Mit 19 Spielern und Spielerinnen war das deutsche Schach in der europäischen Vorrunde der Jugend-WM vertreten, darunter eine Reihe von Mitfavoriten. Nach sieben Runden an drei Spieltagen das böse Erwachen: Alle 19 sind ausgeschieden, teils auf brutalstmögliche Weise.
Bei der ab dem 19. Dezember ausgespielten Endrunde wird einzig der als Weltranglistenvierter (U16) gesetzte Vincent Keymer die deutschen Farben vertreten. Außer, und das ist wirklich nur ein dünner Strohhalm, auf den wir nicht spekulieren wollen, es schlägt nachträglich noch ein Cheating-Detektor an und verschiebt das Endklassement der Vorrunden.
Hoffnungsvoll hatte sich die deutsche Delegation am Sonntag auf die drei Turniertage ab Montag vorbereitet. Dass seine Jungs und Mädchen spielen können, stand für Bundesnachwuchstrainer Bernd Vökler außer Frage. Nun galt es, die 19 mit den Abläufen und der Mechanik auf der für sie ungewohnten Plattform Tornelo vertraut zu machen. Diese auf die Bedürfnisse von Veranstaltern und Schiedsrichtern zugeschnittene Plattform dient nationalen wie internationalen Verbänden zunehmend als Schauplatz ihrer Online-Wettbewerbe.
“Alles ist möglich.” Was Vökler über seine fünf Schützlinge in der U12 und U12w sagte, galt auch für die anderen Altersklassen. Für Luis Engel bei seinem voraussichtlich letzten internationalen Jugendwettbewerb in der U18 zum Beispiel. Schon vor gut einem Jahr im Gespräch mit dieser Seite hatte der damals angehende Abiturient betont, wie sehr ihm daran liegt, bei seiner letzten U18-WM als Mitfavorit noch einmal nach den Medaillen zu greifen, bevor der Ernst des Lebens in Gestalt eines Studiums das Schach endgültig zum Hobby macht.
Dass ihm eine Pandemie die ersehnte “richtige” WM verwehrt, war da noch nicht abzusehen. Und erst recht nicht der Umstand, dass die online ausgetragene Ersatz-WM so bitter verlaufen würde. Mit 4,5/5 war Luis Engel nach zwei von drei Spieltagen auf Kurs. Am gestrigen dritten Spieltag setzte es zwei Nullen, und der Hamburger endete auf Rang neun. Um zur WM-Endrunde zu fahren, hätte er Dritter werden müssen.
“Bitter nach so einem Traumstart”
“Wir waren beide überrascht, wie gut es am ersten Tag lief, da Luis quasi gar kein Online-Schach spielt”, sagt Engels Coach Felix Meißner. Am dritten Tag sei sein Schützling in der ersten Partie schlicht überspielt worden. In der finalen habe er nach neun Zügen auf Gewin gestanden, aber im Angesicht einer Vielzahl guter Möglichkeiten letztlich etwas übersehen. “Insgesamt natürlich bitter nach so einem Traumstart, aber letztendlich hat Luis genau seine Elo gespielt.”
In der U18w hatten wir sogar drei Eisen im Feuer: Jana Schneider, Lara Schulze und die einstige U16-Weltmeisterin Annmarie Mütsch sind in Sachen Spielstärke nahe beieinander. Würde es gut laufen, hätten alle drei das Potenzial, eines der drei Tickets zur Endrunde zu lösen. Vielleicht würden sie am Ende gar zu dritt auf dem virtuellen Treppchen stehen? Alles war möglich.
Leider auch das:
Da hilft die beste Buchholz nicht. Da hilft Annmarie Mütsch nicht, dass sie sich von der Niederlage gegen Lara Schulze rasch erholte und es in der letzten Runde am ersten Brett mit einem Sieg gegen die spätere Erstplatzierte die Qualifikation hätte schaffen können. Am Ende stand ein Turmendspiel auf dem Brett, das remis war. Und Lara Schulze hilft nicht, dass sie sich von drohenden Matheklausur am heutigen Donnerstag nicht belasten ließ und ihre Landsfrau Mütsch schlug. Beiden fehlte letztlich ein halber Punkt.
