“Reformwillen nicht an der Mannschaftsmeisterschaft auslassen”: Paul Meyer-Dunker im Gespräch

Kaum hatte die FIDE offenbart, dass sie eine Ausrichterstadt für ihre Grand-Prix-Serie sucht, ließ der designierte Präsident des Berliner Schachverbands verlauten, Berlin stehe bereit, das Ding zu wuppen. Und kaum hatte der DSB-Kongress begonnen, ließ Paul Meyer-Dunker durchblicken, dass er nicht glücklich ist mit dem, was er dort erlebt.

Es war an der Zeit für ein Interview mit dem 29-Jährigen, der am kommenden Samstag voraussichtlich zum neuen Berliner Schachpräsidenten gewählt wird, dem jüngsten und mit weitem Abstand sichtbarsten in der Riege der Landespräsidenten.

Das designierte Führungsduo des Berliner Schachverbands: Pokalsieger Paul Meyer-Dunker (rechts) möchte Präsident werden, Bernhard Riess sein Vize. | Foto: Berliner Schachverband

Paul, was macht der Grand Prix?

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Ich warte gespannt auf den Aufruf von World Chess, das gemeinsam mit den Fans weltweit die neue Schach-Hauptstadt suchen will. Ansonsten nichts Neues. Ullrich Krause und Marcus Fenner wollen unsere Initiative unterstützen, und wir werden signalisieren, dass hier ein junges Team nur darauf wartet, aus dem Grand Prix etwas zu machen. Zu was das führt, werden wir sehen.

Und das IM-Turnier im August?

Das steht – mehr oder weniger.

Und die Berliner Meisterschaft?

Die hat sich wie vor einiger Zeit die Deutsche Meisterschaft zum Problemfall entwickelt. Die stärksten Spieler nehmen nicht mehr teil. Mit 500 Euro Preisgeld für den ersten Platz nach neun Runden können wir auch nicht erwarten, dass die besten Leute Schlange stehen. Die mögliche Qualifikation für die Deutsche Meisterschaft kompensiert den kleinen Preisfonds nicht. An der Stelle sehe ich Handlungsbedarf. Die Meisterschaft ist unser höchstes Turnier, sie sollte ein Prunkstück sein, sportlich sowieso. Ich werde mich bemühen, sie wieder zu einem solchen zu machen.

Du firmierst seit einigen Wochen als „designierter Präsident“ des Berliner Schachverbands.

Das schreiben andere, ich wäre vorsichtig mit so etwas. Ich habe ja sogar explizit darauf hingewiesen, dass Kandidaturen möglich und erwünscht sind. Selbst wenn ich trotzdem der einzige Kandidat bleibe, erst einmal muss ich am Samstag gewählt werden.

“Da ist das Team, da spielen wir als Gemeinschaft”: Der eSportler Paul Meyer-Dunker (oben 2.v.r.) beim Finale des Vereinspokals 2020 des eSport-Bunds Deutschland. | Foto: ESBD/Manneck

Ich hatte jetzt ein ausführliches Gespräch mit vier Schachfreunden über die Zukunft und die Reform des Spielbetriebs, über neue Angebote, kürzere Bedenkzeiten, hybrid, zentrale Runden, eine Test-Saison und so weiter. Wie sieht das in Berlin aus?

Wir wollen Mitte August nach den Sommerferien die Saison 19-21 abschließen. Voraussichtlich im November/Dezember soll die Saison 21/22 beginnen, abhängig davon, ob die oberen Ligen tatsächlich einen Abschluss finden.

Berlin macht weiter wie immer?

Reform- und Revolutionswillen sollte man meines Erachtens nicht an der Berliner Mannschaftsmeisterschaft auslassen. Dieses Format wird traditionell sehr gut angenommen. Wir werden allerdings die in der Pandemie geborenen Online-Angebote beibehalten, um damit die traditionellen Angebote zu flankieren. Dazu kommt die Feierabendliga, in der es etwas lockerer zugeht. Die gibt es meines Wissens nur in Berlin, ein Stadtstaat-Privileg, wenn du so willst. Vielleicht wäre es eine Überlegung wert, die Freizeitliga zu öffnen, aber akuten Handlungsbedarf sehe ich nicht. Und an der klassischen Mannschaftsmeisterschaft zu rütteln, daran denkt in Berlin niemand. Diese Meisterschaft ist ja eigentlich unser Kerngeschäft.

