Schach und Iran, das sind die Themen, die ich verknüpfen will“, sagt David Eickhoff, Übersetzer für Persisch und Italienisch im Hauptberuf und Schachschüler nebenbei. Als Jugendlicher in den 90er-Jahren hatte er „Battle Chess“ gespielt, eine Spielerei. Vor zwei Jahren erwachte der Ehrgeiz: Eickhoff wollte besser im Schach werden.
Ein Coach war schnell gefunden: Der Cousin von Eickhoffs iranischer Frau arbeitet als Schachtrainer in der iranischen Millionenstadt Maschhad, in der auch der zwischen dem Iran und Deutschland pendelnde Eickhoff zu Hause ist.
Aus Eickhoffs Leidenschaft fürs Spiel erwuchs ein berufliches Projekt. Ohnehin leitet der 33-Jährige seit 2016 Bildungsreisen in den Iran – „warum nicht Schachreisen?“, dachte Eickhoff. Und gründete „Schachreisen Iran“, das im April eine erste schachlich geprägte, knapp zweiwöchige Bildungsreise in den Iran anbieten wird.
Wir haben mit David Eickhoff über ein Land mit einer langen Schachtradition gesprochen, ein Land, das in der Schachszene nicht nur wegen der sportlichen Erfolge seiner jungen Meister und Meisterinnen im Gespräch ist, auch wegen Repressalien, die dazu geführt haben, dass längst nicht nur Alireza Firouzja seiner Heimat den Rücken gekehrt hat.
Herr Eickhoff, nach meinem wahrscheinlich oberflächlichen Eindruck lebt im Iran ein mehrheitlich liberales Volk unter der Knute eines archaischen Regimes.
Da ist was dran. Die Führung mit ihren veralteten Ansichten kann oft nicht mithalten mit dem modernen Leben in den Städten. Das Volk will nicht zurück, die Lebensstile entwickeln sich weiter, die Menschen schaffen sich ihre Freiräume. Viele Menschen, die sich mit dem Iran beschäftigen, berichten von erstaunlicher Freiheit, wie man sie selbst im regelliebenden Deutschland nicht findet. Diese Räume der Unbestimmtheit, fernab vom staatlichen Gerüst, wollen wir auf unseren Reisen erkunden.
Eigentlich sollten ethnische, kulturelle und religiöse Vielfalt den Iran prägen.
Das tun sie, der Iran ist ein Vielvölkerstaat. Zum Beispiel wachsen 20 Prozent der Iraner mit Türkisch als Muttersprache auf, es gibt kurdische und turkmenische ethnische Gruppen, an der Grenze zum Irak lebt die arabische Minderheit, Richtung Pakistan die Belutschen. Außerdem leben sehr viele Flüchtlinge aus dem Nachbarland Afghanistan im Iran, viel mehr als bei uns. Auch religiös ergibt sich ein buntes Bild: neben schiitischen Muslimen, die die Mehrheit stellen, finden wir Sunniten, Christen, Juden, Bahai, Mitglieder der Ahl-e Haqq und viele mehr. Bei all dieser Vielfalt gibt es aber eine Tendenz im Staat: Normal ist es, ein persisch sprechender schiitischer Muslim zu sein. Das führt dazu, dass andere Gruppen oft unterschlagen werden.
Wie zeichnen Sie für Besucher ein umfassendes Bild angesichts all der Strömungen, der Konflikte, der Vielfalt?
Indem wir bei der Auswahl der Gesprächspartner und Vortragsthemen versuchen, viel abzudecken, viele Schlaglichter auf viele Facetten zu werfen. Wir besuchen zum Beispiel eine schiitische Moschee ebenso wie eine christliche Kirche, wir sprechen mit Hochschuldozenten, um die intellektuelle Vielfalt abzubilden. Es gibt Begegnungen mit Geschäftsfrauen, die den Blick auf die weibliche Perspektive ermöglichen, oder mit Vertretern von afghanischen Migrantenorganisationen.
Sind Sie im Land frei, Kritisches anzuschneiden?
Mit einer Gruppe saßen wir in Teheran im Café, wir redeten über das politische System, über die problematische Machtfülle des religiösen Führers. Ein Mitreisender sagte: „Ich hätte nicht gedacht, dass solche Unterhaltungen in der Öffentlichkeit möglich sind.“ Aber das sind sie, wir führen sie, und das hat uns nie Probleme bereitet.
Jetzt wollen Sie auch noch Schach im Iran zeigen.
Die Reisen bleiben kulturell-politische Studienreisen: Wir wollen Menschen begegnen, das Land kennenlernen. Die Schachkomponente kommt neu hinzu. Während der knapp zwei Wochen begegnen wir in mehreren Städten Schachspieler:innen auf Vereinslevel, wir organisieren freundschaftliche Turniere. Außerdem treffen wir Größen des iranischen Schachs, Ehsan Ghaem Maghami etwa, den ersten iranischen Großmeister, der im Land als Koryphäe gilt. Mit ihm organisieren wir eine Masterclass mit anschließendem Simultan.
Mitreisende Frauen müssen wahrscheinlich Kopftuch tragen.
Die Kopftuchpflicht gilt für alle Frauen im öffentlichen Raum, auch Ausländerinnen. Die Frauen im Land legen diese Vorgabe unterschiedlich aus. Sie sehen im Iran Frauen im schwarzen Umhang, dem Tschador, der den ganzen Körper umhüllt; Sie sehen auch Frauen, die sich einen Schal locker über den Kopf legen. In jedem Fall lassen sie sich davon nicht einschränken. Im privaten Raum und in der digitalen Öffentlichkeit zeigen sich erstaunliche Bilder: Folgen Sie ein paar Instagram-Accounts iranischer Influencerinnen und sie werden sehen, wie diese klug mit der Situation umgehen.
