Die Mauer bröckelt

Und so trennen sich die Wege. Mit zwei Punkten aus den beiden Partien am Doppelspieltag der Herren hat sich Rasmus Svane an die Spitze der Kader-Challenge gesetzt. Leidtragender war sein Bruder Frederik, der sich nach der Null im Familienduell eine weitere gegen Dmitrij Kollars einhandelte. Mit 3/4 führt Rasmus Svane jetzt vor einem Quartett mit 2,5 Punkten. Bei den Frauen zieht Jana Schneider nach einem Sieg über Masters-Gewinnerin Fiona Sieber mit 3/3 ihre Kreise – nicht einsam: Firouzja-Besiegerin Antonia Ziegenfuß bleibt ihr nach einem Sieg über Elisabeth Pähtz mit 2,5/3 auf den Fersen.

Im Turnier der Herren steht am heutigen Donnerstag eine zentrale Partie auf der Agenda: Alexander Donchenko versus Matthias Blübaum. Die beiden nominellen Favoriten stehen jeweils bei “plus eins”. Wer verliert, hat sich aus dem Kampf um den Turniersieg mehr oder weniger verabschiedet. Liveübertragung ab 14 Uhr hier.

Vor ein paar Monaten saßen die beiden einander schon einmal gegenüber. Auch beim Masters in Magdeburg war Donchenko-Blübaum eine zentrale Partie des Turniers. Donchenko eröffnete mit 1.e4, eine Ausnahme, gezielt auf Blübaums Franzosen abgestellt. Was danach passierte, hat der spätere Masters-Sieger Matthias Blübaum im Gespräch mit dieser Seite erläutert:

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Für den Schreiber dieser Zeilen begann der heutige Donnerstag mit einer schachlichen Enttäuschung. Gespannt, welche der vielen inhaltsreichen Partien des Spieltags Kevin Högy kommentieren würde, begab er sich auf die Seite seines Lieblingsschachbunds – und fand dort ausgerechnet jene, die Leser wie Schreiber dieser Seite schon kennen:

Schade eigentlich. Neben dem gescheiterten Überfall des einen Svane auf den anderen hätte es eine Menge inhaltsreiche Partien zu zeigen und beleuchten gegeben. Der Spieltag war voll von kritischen Momenten, diesem zum Beispiel aus der Partie Luis Engel-Matthias Blübaum:

Den Damenangriff Lg5 konterte Blübaum mit dem Zwischenzug …c2, ein Eindringling, der sich nur unter Zugeständnissen wird erobern lassen. Später opferte Engel eine Figur, um sich von diesem Eindringling zu befreien – und stattdessen selbst ins Lager des unterentwickelten Schwarzen einzudringen. Der wiederum gab die Figur prompt zurück, um ein technisch gewonnenes Endspiel zu bekommen.

Oder diesem aus der Partie Daniel Fridman-Alexander Donchenko:

Mit einem Abtausch-Slawen ließ Daniel Fridman schon im dritten Zug eine Menge Luft aus der Stellung. Aber hier geriet er ins Straucheln. Nach 24.Txd1 hätte Weiß wahrscheinlich gehalten, nach 24.Lxd1? Ld3 war eine Qualität weg und später auch die Partie.

Oder diesem aus der Überraschung des Tages Antonia Ziegenfuß-Elisabeth Pähtz:

Zieht die schwarze Dame, folgt Td4 mit der vernichtenden Drohung Dxh6+! nebst Th4#. Und dagegen ist keinerlei Kraut gewachsen, sodass sich die schwarze Dame nun aus der Partie verabschieden muss und Schwarz fortan für eine verlorene Sache kämpft.

Auf Schachdeutschland TV kommentiert derweil der sein Publikum notorisch siezende Klaus Bischoff (ein Unikum auf Twitch, aber als solches gar nicht verkehrt) wacker vor sich hin, und im Sinne des erforderlichen Spagats zwischen den zuschauenden Schachmeistern und -neulingen macht er das super. Perfekt wäre, er würde jetzt noch seine Blockade überwinden, mit den Siegern des Tages ihre Partien zu beleuchten (über Schach reden Schachmeister am liebsten), anstatt Sendeminute um Sendeminute mit seinen Staunen über die Technik-Affinität der jungen Leute von heute zu füllen. Ja, Antonia Ziegenfuß hält mit ihrem Coach per Skype Kontakt, ja, Andreas Heimann benutzt Cloud-Engines. Nächstes Thema. Können wir jetzt, bitte, über die Partie sprechen?

Allem Anschein nach wächst das Publikum langsam, aber stetig. Voraussichtlich wird Schachdeutschland TV noch im Lauf des Turniers erstmals die Marke von 1.000 Live-Zuschauern knacken. Und, toll!, die Zuschauer staunen darüber, dass hier hochklassiges Schach stattfindet, ohne dass jemand davon weiß.

Das deutsche Spitzenschach beginnt ja gerade erst, die Blase des nicht organisierten Schachs anzustechen, wie wir vor einem Vierteljahr anlässlich des DSOL-Auftakts und der Gründung von Schachdeutschland TV festgestellt haben:

Diese Blase anzustechen, wird dauern. Von den hunderttausenden Schachspielern da draußen weiß ja kaum einer, dass es eine Organisation namens Schachbund gibt, und kaum einer weiß, wer die Herren Blübaum und Donchenko sind, geschweige denn, dass sie einen Wettstreit um die nationale Spitzenposition ausfechten. Wie auch?

Besagte Schachorganisation wusste vor zwei Jahren noch nicht einmal, dass Schachspieler Gesichter haben und dass es im Sinne des Sports wie seiner Sportler wichtig ist, diese Gesichter zu zeigen und ihre Geschichten zu erzählen. Zum Glück bewegt sich nach zweijährigem Sticheln bodenseeseits bei dieser Schachorganisation unterhalb ihres Spitzenduos jetzt manches in die richtige Richtung, sodass wir uns den kleineren Organisationseinheiten zuwenden können: den Vereinen.

Wie das Publikum dem Schach helfen will

Dass niemand je von Blübaum, Donchenko, Kollars, Heimann, Meier gehört hat, liegt ja auch an deren Verein. Dessen Oberorganisator ist zwar mächtig stolz darauf, die deutsche Nationalmannschaft zu beschäftigen, zeigt aber keinerlei Interesse daran, seine Privat-Nationalmannschaft im Sinne seines Vereins, unseres Sports und vor allem der Sportler zu entwickeln.

Das organisierte Schach mit seiner unseligen Mäzenatentradition findet verschanzt hinter dicken Mauern statt. Der Weg zum Zuschauersport ist fürs organisierte Schach vor allem deshalb so mühsam, weil die Zuschauersport-Attitüde nur ganz langsam durch die dicken Mauern in die Köpfe der Schach-Macher einsickert. Aber, und jetzt kommt die gute Nachricht: In dem Maße, wie uns das Publikum entdeckt, nimmt es Anteil, will mehr sehen und dem Schach helfen, die Mauern zu überwinden.

Für den Beobachter war es während der laufenden Übertragung entzückend zu verfolgen, wie sich die Zuschauer darüber Gedanken machen, dass sie von diesem Kaderturnier nichts wussten, die Spieler nicht kennen – und wie sich das ändern ließe:


(Titelfoto via Klaus Steffan)

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