Stärker als Stockfish

Der Kampf, welches die beste Schach-Engine ist, entbrennt am morgigen Dienstag neu. “Fat Fritz 2.0” kommt in den Handel. Entgegen dem nach einem Update klingenden Namen handelt es sich laut Entwickler Albert Silver um eine Neuentwicklung. Und die soll anhand von Silvers Testreihen 45 bis 50 Elo stärker sein als das bislang dominierende Stockfish 12.

Bevor AlphaZero das (Computer-)Schach umkrempelte, befanden sich an der Spitze des Leistungsspektrums damalige Stockfish-Versionen im Wettstreit mit den kommerziellen Programmen Komodo und Houdini, die drei lagen etwa gleichauf vorn. Dann demonstrierte die DeepMind-Entwicklung AlphaZero Schach vom anderen Stern, blieb zwar ein für die Öffentlichkeit nicht zugängliches Projekt, aber die Technik ließ sich kopieren und weiterentwickeln.

LeelaZero entstand, die erste Schach-Engine auf Basis eines Neuronalen Netzes. Leelas Aufkommen gab auch der Stockfish-Entwicklung einen Schub, während die zwei kommerziellen Mitstreiter zurückfielen und mehr oder weniger obsolet wurden (warum ein Schachprogramm kaufen, wenn es die beiden besten gratis gibt?). Fortan war die Computerschach-WM TCEC bestimmt vom Kampf der Systeme: Leela mit ihrer revolutionären strategischen Tiefe gegen das taktisch kaum fehlbare Rechenmonster Stockfish.

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Kampf der Systeme

Großmeister Matthew Sadler hat einst im Gespräch mit dieser Seite erklärt, mit welcher Faszination er diesen Kampf Leela vs. Stockfish verfolgt – und in welchem Maße menschliche Schachspieler davon lernen können.

“Game Changer”, Matthew Sadlers vielfach ausgezeichnete Werk über AlphaZeros Schach, ist jetzt auch in deutscher Sprache erhältlich.

Sadler prophezeite, dass diese beiden fundamental unterschiedlichen Engines einander für lange Zeit beharken würden. Wass er nicht wusste, war, dass eine weitere fundamentale Neuentwicklung schon das Computer-Shogi erobert hatte und längst auf dem Weg war, auch das Computerschach umzukrempeln: Die NNUE-Technik beruht darauf, das Beste aus beiden Welten zu verbinden: Die von Menschen ausgetüftelte Stellungbewertung wird durch eine maschinell erzeugte eines Neuronalen Netzwerks ersetzt, das Rechnen erledigt die Engine auf traditionelle Weise.

Zwar wird die Engine auf diese Weise ein wenig langsamer als zuvor, andererseits versteht sie Schach um ein Vielfaches besser, und das ist offenbar deutlich mehr Wert als die Tempo-Einbuße. Für den Anwender ergibt sich obendrein ein praktischer Vorteil: NNUE-Engines laufen im Gegensatz zu reinen Neuronalen Netzwerken auf traditionellen CPUs, es bedarf keiner Hochleistungs-Grafikkarte mehr.

Dank NNUE-Technik machte Stockfish 12 gegenüber der Vorgängerversion 11 einen Leistungssprung von etwa 100 Elo, ein Meilenstein. Seitdem dominiert das NNUE-Stockfish das Computerschach. Im jüngsten TCEC-Finale Anfang 2021 besiegte Stockfish LeelaZero mit 53:47.

Albert Silver. | Foto: ChessBase

Der mit ChessBase eng verbundene Computerschach-Tüftler Albert Silver aus Brasilien stand der “Zero”-Attitüde der AlphaZero- und LeelaZero-Entwickler von Beginn an skeptisch gegenüber. Die “Zero”, Null, steht dafür, dass die Maschine im Spiel gegen sich selbst von allein lernt, ohne Wissen eingepflanzt zu bekommen. Silver findet das Beharren auf dem Zero-Ansatz dogmatisch und puristisch. Er fragte, ob es nicht zu noch besseren Ergebnissen führen könnte, den Neuronalen Netzen von Beginn an einen Wissensfundus an bereits gespielten hochklassigen Partien mitzugeben. Damit hat er sich in Computerschachkreisen nicht ausschließlich beliebt gemacht (siehe auch dieser Beitrag).