Das ist knapp, aber wenigstens eindeutig. Wer allerdings glaubt, dass 5,5 Punkte aus 7 Partien nun wirklich für einen Platz unter den ersten Drei reichen sollten, der schaue sich das Endklassement in der U16 an:
Frederik Svane ist weit mehr als Lübecks Leistungsträger in der Quarantäne-Bundesliga. Er schickt sich an, auch ohne Prinzen-Förderung das zu werden, was sein großer Bruder Rasmus schon ist: Ein Großmeister aus der 2600-Abteilung. Und Ruben Gideon Köllner hat unlängst erst beim Claus-Dieter-Meyer-Gedenkturnier in Bremen, dann bei der Deutschen Jugendmeisterschaft in Willingen gezeigt, dass er im Aufwind ist.
Natürlich würden zwei Jungs dieses Kalibers auch bei einer europäischen WM-Vorrunde U16 vorne mitspielen. Beide bekamen es mit dem einzigen GM im Feld und nominellen Favoriten Jonas Buhl Bjerre aus Dänemark zu tun, beide bestanden diese Prüfung. Und doch reichte es am Ende ganz knapp nicht. Frederik Svane fehlte gar nur ein verfeinerter Wertungspunkt.
Und so könnten wir die Altersklassen weiter durchgehen, von der U14 (wo Markus Albert seine erste WM spielte) über die U12 …
… , wo Marius Deuer knapp scheiterte, bis hinab zur U10:
Am Ende stehen diverse ordentliche, gute und sehr gute Ergebnisse unserer 19 Spieler und Spielerinnen. Leider war keines dieser Ergebnisse gut genug für die Qualifikation zur WM-Endrunde.
Eine Auswahl von Taktiken mit deutscher Beteiligung.
Schneider, Jana (2272) – Aubert, Estee (2013)
FIDE World Youth Rapid Champ Europe U18 Girls Tornelo, 2020.12.0
Zum Aufwärmen: Weiß zieht und gewinnt.
(Du willst lösen? Klick aufs Brett.)
Habans Aguerrea, Javier (2269) – von Mettenheim, Johannes (1995)
FIDE World Youth Rapid Champ Europe U12 Open Tornelo, 2020.12.07
Weiß muss aufpassen, dass er nicht in ein schwieriges Endspiel mit Minusbauer und schlechtem König gerät, nachdem sich die beiden Freibauern gegeneinander getauscht haben. Nach 1.c7? Tc6+ 2.Ka5 Txc7 3.Txb2 zum Beispiel. Nein, das geht besser.
Weiß zieht und erzwingt ein Remis.
Ivanova, Dilyana (1743) – Butenandt, Svenja (2014)
FIDE World Youth Rapid Champ Europe U14 Girls Tornelo, 2020.12.07
Das Finale einer furiosen Attacke. Weiß zieht und gewinnt.
Juhasz, Judit (2037) – Schneider, Jana (2272)
FIDE World Youth Rapid Champ Europe U18 Girls Tornelo, 2020.12.07
Schwarz zieht und gewinnt.
Ziegenfuss, Antonia (2101) – Tsotsonava, Elene (1805)
FIDE World Youth Rapid Champ Europe U16 Girls Tornelo, 2020.12.07
Ob Antonia dachte, dass trotz reduzierten Materials ihr Mattangriff ausreicht, sodass der Kollege auf b2 kein Unheil mehr anrichten kann? In der Partie gewann Weiß tatsächlich, aber nur, weil Schwarz hier die Gelegenheit verpasste, die Angelegenheit zu ihren Gunsten zu entscheiden.
Schwarz zieht und gewinnt.
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(Titelfoto via Deutscher Schachbund)
Meiner Meinung nach sind 7 Runden bei zum Teil fast 70 Teilnehmern zu wenig. Hier wären mindestens 9 Runden nötig gewesen…