“Die FIDE hat zwei große Fehler gemacht”

Elisabeth Pähtz hat jetzt in einem Wijk-Stream von chess.com Vorwürfe gegen den Schach-Weltverband erhoben. Die FIDE habe sie fünf Jahre lang glauben lassen, ihre 2016 bei der Europameisterschaft erzielte GM-Norm sei gültig. Außerdem habe die FIDE nach der dritten Norm unlängst beim Grand Swiss in Riga verbreitet, sie habe nun den GM-Titel erlangt. “Wenn der Titel jetzt nicht kommt, entsteht mir erheblicher Imageschaden. Ich stehe als Lügnerin da”, sagt Pähtz mit Blick auf die breite mediale Berichterstattung über die erste deutsche Schachspielerin im Rang eines Großmeisters.

Offiziell gilt auf deutscher Seite, dass die Gültigkeit der Norm von 2016 noch zu klären ist. “Aus Sicht des Deutschen Schachbunds ergibt sich aus dem damals geltenden Reglement eine rechtmäßige Norm”, hat der DSB auf Anfrage dieser Seite mitgeteilt.

Kulanz oder Klage

Während DSB und FIDE den Fall laut Schachbund “auf höchster Ebene” verhandeln, teilt Pähtz die Verhandlungsposition ihres Verbands offenbar nicht. Im chess.com-Gespräch mit Steve Berger erwähnt sie an keiner Stelle die Möglichkeit, dass die fragliche Norm ohne Weiteres anerkannt und ihr der Titel verliehen wird.

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Stattdessen sei die Frage, “ob man die FIDE bittet, Kulanz walten zu lassen, oder im Zweifelsfall rechtliche Schritte einleitet“. Pähtz sieht zwei “große Fehler” der FIDE, aus denen sich “rechtliche Aspekte” ergäben.

Die FIDE wäre nicht der einzige Sportverband, gegen den Pähtz wegen voreiligen Verbreitens einer falschen Nachricht und des folgenden “erheblichen Imageschadens” rechtlich vorgehen müsste.

Der eine Fehler: nach dem Grand Swiss via Twitter zu verbreiten, sie werde nun zum Großmeister ernannt. “Dadurch ist ein medialer Boom entstanden, ich werde überall als GM deklariert seitdem.” Revidiere die FIDE nun ihre Aussage, resultiere daraus der “erhebliche Imageschaden”.

Der andere Fehler: nach der Europameisterschaft 2016 dem Deutschen Schachbund auf dessen Nachfrage hin mitzuteilen, die Norm sei gültig. In diesem Glauben sei sie fünf Jahre lang gewesen und habe entsprechend gehandelt. Noch in der letzten Runde des Grand Swiss 2021 hätte die Aussicht auf die dritte Norm ihr Spiel beeinflussen können.

Anti-Cheating - Deutscher Schachbund - Schach in Deutschland
Klaus Deventer. | via DSB

Tatsächlich hegte der damalige DSB-Vizepräsident Sport Klaus Deventer 2016 Zweifel an der Gültigkeit der Norm. Deventer hakte bei Werner Stubenvoll nach, seinerzeit Chef der “Qualification Commission” der FIDE, die Normen prüft und Titel verleiht (bzw. nicht). Stubenvoll teilte mit, die Norm gelte.

Das war bis vor kurzem der Stand in dieser Sache – inklusive dieser pikanten Konstellation:

Pähtz fühlt sich ihrem einstigen Leistungssportreferenten und für Leistungssport zuständigen Vizepräsidenten Deventer in inniger Abneigung verbunden. Deventers Führungsstil im Leistungssport war der Grund, warum sie 2019 aus der Nationalmannschaft zurückgetreten ist…

Pähtz Mitte 2019 im Interview mit dieser Seite.