Ein Ergebnis des Perlen-Spielbetrieb-Gesprächs war, dass Mannschaftsschach bundesweit schon länger in der Krise ist und neu gedacht werden sollte.

Nicht in Berlin. Wir haben 17 Staffeln mit jeweils 10 Mannschaften, und das konstant seit Jahrzehnten. Im Detail habe ich mir die Zahlen nicht angeschaut, aber es sieht gewiss nicht danach aus, als stecke das Berliner Mannschaftsschach in einer Krise. Vielleicht liegt der Fall in einem Stadtstaat mit überschaubaren Anfahrtswegen anders als in einem Flächenland. Jedenfalls freue ich mich unheimlich darauf, dass es wieder losgeht, und das geht vielen anderen genauso. Beim Mannschaftskampf ist das Team, da spielen wir als Gemeinschaft, hinterher verbringen wir gemeinsame Zeit. Mir hat das sehr gefehlt.

Du hast jetzt deinen ersten DSB-Kongress hinter dir. Dein Fazit?

Mich hat überrascht, wie destruktiv ich das wahrgenommen habe. Dass man sich darin gefällt und damit zufrieden ist, Knüppel zu schmeißen, ohne Positives beizutragen. Das war krass.

Beispiele?

Es war nicht toll organisiert, anfangs lief es technisch nicht rund, der Versammlungsleiter war schlecht vorbereitet…

…geschenkt.

Ja, war trotzdem nicht gut. Kann man abhaken, kann man auch kritisieren. Aber von Beginn an wegen jedes Details, das nicht funktioniert, einen Riesenaufstand zu machen und den Laden noch zusätzlich anzuzünden, das muss nicht sein. Antrag auf Abwahl des Versammlungsleiters? Das bringt keinem etwas, wirft noch mehr Sand ins Getriebe und kostet noch mehr Zeit. Freundliche Hinweise funktionieren manchmal auch. Eigentlich ist das nur ein kleiner Punkt, aber dadurch war die Stimmung von Beginn an vergiftet.

So viel zu Stunde 1 von 13.

Ernsthaft geärgert hat mich die Sache mit der Beitragsordnung, der einzige inhaltliche Punkt, um den es in 13 Stunden ging. Daran hatte eine Arbeitsgruppe ein halbes Jahr gearbeitet. Im Kern geht es in der neuen Beitragsordnung einfach darum, dass für passive Mitglieder nur halbe Beiträge fällig werden. Am Abend vorher im Arbeitskreis der Landesverbände wurde gar nicht darüber gesprochen. Normal wäre danach, der Antrag wird dem Kongress vorgestellt, erklärt, warum er sinnvoll ist, und dann abgesegnet. Stattdessen wurde er ohne Debatte abgelehnt. Das fand ich wild. Jemand, der die Ordnung in dieser Form nicht gut findet, hatte jede Menge Zeit, sich konstruktiv einzubringen, um sie zu ändern. Im Nachhinein habe ich herausgefunden, dass in Bayern und NRW gar kein Interesse daran besteht, sich in dieser Sache konstruktiv einzubringen. Die wollen das einfach nicht, und wenn die beiden größten Länder etwas nicht wollen, dann ist es so gut wie blockiert.

Die wollen nicht weniger Geld an den DSB zahlen?

Tja. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Verbände in dieser Frage die Interessen ihrer Vereine vertreten. Jedenfalls wüsste ich nicht, wie ich vor einem Verein rechtfertigen sollte, dass er für seine passiven Mitglieder volle Beiträge zahlen muss. Ich bin gespannt auf die Antwort, wenn jetzt ein bayerischer oder nordrhein-westfälischer Verein bei seinem Verband anfragt, warum das so ist. Ein inhaltlicher Grund dafür wurde mir nicht genannt – außer: „Wir wollen nicht, dass Geld verloren geht.“

Gestört hat dich offenbar auch, wie die Präsidiumswahl gelaufen ist.

Die war exemplarisch. Man jammert und nörgelt und begnügt sich damit festzustellen, was alles schiefläuft…

…das stimmt nicht. Als „Rechenschaft“ auf der Tagesordnung stand, hat niemand irgendetwas festgestellt: von den anfänglichen Ungereimtheiten der Fenner-Krause-Ära bis zu den ohne Not forcierten Katastrophen, von den Peinlichkeiten bis zu den alternativen Fakten.

