonnen hat. Schon im vergangenen Jahr hatte Vincent Keymer am Titel gekratzt, musste aber letztlich hauchdünn dem Russen Anton Demchenko den Vortritt lassen. Keymer wurde Zweiter. Blübaum löst nun Demchenko als amtierenden Europameister ab. Dank eines Eloplus von 20 Punkten sitzt er nun auch in der deutschen Rangliste Vincent Keymer wieder im Nacken.

Im zweiten Drittel des elfrundigen Schachmarathons in Slowenien hatte es sogar ausgesehen, als würde der mehr und mehr zu Galaform findende Blübaum das Feld deklassieren. Mit einer Elo von 2642 als nominelle Nummer 20 des gut 300-köpfigen Feldes gestartet, setzte Blübaum nach seinem enttäuschenden Auftaktremis gegen den slowenischen IM Jernej Spalir zu einer Siegesserie an, die an Fabiano Caruanas Lauf 2014 in Saint Louis erinnerte. Seinerzeit gewann der der US-Amerikaner seine sieben Auftaktpartien und distanzierte am Ende die Weltklasse-Konkurrenz mit 8,5 Punkten Punkten aus 10 Partien sowie einer seitdem nie übertroffenen Elo-Performance von 3103.

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Bei Blübaum sollten es nach dem Auftaktremis sechs Siege am Stück sein, die anfangs ein wenig wackelig zustandekamen. Aber das änderte sich, als es dem kommenden Kontinentalmeister in Runde fünf gelang, sich einen schwer erkämpften Sieg über seinen Angstgegner zu sichern, den serbischen Großmeister Velimir Ivic:

https://youtu.be/wC12wgH3kOQ
Sieg Nummer vier gegen Velimir Ivic.

Diesem vierten Sieg am Stück folgte sogleich der fünfte, mit Schwarz erzielt über den türkischen Großmeister Emre Can, der zwar ein unschuldig aussehendes Endspiel erreicht hatte, aber nach seinem ersten Fehler sogleich entscheidend ins Hintertreffen geriet. Tags darauf Sieg Nummer sechs, bei dem Blübaum den ukrainischen Spitzengroßmeister Yuriy Kuzubov aussehen ließ wie einen Schach-Lehrling. Die Eröffnung war kaum überstanden, da begann Kuzubovs Bastion schon zu kollabieren.:

Sieg Nummer sechs gegen Yuriy Kuzubov.

Mit nun 6,5/7 hatte der bis dahin auf 2950-Level spielende Blübaum das Feld der gut 300 Schachmeister:innen um einen Zähler distanziert – bis auf Gabriel Sargissian. Der saß Blübaum hartnäckig mit einem halben Punkt Rückstand im Nacken – und sollte in der achten Runde die weißen Steine gegen den Deutschen führen.

Das geht? Das geht! 11…e5!, und Sargissian mochte nicht weiterspielen.

Seine Chance, mit Hilfe des Anzugsvorteils in dieser achten Runde das Turnier zu seinen Gunsten zu drehen, sah der 2681 Elo schwere Armenier schon nach elf Zügen nicht mehr. Womöglich war ihm entgangen, dass Blübaum dank einer taktischen Finesse einen befreienden Vorstoß im Zentrum durchsetzen konnte. Damit war die Stellung vollständig ausgeglichen. Sargissian bot remis an, Blübaum akzeptierte – und blieb vorne.

Nach einem etwas überraschenden Kurzremis Blübaums aus angenehmer Stellung in Runde neun gegen seinen Nationalmannschaftskameraden Liviu Dieter Nisipeanu sowie einem Schwarzremis aus der Position der Stärke gegen den Franzosen Maxime Lagarde in Runde zehn hatte Sargissian vor der letzten Runde doch noch zu seinem Rivalen aufgeschlossen.

Trotzdem versuchte Sargissian in Runde elf gar nicht erst, Blübaum auf dem letzten Stück der Zielgeraden den Titel zu entreißen, mutmaßlich seiner schlechteren Wertung wegen, die Blübaum zum massiven Titelfavoriten machte. Sargissian gab seine Partie schnell remis – und doch wurde diese letzte Runde aus deutscher Sicht zu einer Zitterpartie, weil Ivan Saric gewillt war, mit den schwarzen Steinen alles oder nichts zu spielen: Entweder würde er selbst ganz oben landen oder ins obere Mittelfeld zurückfallen, so das Kalkül des bei 7,5/10 liegenden Titelträgers von 2018.  

Matthias Blübaum im Gespräch mit dieser Seite, nachdem er vor zwei Jahren mit 2670 Elo erstmals die deutsche Nummer eins geworden war. An diesem bisherigen Höchstwert ist er nun wieder nahe dran.

Der Kroate setzte Blübaum seinen Königsinder vor, eine eindeutige Kampfansage. Blübaum konterte, indem er per Abtauschsystem versuchte, erst gar keine Zweischneidigkeiten aufkommen zu lassen. Aber es ergab sich ein Endspiel, in dem der Kroate mit Läuferpaar und Kompensation aussichtsreich gegen den weißen Mehrbauern arbeiten konnte.

Blübaum entschloss sich, ein zweites Mal die Stellung so weit wie möglich von Ungleichgewichten zu befreien. Er gab den Bauern zurück, bekam dafür Sarics Läuferpaar – und ein etwas schlechteres Endspiel, das es nun zu halten galt. Diesen Job erledigte der 25-Jährige souverän. Nach 45 Zügen und gut vier Stunden Spielzeit stellte Ivan Saric die Gewinnversuche ein, bot remis an – und gratulierte Blübaum zum Titel.

Die Entscheidungspartie:

Liviu Dieter Nisipeanu und Julian Kramer, die vor der Schlussrunde mit sieben Punkten aus zehn Partien aussichtsreich im Rennen um die Qualifikation für den World Cup 2023 gelegen hatten, haben ihre letzten Partien der Europameisterschaft 2022 verloren. Beide haben die Qualifikation verpasst.

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Markus
Markus
1 Jahr zuvor

Vielen Dank für die überragenden Videos und die aktuelle Berichterstattung auf höchstem Niveau!!

Silvio
Silvio
1 Jahr zuvor

Glückwunsch an GM Blübaum – Riesenerfolg für den Lemgoer / Ostwestfalen!
SEHR gut gemacht!!

Und danke an die Perlen für die professionellen prompten Informationen –
auch gut gemacht!

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[…] — Deutscher Schachbund (@Schachbund) July 31, 2022 “Das hatte ich mir zum Glück heute Morgen angeguckt”, Matthias Blübaum, Europameister. […]

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