Nur Nepo ist durch: Ins Ziel remisieren geht nicht, Siege müssen her

Heute gilt’s. Nach drei von vier Spieltagen der Vorrunde beim “Air-things Masters” hat sich Vincent Keymer in eine exzellente Position gebracht, die K.o.-Endrunde der besten acht Spieler des Turniers zu erreichen. Mit 20 von 36 möglichen Punkten liegt Keymer nach 12 Runden auf dem geteilten 2. Platz des 16-köpfigen Feldes. Heute ab 18 Uhr erwarten ihn die drei abschließenden Partien gegen Praggnanandhaa, Quang Liem Le und Eric Hansen, danach wird abgerechnet.

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Keymer-Coach Peter Leko war nervös geworden, lange bevor das Turnier begonnen hatte. Als er zum ersten Mal das Teilnehmerfeld sah, wurde ihm klar, dass seine beiden Schützlinge aufeinandertreffen würden: Keymer und Ian Nepomniachtchi, dem Leko im WM-Kampf gegen Magnus Carlsen zur Seite gestanden hatte.

Zum Auftakt des dritten Turniertages war es so weit. Keymer mit Weiß gegen Nepomniachtchi, der mit erstaunlicher Leichtigkeit durchs Weltklassefeld gepflügt war. “Hoffentlich halten meine Nerven das aus”, so Leko.

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Wer gegen Nepo spielt, der weiß, dass er von Beginn an auf der Uhr unter Druck steht. In kaum einer Partie hat der Russe mehr als fünf Minuten Bedenkzeit investiert. Das führt zwar zum einen oder anderen Überseher, aber eben auch zu einer anhaltend unkomfortablen Lage seiner Gegenspieler, unabhängig vom Geschehen auf dem Brett.

Keymer ist aus Lekos Sicht vom gegenteiligen Phänomen betroffen. Zwar ist Leko voll des Lobes über die bisherigen Partien und Ergebnisse des 17-Jährigen, aber er wäre ein schlechter Coach, würde er nicht etwas finden, das sich verbessern ließe. Leko hat etwas gefunden, den Zeitverbrauch. “Vincent müsste etwas schneller spielen”, wünscht sich der Ungar.

In der Partie Keymer-Nepo zeigte sich, dass vor allem Nepo gelegentlich etwas langsamer spielen sollte.

Der Stellung nach war der volle Punkt für den Russen greifbar. Es hätte ihm nicht geschadet, von seinem konstant bei etwa 15 Minuten stehenden Bedenkzeitvorrat die eine oder andere Minute zu verbrauchen, um sicherzustellen, dass er seinen gewinnträchtigen Vorteil verwertet. Stattdessen entkam Keymer mit einem Remis: in der neunten Runde die erste Partie, in der der Deutsche mehr holte, als der Stellung nach drin war. Bis dahin war es eher andersherum gelaufen, speziell gegen die Schachfreunde Ding, Aronian und Esipenko, gegen die Keymer durchaus drei Punkte statt eines halben hätte holen können.

Gegen Keymer ließ Nepo wegen zu schnellen Spiels den Gewinn aus, hier hätte er verlieren können. Anstatt per Kh2 den Punkt h3 zu decken, hatte er gerade damit zum Einschlag auf h3 eingeladen: Schwarz bedient sich doppelt auf h3, lässt …Tf3 folgen und gewinnt. Liem Quang Le entging diese Möglichkeit.

Keymers spannendste Partie des Tages folgte nach dem glücklichen Remis gegen Nepo. Nach seinem sensationell stark absolvierten Auftaktprogramm gegen ausschließlich Elitegroßmeister von WM-Kandidaten-Format sollte Keymer in Runde zehn gegen Alexandra Kosteniuk zum ersten Mal nomineller Favorit sein.

Die Russin, Führende in der Kampfgeist-Wertung, sollte auch den dritten von drei Tagen mit ausschließlich Niederlagen beenden. Umso respektabler ihre Vorstellung gegen Vincent Keymer, den sie zeitweise gehörig unter Druck setzte und in eine auf des Messers Schneide stehende Zeitnotschlacht zwang, in der beide Seiten darum rangen, die Initiative an sich zu reißen.

https://youtu.be/NK_YjzJ2s_A
Kosteniuk vs. Keymer: ein hin- und herwogendes Gefecht mit dem besseren Ende für den Deutschen.

Alexandra Kosteniuk wird auch heute wieder das Visier runterklappen und versuchen, eine ihrer letzten drei Chancen auf den Ehrenpunkt zu nutzen.

https://twitter.com/chessqueen/status/1495877044919541762

Nach dem Sieg über Kosteniuk folgte für Keymer eine Niederlage gegen Vladislav Artemiev, der sich seine strategische Glanzpartie des Turniers für die elfte Runde aufgespart hatte. Alexander Yermolinsky kommentiert das instruktive Duell auf chess.com.

Nachdem er von Artemiev eine Lektion erhalten hatte, war es an der Zeit, eine zu geben. Mit einem sorgsam, geduldig und präzise herausgespielten vollen Punkt gegen Hans Moke Niemann beendete Vincent Keymer den dritten Turniertag.

Der Stand der Dinge vor den letzten drei Runden.

Heute geht es darum, unter die besten acht zu kommen. Sicher hat diese Platzierung nur Ian Nepomniachtchi. Die Spieler dahinter können sich angesichts der Drei-Punkte-Wertung nicht ins K.o.-Finale remisieren, Siege müssen her, das gilt auch für Keymer, das gilt erst recht für die Verfolger.

Schon Keymers erste Partie heute um 18 Uhr, Schwarz gegen Pragg, wird von zentraler Bedeutung sein. Mit 15 Punkten kann der Inder noch von einem Platz unter den ersten acht träumen, ist aber mehr oder weniger gezwungen, mit einem Sieg über Keymer in den finalen Vorrundentag zu starten, will er dieses Ziel erreichen.

Nepo ist durch, alle anderen brauchen noch Siege, um in die K.o.-Runde einzuziehen.
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