…, was zur überraschenden Abwahl Deventers und zur Wahl von Olga Birkholz beigetragen hat. Diese Veränderung wiederum löste eine bis heute spürbare Erschütterung der fortan ohne Steuermann navigierenden DSB-Spitze aus – mit den bekannten Folgen, speziell im Leistungssport.

https://de.chessbase.com/portals/3/files/2005/chisinau/mg/The_Chief_Arbiter_Werner_Stubenvoll_Austria.jpg
Werner Stubenvoll. | via ChessBase

Nun ist Pähtz’ einstiger Hauptgegner Klaus Deventer dank seines Nachhakens beim Schach-Weltverband zu ihrem Kronzeugen in Sachen zweite GM-Norm geworden.

Der erste Kronzeuge allerdings, Werner Stubenvoll, mittlerweile nicht mehr Kommissionsvorsitzender, hat in der Zwischenzeit seine Auffassung geändert. Damit hat sich Pähtz’ Chance, den GM-Titel regulär verliehen zu bekommen, erheblich verschlechtert.

Auf Anfrage dieser Seite teilt Stubenvoll mit:

Es ist richtig, dass ich auf eine Mailanfrage von Klaus Deventer erklärt habe, dass die GM-Norm von Elisabeth als Performance-Norm gültig ist. Leider hatte ich zu diesem Zeitpunkt übersehen, dass bei einem Frauen-Turnier eine GM-Norm nur mit 3 GM-Titelträgerinnen erzielt werden kann. Ich habe in der Zwischenzeit sowohl die FIDE als auch meinen Nachfolger als Vorsitzender der Qualifikations-Kommission, Herrn Nick Faulks, darüber informiert.

Sein Versehen tue ihm leid, sagt Stubenvoll.

Über diese Entwicklung spricht Pähtz auf chess.com nicht. Aber nur angesichts Stubenvolls Korrektur fünf Jahre später wird verständlich, warum Pähtz im Stream gar nicht erst davon ausgeht, die zweite Norm könnte regulär anerkannt werden, sondern stattdessen direkt “Kulanz” einfordert.

Dank der DSB-Intervention 2016 ist Pähtz’ Argument, sie sei fünf Jahre im falschen Glauben gelassen worden, nicht von der Hand zu weisen. Ihr Fall wirft jetzt ein Schlaglicht auf eine reformbedürftige Norm- und Titelvergabepraxis seitens des Weltverbands.

Tatsächlich werden von Turnierschiedsrichtern an die FIDE gemeldete Titelnormen nicht geprüft, bis (wie jetzt im Fall Pähtz) ein Titel-Antrag ihrer Föderation vorliegt. Der Hintergrund dieser Verfahrensweise ist ein praktischer: Eine große Zahl von Spielern, die eine Norm schaffen, schaffen keinen Titel. Würde jede Norm sofort geprüft, würde ein erheblicher Aufwand betrieben, obwohl aus der Mehrzahl dieser Normen nie ein Titel resultiert.

Andererseits ist es möglich, dass falsche Normen jahrzehntelang ungeprüft herumliegen und sich Fehler erst nach Jahrzehnten offenbaren. Auch Pähtz’ erste GM-Norm liegt mittlerweile mehr als zehn Jahre zurück. Was wohl Uwe Kersten gesagt hätte, hätte sich im Oktober 2019 herausgestellt, dass seine erste IM-Norm, erzielt in den 1990ern, ungültig war?

Immerhin hat die FIDE sichergestellt, dass bei der Titelvergabe keine Fehler passieren können. Stubenvoll erklärt, dass üblicherweise drei Fachleute unabhängig voneinander die Normen prüfen, wenn ein Titelantrag einer Föderation vorliegt.

Im Fall Pähtz dürfte mit Stubenvolls Korrektur feststehen, was eine solche Prüfung ergibt: die Norm gilt nicht. Eine schöne Gelegenheit für die FIDE, statt einer Prüfung das Verfahren zu reformieren, beginnend mit einer “Lex Elli”. Dass sie eine Schachspielerin mit Großmeisterformat ist, ist wahrscheinlich selbst in Reihen der FIDE unstrittig.

Schritt zwei: das undurchschaubare Norm- und Titel-Regelwerk so gestalten, dass Schachspieler es ohne Konsultation von Fachleuten verstehen können.

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Mike
Mike
2 Jahre zuvor

Wenn Frau Pähtz in der Presse erscheint, hat sie immer Stress mit einer Entscheidung oder anderen Spielern!