Es ist nicht so, dass das Präsidium gegenüber den Landesverbänden keine Rechenschaft ablegen müsste. Das war vorab in den Gremien passiert. Und unter den Landesverbänden gibt es nach meiner Wahrnehmung nur zwei, die sich gelegentlich öffentlich dazu äußern, was drinnen passiert. Kein Wunder also, wenn davon draußen nichts ankommt. Aber du siehst ja am Wahlverhalten, wie groß die Unzufriedenheit war. Offensichtlich hatten wir eine Protestwahl gegen Ullrich Krause.

Das Missverhältnis zwischen Wahlverhalten und Resonanz auf die Rechenschaftsberichte fand ich ja so absurd. Erst nörgeln sie allenfalls über Kleinigkeiten, lassen alle kritischen Punkte weg, dann holen sie per Abstimmung die große Klatsche raus. Und für die interessierte Öffentlichkeit bleiben reihenweise Fragen offen.

Auf die aus meiner Sicht offenen Fragen hatte ich mir bereits Antworten geholt. Jetzt geht es mir vor allem darum, nach vorne zu schauen. Ullrich Krause nehme ich als jemanden wahr, der Ratschläge annehmen kann und dann entsprechend handelt. Diese Erfahrung habe ich jetzt bei einer Reihe kleinerer Anliegen gemacht, zum Beispiel dem, Schachdeutschland TV gemeinsam mit den Ländern aufzuziehen. Auch daraus ist mein Eindruck entstanden, dass konstruktive Ideen und Anregungen derjenigen fehlen, die immer meckern. Käme aus den Ländern inhaltlich mehr, stünden wir jetzt besser da. Und das meine ich auch personell. Wenn sich doch so viele Landesverbände einig sind, den Vizepräsidenten Verbandsentwicklung abzuwählen, wie kann es sein, dass sie keine Alternative anzubieten haben? Stattdessen wird Boris Bruhn abgewählt, und niemand weiß, wer es machen soll. Da siehst du, wie blank das alles ist. Man meckert, hat aber weder Personen noch Ideen und Gestaltungswillen vorzuweisen und begnügt sich damit, Knüppel zu schmeißen. Am Ende werde dann sogar ich, der gerade einmal ein halbes Jahr dabei ist, gefragt, ob ich nicht Vizepräsident werden möchte. Das ist ja sehr nett, aber letztlich zeigt es die Orientierungslosigkeit des Systems. Und als Krönung wird dann Olga Birkholz gewählt, die eine Stunde zuvor den frisch wiedergewählten Präsidenten als Diktator bezeichnet hatte. Ein Präsidium zusammensetzen, das schon die letzten zwei Jahre nicht vertrauensvoll zusammengearbeitet hat, und jetzt steht auch noch der „Diktator“ im Raum. Wie soll das im Interesse des Schachs sein?

Nun haben wir die Konstellation, wie sie ist. Kann daraus etwas werden?

Ich hoffe, dass sie sich zusammenraufen. Ich hoffe das auch im Zusammenhang mit den neuen Referent:innen. Ich bin mir nach meinen Erfahrungen der vergangenen Monate jedenfalls sicher, dass Leute mit Energie, die Lust haben, Sachen im DSB zu bewegen, einiges bewirken können. Das Klischee vom Tanker ist, glaube ich, nur ein Ergebnis von jahrzehntelanger Lust- und Fantasielosigkeit.

Ob es noch andere Sportarten gibt, die ihre Deutsche Meisterschaft gezielt entwerten? Schon der Umstand, dass die Deutsche Meisterschaft nicht das Prunktück des Deutschen Schachs ist, sondern das B-Turnier, ergibt keinen Sinn. Leider ist bei Kongressen nie Zeit zu beschließen, derartigen Unsinn zu ändern. Und dann wird auch noch die größte Veranstaltung, der Gipfel, nach dem B-Turnier benannt, obwohl ohne das Wortungetüm „Schachmeisterschaftsgipfel“ das Banner nicht von Layout-Problemen geprägt wäre. Ab sofort heißt die Veranstaltung kurz und prägnant „Schachgipfel“ (oder wir kehren zurück zur “Kongress”-Tradition, das wäre auch nicht schlecht). Und wo ist eigentlich Elisabeth Pähtz? Vincent Keymer? Wo ist irgendein Gesicht irgendeines Schachspielers? Auch ein freundliches Breitenschachbild wäre an diesem Ort des Publikumsverkehrs geeignet, unserem Spiel ein einladendes Antlitz zu geben. Aber immerhin: Das Buffet ist gerichtet.