“Im Lauf ihres Lernens ist Leela durch Phasen gegangen, in denen sie mal diese, mal jene Eröffnung präferierte”, erklärt Silver im Gespräch mit dieser Seite. Diese Art des Lernens habe dazu geführt, dass Leela sich selbst darauf beschränkt, anhand einer limitierten Zahl von Eröffnungen und Strukturen Schach zu lernen. Und das wiederum habe zur Folge, dass die Engine manche Stellungen viel besser versteht als andere. Für Profis und ambitionierte Amateure sei es von erheblichem Wert zu wissen, in welcher Struktur sie sich am ehesten auf welche Engine verlassen sollten.

“Zehntausende Stunden Computerpower”

Silver trainierte Ende 2019 sein eigenes Neuronales Netzwerk. Das sollte nicht bei Null anfangen, sondern bekam von Beginn an hochklassige Menschen- und Engine-Partien sowie Tablebases gefüttert. Fat Fritz entstand – und setzte sich Anfang 2020 tatsächlich an die Spitze der Computerchess-Engine-Rangliste. Nur wurde diese Liste Ende des dritten Quartals 2020 neu gemischt, als eben der neue NNUE-Stockfish 12 erschien und fortan Chef im Ring aus 64 Feldern war. Die neue Technik übertraf alles bisher Dagewesene.

Der fette Fritz, ab dem 9. Februar erhältlich.

Nun wollte Silver auf Basis der neuen Technik ein Neuronales Netzwerk trainieren, das es möglich macht, Stockfish 12 zu schlagen. Und er war nicht der Einzige mit derartigen Ambitionen. Schon im November 2020 erschien ein NNUE-Komodo namens Dragon, der derzeit auf Rang zwei der Engine-Rangliste liegt (hinter Stockfish 12, vor LeelaZero).

Diese drei sollen sich ab kommender Woche hinter Silvers neuem, fetten Fritz einsortieren. “Zehntausende Stunden Computerpower und tausende Dollar” seien in das Training und die Entwicklung eines neuen Neuronalen Netzes geflossen, erklärt Silver. Ende November 2020 schon sei das Programm fertig gewesen, den Betreibern von Computerschach-Listen liege es seitdem vor und werde längst im Vergleich mit anderen Engines getestet. “Die Ergebnisse dürfen erst mit Erscheinen der Software veröffentlicht werden”, sagt Silver.

Die Technik hinter Fat Fritz 2.0 basiere zwar auf der von Stockfish 12, gleichwohl sei es ein ganz anderes Programm. Das Neuronale Netzwerk seiner Engine sei doppelt so groß wie das von Stockfish 12, die Engine “weiß” doppelt so viel. Außerdem sei die Basis für die Stellungsbewertungen eine andere, sie basiere vollständig auf dem ersten Fat Fritz.

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Peter
Peter
3 Jahre zuvor

Für mich beginnt ChessBase langsam peinlich zu werden und das sage ich als langjähriger Fan und Kunde seit über 30 Jahren, der schon mehrere 1.000 Euro (und DM) dort gelassen hat. Der Nachrichten-Wert der Website hat kräftig nachgelassen, noch vor wenigen Jahren war die Chessbase Seite für mich die Nummer 1 im WWW in Sachen Schach. Das gilt ganz sicher nicht mehr. Und die aktuelle Meldung hat einen bitteren Beigeschmack in doppelter Hinsicht: zum einen benutzen sie hier offensichtlich Open-SourceSoftware, um irgendwie noch an Geld heranzukommen und zum Zweiten scheint die Behauptung “Die neue Nummer 1” auf einem gar nicht… Weiterlesen »