Kommentator
Kommentator
2 Jahre zuvor

“Dass sie eine Schachspielerin mit Großmeisterformat ist, ist wahrscheinlich selbst in Reihen der FIDE unstrittig.”

“Großmeisterformat” – was immer das auch sein mag – genügt aber nicht, man muss die Normen erfüllen, so einfach ist das. Einen “gutgäubigen Erwerb” von Titelnormen kennt die Rechtsordnung nicht. Und soooo kompliziert war die Rechtslage nie, Zweifel wurden ja bereits 2016 geäußert.

Stefan
Stefan
2 Jahre zuvor

Bei der 3. Norm habe ich das Turnier verfolgt. Das war extrem knapp. Die 2. Norm war auch knapp und das gegen „nur“ zwei GMs. Hier von einer eindeutigen GM-Klasse zu sprechen finde ich patriotisch verblendet. Durch die Diskussion ist ihr eher ein Nutzen entstanden,, denn es steigert ihren Bekanntheitsgrad. Die jetzige Vorgehensweise von Frau Pähtz sagt entweder etwas über ihren Charakter aus oder darüber, dass sie selbst nicht daran glaubt wirklich auf GM-Niveau zu spielen und sich keine Chancen mehr auf eine echte 3. Norm ausrechnet, oder es trifft gleich beides zu. Ich würde in die Normenregularien ohnehin mit… Weiterlesen »

Smicek
Smicek
2 Jahre zuvor

Nach allem, was ich so mitbekomme, ist Elisabeth nicht eben jemand, der Auseinandersetzungen weiträumig aus dem Weg geht, um es vorsichtig auszudrücken. Mit ihrem Vorwurf, ohne eigenes Zutun oder Verschulden jetzt quasi als Lügnerin dazustehen, wenn der Titel – formal mag es korrekt sein – nicht zuerkannt wird, dürfte sie allerdings schlicht und einfach richtig liegen. Und eine Kulanzregelung hat halt auch immer ein G’schmäckle, für das sie selbst nichts kann. Sehr unbefriedigend, so oder so. Vielleicht sollte die FIDE künftig lieber doch ein wenig prüfen, bevor sie “becomes GM” durch die Netzwelt zwitschert.

von und aus dem Walde
von und aus dem Walde
2 Jahre zuvor

Die einfachste Lösung wäre einfach eine reguläre dritte Norm erspielen. Es kann doch nicht so schwer sein, da ein passendes maßgeschneidertes Turnier für Eli mit der entsprechender Anzahl an Titelträgern, Vertreter anderer Nationen und gefordertem ELO-Schnitt zu organisieren.
Man muss ja nicht unbedingt Georg Meier dazu einladen. 😉

Ursli
Ursli
2 Jahre zuvor

In einem FAZ Artikel vom 01.02. wird sie nun wieder ungerührt als Großmeister bezeichnet. Wenn sie sich vor einem Imageverlust fürchtet, wenn ihre zweite Norm nicht für gültig erklärt wird, warum lässt sie das bis zur eventuellen Titelverleihung nicht korrigieren?

Thomas Richter
Thomas Richter
2 Jahre zuvor

Die beiden Vorschläge/Forderungen von Conrad Schormann widersprechen sich aus meiner Sicht: Erst eine “Lex Elli”, schließlich habe sie “Großmeisterformat”. Und dann Klarheit zum Norm- und Titel-Regelwerk, die eigentlich bereits besteht: Man (oder frau) braucht TPR2600 gegen – in neun Runden – mindestens 3 GMs – so einfach ist es!? Was ist Großmeisterformat? Aus meiner Sicht Elo stabil 2500+ – Paehtz hatte es zweimal vorübergehend, nun wieder, vielleicht auch vorübergehend. Im Prinzip auch, allerdings im Widerspruch zu “Großmeisterformat aber kein GM-Titel”: “weitere GM-Normen nach dem GM-Titel”. Bzw. es sollte keine Rolle spielen, ob eine Norm ungültig ist oder ob man sie… Weiterlesen »

Ursli
Ursli
2 Jahre zuvor

Vielleicht würde als Reform ja reichen, dass Spieler, die vermeintlich zwei Normen erfüllt haben, auf Antrag bei der FIDE diese beiden Normen prüfen lassen können. Dann muss die FIDE nicht jede einzelne Norm proaktiv prüfen und Spieler auf der Jagd nach ihrer dritten Norm wissen genauer, wo sie stehen, wenn sie das wünschen.