Im Oktober geht es weiter. Im gleichen Stil?

Diese Hälfte des Kongresses war überladen mit Wahlen und Formalgedöns. Im Oktober kommen wir hoffentlich zu Inhalten. Mein Plan ist zu schauen, dass wir möglichst viele der wichtigen Themen debattieren. Es gibt ja so viele…

…gerade jetzt. Oder, besser, seit März 2020.

Wie wollen wir eigentlich den Deutschen Schachgipfel aufstellen? Und wollen wir ihn jetzt bitte auch so nennen? Wollen wir die Namensrechte dafür vergeben? Wo ist eigentlich der Hauptsponsor des Deutschen Schachbunds? Des Kaders? Brauchen wir eine Trikotpflicht ab Oberliga aufwärts? Sind wir etwa kein Sport? Wie machen wir Schach familienfreundlicher? Warum ist die Deutsche Blitz-Einzelmeisterschaft nicht Teil der Finals? Warum ist der Tag des Schachs am 20. Juli kein bundesweiter Aktionstag zusammen mit den Landesverbänden? Warum liegt das Hochschulschach brach? Diverse eSport-Hochschulgruppen entdecken gerade Schach für sich, warum kooperieren wir nicht mit denen? Wo ist unser Social-Media-Konzept, das Events des DSB und der Nationalmannschaften live begleitet? Wo ist die Prinzessinnengruppe?

Fragen über Fragen.

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Dipl.-Ing. Ossi Weiner
Dipl.-Ing. Ossi Weiner
2 Jahre zuvor

Zitat: “Und als Krönung wird dann Olga Birkholz gewählt, die eine Stunde zuvor den frisch wiedergewählten Präsidenten als Diktator bezeichnet hatte. Ein Präsidium zusammensetzen, das schon die letzten zwei Jahre nicht vertrauensvoll zusammengearbeitet hat, und jetzt steht auch noch der „Diktator“ im Raum. Wie soll das im Interesse des Schachs sein?” Das ist wirklich schwer zu verstehen, man fragt sich: Warum lässt sich Olga Birkholz denn wählen, wenn sie wie es aussieht (und wie es anscheinend schon bisher der Fall war) gar nicht konstruktiv mit dem DSB Präsidenten Ullrich Krause zusammenarbeiten will? Geht es den Beteiligten um das Wohl des… Weiterlesen »

Gerhard Streich
Gerhard Streich
2 Jahre zuvor

10 der 13 Stunden habe ich live miterlebt. Damit war ich einer der wenigen, die sich das angetan haben. Vormittags lagen die Zugriffe bei 60 bis 90, nachmittags zwischen 110 und 170. Obwohl wir in Deutschland eine Heerschar von Schachfunktionären haben, hat sich kaum jemand für den Kongress interessiert. Die Perpetuierung des Formalgedöns ist ein Anachronismus, der im Online-Gewand nicht besser wird. Moderne Funktionäre braucht das Land. Paul Meyer-Dunker macht Hoffnung, wenngleich auch er nur erfolgreich sein kann, wenn er genügend Gleichgesinnte findet, die ihm bei der Entrümpelung helfen.

acepoint
2 Jahre zuvor

«Ich bin gespannt auf die Antwort, wenn jetzt ein bayerischer oder nordrhein-westfälischer Verein bei seinem Verband anfragt, warum das so ist. Ein inhaltlicher Grund dafür wurde mir nicht genannt – außer: „Wir wollen nicht, dass Geld verloren geht.“»

Jahresüberschuss 2020 laut Bericht: etwa € 33.000,-

Auf Seite 10: https://www.schach-nrw.de/images/2021%20download/kongressbericht%202021.pdf

Kommentator
Kommentator
2 Jahre zuvor

Ein schönes Interview; in einem Punkt muss ich den guten Paul dann doch korrigieren:
In Bremen orientiert man sich gern mal an den anderen Stadtstaaten, aber während die Fußballer sich erst dieses Jahr entschließen konnten, nach Hamburger Vorbild der (schon allein aufgrund der vielen Nordderbys) sportlich viel interessanten zweiten Liga beizutreten, hat der Landesschachbund Bremen bereits 2017 nach Berliner Vorbild eine Feierabendliga eingeführt.