Ein Foto der Schach-WM-Schiedsrichterin Shohreh Bayat, das sie angeblich ohne Kopftuch zeigt, hat im Iran erhebliche Wellen geschlagen.
Man muss da zwischen den Echokammern trennen: In der normalen Schachszene hat dieser Fall höchstens für ein Schulterzucken gesorgt. Auf der offiziellen Ebene sah das anders aus: Dort wurde es aufgebauscht. Wer Interesse daran hatte, weiß ich nicht.
Bayat, hieß es, fürchte um ihr Leben, sollte sie zurückkehren.
Um ihr Leben sicherlich nicht, aber sie fürchtete einen Ausschluss aus der offiziellen Schachszene. Vor diesem Hintergrund finde ich ihren Schritt, nach England zu gehen, verständlich – auch wenn das persönlich ein gewaltiger Einschnitt ist. An dem Fall lässt sich auch die schwierige Position von Frauen im Iran aufzeigen. Der Frage, wie sie für ein selbstbestimmtes Leben kämpfen können, gehen manche Frauen aus dem Weg, indem sie sich den Ärger ersparen und lieber ins Ausland gehen.
Der Iran produziert reihenweise junge, sehr starke Schachgroßmeister. Wie kommt das?
2009 gab es in Teheran ein groß beworbenes und medial inszeniertes Match zwischen Lokalmatador Ehsan Ghaem Maghami und Anatoli Karpow, das Ghaem Maghami knapp gewann. Diese dramatische Geschichte mit Happy End hat eine Schachwelle im Land ausgelöst. Einige Jahre später war die iranische Jugendnationalmannschaft schon Weltklasse – mit der Hilfe von Ghaem Maghami, der den Nachwuchs trainiert hat. Aktuell beklagt er allerdings Stagnation. Die Nachwuchsförderung habe zuletzt unter Querelen im Verband gelitten.
Auch 2009 kam das Schach im Iran nicht aus dem Nichts.
Die Schachtradition im Iran ist alt, schließlich ist Schach aus Indien über Persien zu uns gekommen, viele Schachbegriffe lassen sich aus dem Persischen ableiten, allen voran der Name des Spiels: „Schah“, gesprochen etwa „Schach“, bedeutet König. Dieser Tradition sind sich die Iraner bewusst, nicht nur in der Schachszene. Das Spiel ist dort auch im öffentlichen Raum sichtbar: In vielen Parks in den Städten finden Sie eine Ecke mit Schachtischen.
Wie viele Frauen spielen im Iran Schach, ist das etwas Ungewöhnliches?
Nein, gar nicht. In der Jugend hält sich das etwa die Waage, würde ich sagen. Auch das Mädchenschach wird stark gefördert. Es wird da kein Unterschied gemacht. Nur an den Schachtischen in den Parks findet man so gut wie ausschließlich Rentner und keine Rentnerinnen.
Gibt es Clubs wie bei uns?
Ja, in den Städten, aber das sind keine Vereine, wie wir sie kennen, sondern private Schulen, die von Schachmeistern betrieben werden. Diese Struktur macht Schach im Iran eher zu einem Sport für Wohlhabende. Eltern müssen es sich leisten können, ihr Kind in eine Schachschule zu schicken. In jüngster Zeit wird aber vermehrt auch Schulschach angeboten. Auf Gemeinde-, Provinz- und nationaler Ebene gibt es auch Verbände, aber die kommen erst ins Spiel, wenn es um Wettbewerbe geht. Unter der Woche wird trainiert, am Wochenende schicken die privaten Schulen ihre hoffnungsvollsten Leute zu den Turnieren der Verbände.
Verfolgen die Iraner Schach wie einen Sport?
Sehr stark, in den Clubs und auf offizieller Ebene. Die Iraner sind sehr, sehr stolz auf ihre besten Spieler:innen und deren Erfolge. Wenn die Rede auf Alireza Firouzja kommt, dann wird von „unserem Alireza“ gesprochen. Genauso gibt es „unseren Parham“, „unsere Sara“ und „unseren Amin“. Und auch Amtsträger lassen sich gerne mit jungen Talenten fotografieren, die von erfolgreichen Wettkämpfen zurückkehren.
Ist der Franzose Firouzja immer noch „unser Alireza“?`
Für die Offiziellen vielleicht nicht mehr, aus deren Sicht hat er eine rote Linie überschritten. Aber im Schachclub und überall sonst, da bleibt er „unser Alireza“, und wenn er noch so oft die Staatsangehörigkeit wechselt.
Sportlich überstrahlt der Fall Firouzja andere, aber er ist bei weitem kein Einzelfall. Der Iran verliert reihenweise Spitzensportler, die sich von staatlichen Repressionen befreien wollen. Wird das je enden?
Diese Tendenz ist Teil eines größeren Phänomens, das den Iran seit Jahrzehnten in erheblichem Maße betrifft: Auswanderung. Viele Iranerinnen und Iraner lieben ihre Heimat, aber spielen mit dem Gedanken, das Land zu verlassen. Dieser Zwiespalt hat neben den angesprochenen Konflikten auch wirtschaftliche Gründe: Die Sanktionen haben dem Land schwer zugesetzt, die Menschen spüren das im Portemonnaie. Die zerbrechliche wirtschaftliche Lage bewegt immer mehr junge Akademiker, ihr Studium im Ausland fortzusetzen und später dort zu arbeiten. Deutschland ist seit Jahren ein beliebtes Ziel. Meine Frau unterrichtet Deutsch, sie kann sich kaum retten vor Nachfrage, so viele junge Menschen wollen Deutsch lernen.