Daniel Hendrich
Daniel Hendrich
2 Jahre zuvor

Warum sollte die FIDE Frau Pähtz den GM-Titel schenken, wenn sie die dafür notwendigen Voraussetzungen offenkundig nicht erfüllt hat? Ich verstehe die ganze Diskussion nicht.

Last edited 2 Jahre zuvor by Daniel Hendrich
Liborius Lumma
2 Jahre zuvor

Ich finde dieses ganzen Titelvergabeverfahren viel zu rätselhaft und sowohl für Spieler als auch für Zuschauer zu unberechenbar. Erst recht, wenn man sieht, wie Spieler mit reichen Sponsoren sich regelrecht eigene Turniere konstruieren können, um Titel zu erhalten. Ich meine, man könnte das ganze Verfahren viel einfacher und durchschaubarer machen. Um mal ein Beispiel zu nennen – die Zahlenwerte sind jetzt nur so aus dem Ärmel geschüttelt: Die FIDE veranstaltet jeden Monat irgendwo auf der Welt ein “GM-Titel-Turnier”. Jeder Mensch kann sich bewerben, die ELO-besten 200 werden zugelassen. Es dürfen höchstens 100 GMs teilnehmen. 11 Runden Schweizer System. Wer unter… Weiterlesen »

Joschi
Joschi
2 Jahre zuvor

Was ist denn ein Titel auf Kulanz wert? Gar nichts!
Alle wissen, dass es nicht rechtmäßig war.

trackback

[…] “Die FIDE hat zwei große Fehler gemacht” […]

trackback

[…] Prix 2021. Zu früh gefreut. Stattdessen folgte ein Titel-Tauziehen, in dessen Verlauf Pähtz gar rechtliche Schritte gegen die FIDE erwog. So weit kam es dann nicht. 13 Monate nach der Norm beim Grand Swiss wurde Pähtz […]

Neandertaler
Neandertaler
2 Jahre zuvor

Leider gibt es bei der Sache nur Verlierer. Letzlich scheint es ja so zu sein, dass die Voraussetzungen für die Verleihung des Großmeistertitels nicht vorliegen. Weicht die FIDE das nun auf, verliert der Titel an Wert – das kann nicht der Sinn der Sache sein. Außerdem bliebe Pähtz’ Titel dann immer mit dem Makel einer Kulanzlösung behaftet. Andererseits kann ich Frau Pähtz gut verstehen. Nicht sie ist mit der Meldung rausgegangen, dass sie Großmeisterin ist, sondern die FIDE. Wenn sie nun überall erklären muss, dass sie das gar nicht ist, dann entsteht daraus doch unstrittig ein Imageschaden, für den sie… Weiterlesen »

Chris
Chris
2 Jahre zuvor

Das überrascht mich nicht wirklich.Inkompetente Kartoffeln sitzen doch in beinahe allen Gremien. Die FIDE ist da keine ausnahme!

Elisabeth
Elisabeth
2 Jahre zuvor

Hier werden Dinge völlig aus dem Kontext gezogen, leider. Zum einen teile ich die Ansichten des DSBs und stehe voll hinter ihnen in dieser Angelegenheit. Zum anderen hoffe ich in meinem Fall auf Kulanz. Zum dritten habe ich Angst vor einem medialen Image- Schaden, und um den abzuwenden, muss man alle Wege prüfen. All dies wäre leicht nachvollziehbar gewesen, hätte Herr Schormann sich den ganzen Stream angehört, bzw. meine internen Gespräche mit Steve gekannt. Da er aber nur einzelne Sätze aus dem Stream übernommen hat, ist es klar, dass sämtliche Zusammenhänge hier fehlen.