Der Rekordspieler auf Lichess ist ein Deutscher, wie sich leicht seinem Lichess-Namen entnehmen lässt: Schachfreund german11 hat seit seiner Registrierung im Oktober 2012 fast zwei Jahre damit verbracht, auf Lichess Schach zu spielen: 697 Tage. Jeden Tag spielt er im Schnitt mehr als vier Stunden, und das seit fast neun Jahren.
In der Liste der 1,7 Millionen Schachspieler, die an bislang fast 500.000 Lichess-Arenen teilgenommen haben, steht german11 mit weitem Abstand auf Platz 1. Bei mehr als 30.000 dieser Arenen war er (oder sie?) mit von der Partie. Seit seiner Registrierung hat german11 fast eine halbe Million Partien auf Lichess gespielt, weit mehr als jeder andere.
Die Geschichte, die sich dahinter verbirgt, bleibt vorerst ungeschrieben. German11 war schon Gegenstand mancher Debatte in Schach-Foren, aber wer hinter diesem Namen steckt, ist nicht bekannt. Agadmator hält ihn für einen “hero among men”:
Ein schachliches Vorbild hat german11 auch: José Raúl Capablanca, der einst “Schachmaschine” genannt wurde, ein Titel, der auch dem maschinenhaft auf Lichess spielenden Deutschen gut zu Gesicht stehen würde. Allerdings hätte Schachfreund und -lehrer Capablanca im Angesicht der Statistiken von german11 einiges kritisch anzumerken.
Zwar hat er bei weitem die meisten Turniere auf Lichess gespielt, aber in der Liste derjenigen, die die meisten Punkte in solchen Turnieren geholt haben, steht er auf Rang 43. Und in der Liste mit den meisten Top3-Platzierungen steht er noch viel weiter unten. Nur 6 seiner gut 30.000 Turniere hat german11 gewonnen.
328.000 von 375.000 Partien verloren
Er spielt unfassbar viel – ohne daraus zu lernen. German11 wird nicht besser im Schach. Seit Oktober 2012 pendelt etwa sein Blitz-Rating um 1500. Mutmaßlich liegt das daran, dass er gar nicht lernen, sondern nur spielen will, dass er nach einer Partie gleich die nächste beginnt, anstatt das Geschehene kritisch zu beleuchten.
Am häufigsten spielt er Bullet, ohne Premove, ohne Zeitmanagement – und leider mit nachlassendem Erfolg. Nach 400 Tagen, 11 Stunden und 9 Minuten Bullet droht sein Rating nun dauerhaft unter 1000 abzusacken. 328.000 seiner 375.000 Bullet-Partien hat german11 verloren. Kann das Freude bereiten?
Er müsste ja nur Capablancas wunderbare “Letzte Schachlektionen” aufschlagen, dann sähe er, dass sein Vorbild seine “Eröffnungen” nicht gutheißt. Mit Schwarz mag german11 1…e6, 2…d6, 3…Sd7, 4…c6 gegen alles. Mit Weiß zieht er 1.e4, so weit, so gut. Aber gegen Skandinavisch zieht er bevorzugt 2.e5, gegen Sizilianisch 2.Sf3 und 3.Lc4. Und das seit achteinhalb Jahren. Jeden Tag. Stundenlang.
Woher die detaillierten Turnierstatistiken von german11 stammen? Von einer Seite für Statistikfreunde, die der Schreiber dieser Zeilen gerade erst entdeckt hat. Dort sind alle auf Lichess gespielten Turniere erfasst, und ihre Daten lassen sich im Detail durchleuchten.
Zum Beispiel können wir nachgucken, wer bei den Arenen für Titelträger die meisten Trophäen gesammelt hat:
Selbst wenn die eine norwegische Personalunion repräsentierenden Schachfreunde Nykterstein und Drunkenstein ihre Sieg-Trophäen addieren würden, sie lägen immer noch hinter Alireza Firouzja – der allerdings an deutlich mehr Arenen teilgenommen hat als der seit 2018 nüchterne Norweger (und der wie german11 seit mehr acht Jahren jeden Tag Blitz spielt, allerdings mit ungleich mehr Erfolg).
Allerdings hat Magnus Carlsen auch schon jeweils ein Mal als “Manwithavan” und als “DrGrekenstein” die Titled Arena gewonnen, sodass er nach Turniersiegen 14:13 gegen Firouzja führt. “Manvithavan” nannte er sich, als er im Urlaub per Tablet in seinem Wohnmobil spielte. “DrGrekenstein” kennzeichnet die kurze Griechisch-Phase des Weltmeisters:
Wir können auf besagter Statistikseite auch die Lichess-Bundesliga im Detail unter die Lupe nehmen. Seit der Erstauflage am 19. März 2020 sind in der Bundesliga 3,8 Millionen Partien gespielt und 287 Millionen Züge ausgeführt worden. 67.000 Spieler haben teilgenommen, darunter ein Dominator:
Niemand punktet in der Bundesliga so zuverlässig wie der in aller Regel durchbeserkende Großmeister Rasmus Svane (“sumsar” einfach mal von hinten lesen).
Wie wir nicht die Identität von german11 kennen, kennen wir auch nicht die des Schöpfers dieses Lichess-Statistik-Fundus. Es handelt sich um einen holländischen FM, der auf Lichess als thijscom spielt. Sein Profil offenbart, dass er in viereinhalb Jahren nur 75 Tage mit Schachspielen auf Lichess verbracht hat. Da blieb ausreichend Zeit, nebenbei eine Lichess-Statistik-Seite zu entwickeln.
Ich habe mal thijs.com aufgerufen und da einen Klarnamen gefunden und u.a. auch eine Verbindung zu Schach und einen Link zu seinem Lichess-Profil thijscom
@Conrad Schormann: Da German im spanischsprachigen Raum ein gebräuchlicher Vorname ist, lässt der Benutzername nicht unbedingt Rückschlüsse auf die Herkunft zu (eher schon seine Angaben im Profil).
@Smicek: Nun ja, wenn man schon aus Angst vor den gegnerischen Theoriekenntnissen auf den klar besten Zug verzichtet, könnte man ja zumindest zu 2.d3 greifen – dann steht man wenigstens nicht schlechter:-)
Meine Theorie war immer, dass derjenige vielleicht Rentner ist oder in einer Betreuungseinrichtung lebt. Das erklärt die endlose Zeit, die ihm zur Verfügung steht. Man sollte sich da über den Spielstärkeverlauf kein vorschnelles Urteil bilden. Das nominale Rating kann auch mit dem großen Zulauf an Schachanfängern auf Lichess zusammenhängen. Stichwort historische Wertungszahl.
Es spricht absolut nichts gegen 2. e5 beim Skandinavier. Jedenfalls die drölfzig Millionen Lichess-User, die TBGs Videos gesehen und auswendig gelernt haben, sind nämlich genau dann raus aus allem, was sie kennen ;-).