Coach Jaxx
Coach Jaxx
3 Jahre zuvor

Kleine AHa-Regel zum Journalismus: Abstand zur Werbung | Hygiene in der Recherche | anständig bleiben … oder frei nach Alireza Firouzja:

acepoint
3 Jahre zuvor

Aggressives Marketing + Mogelpackung und anscheinend auch nicht stärker bzw. schon wieder leicht schwächer als das aktuelle Stockfish bzw. seine «offiziellen» Clones. Irgendwelche findigen User von Talkchess haben die Codeänderungen bereits bei github gefunden: https://github.com/DanielUranga/Stockfish/commit/e44edde482ad06154c5133173245fdd2ad48a8cc Mehr als die Hälfte der geänderten Codezeilen dient nur dem Zweck, das kompilierte Binary von Stockfish bzw. den Namen des verwendeten Weightfiles umzubenennen. Der Contempt (default) wird von 24 auf 0 gesetzt, in einer Zeile der Bewertungsfunktion wird ein Wert geändert, das war es. Für € 99,- – und kein Rabatt für Fritz17-Käufer(!) – erhält man also ein Stockfish mit dem Namen von Albert Silver… Weiterlesen »

Krennwurzn
Krennwurzn
3 Jahre zuvor

Es gibt ein Statement von Stockfish zu Fat Fritz 2

Stockfish Blog — Statement on Fat Fritz 2 (stockfishchess.org)

Coach Jaxx
Coach Jaxx
3 Jahre zuvor

Interessant könnte hier vielleicht auch eine Kooperation mit KugelBuch sein, KugelZero sozusagen. Der spielende Beweis dafür, dass der Weg zur Verbesserung bei Weitem nicht so steinig und schwer ist, wie hier irreführend von Arne Kaehler recherchiert wurde.

Da der Stockfish-Patch mit FatFritz2_v1.bin nun Open Source ist, drängt es sich doch nahezu auf, neben der BodenseeBase mittelfristig auch über den Download einer NNUE-Datei wie FatBallsBook_v42.bin zu sinnieren.

Kickstarten mit KugelBuch? Natürlich hast du zu viel um die Ohren für so ein groß angelegtes Trittbrettfahren… aber für die simple Korrektur des affigen Affiliate-Links reicht die Zeit doch noch bestimmt 🙂

Persiflage_auf_die_Tulpomanie.jpg
nio
nio
3 Jahre zuvor

Es hat sich rausgestellt, dass Houdini 6.03 ein dänische Übersetzung von Stockfish 8 mit einigen reverse Engineering Modifikationen aus Komodo ist …

Coach Jaxx
Coach Jaxx
3 Jahre zuvor

Shoutouts gehen raus Richtung »Fernost« zum Gewinn eines Turnieres, das beim Hersteller von FatFritz2_v1.bin nicht soooo richtig gut funktioniert hatte. Dieses PR-Desaster wurde heute korrigiert … aber nicht vom Partner des DSB (samt diverser Landesverbände) sondern von Lichess, der DSJ und last not least Kelheim … aber Conrad wird sicherlich noch darüber berichten 🙂

Standing on Giants!

acepoint
3 Jahre zuvor

@Conrad

Konntest Du die Veröffentlichung dieses, nach den zahlreichen neuen Informationen ja fast schon peinlichen Artikels heute auf Chessbase nicht mehr verhindern?

https://de.chessbase.com/post/staerker-als-stockfish

Und, wie üblich bei Chessbase, Kommentare sind nach den ersten beiden kritischen deaktiviert. Mal schauen, wie lange diese beiden Kommentare noch online bleiben.

Bildschirmfoto 2021-02-16 um 11.57.51.png
Coach Jaxx
Coach Jaxx
3 Jahre zuvor

Kleine Feedback-Schleife zum Thema Reinforcement Learning. Für die Übersetzung empfehlen wir diesem Link zu folgen.

Schönen Restkarneval noch …

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[…] Gespräch mit dieser Seite vor Veröffentlichung von Fat Fritz 2.0 hat Albert Silver erläutert, dass sich […]