Von der Stasi-Putzfrau bis zur Fahrt im goldenen Mercedes – der Schach spielende Spion Heinrich Burger

Pressesprecher der SPD, Journalist, verheiratet, eine Tochter. Klubmeister bei Lasker-Steglitz und Bundesligaspieler. Als die Mitglieder des Berliner Schachverbands im April 1974 aus ihrem Mitteilungsblatt erfuhren, dass sie nun einen neuen Vorsitzenden haben, deutete nichts darauf hin, dass dieser sein Amt bald würde abgeben müssen, weil er unter Spionageverdacht im Gefängnis sitzt.

Wie 1968 aus dem jungen West-Berliner Reporter Heinrich Burger der Stasi-Kundschafter Heinrich Burger wurde, haben wir unlängst erfahren:

Im heutigen zweiten Teil unseres Gesprächs mit Heinrich Burger beleuchten wir seine Agententätigkeit – und seine Liebe zu unserem Spiel, die sogar einen gestandenen Großmeister wie Lubomir Kavalek veranlasste, sich gewissenhaft auf seine Bundesligapartie gegen Heinrich Burger vorzubereiten. Dessen Lust auf Wettkampf erlosch auch hinter Gittern nicht, im Gegenteil. Aus dem Gefängnis heraus wurde Heinrich Burger Deutscher Vizemeister im Fernschach.

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via Berliner Schachverband

Herr Burger, im März 1974 wurden Sie Präsident des Berliner Schachverbands. Hatte da auch das Ministerium für Staatssicherheit die Finger im Spiel?

Gar nicht. Ich war ein bekannter Berliner Schachspieler, und aufgrund meiner beruflichen Tätigkeit wurde angenommen, dass ich organisatorisch manches auf die Beine stellen kann. Ich bin gefragt worden, habe nach kurzer Überlegung zugesagt, dann wurde ich als Nachfolger von Alfred Kinzel gewählt.

Alfred Kinzel | via Wikipedia

Kinzel wurde damals DSB-Präsident, das hätte auch Ihr Weg sein können. Vielleicht wäre in den Jahren nach dem Fischer-Spassky-Match Schachpolitik auf der deutsch-deutschen oder internationalen Ebene für das MfS interessant gewesen.

Wirklich nicht. Ich kann es nicht belegen, aber nehme eher an, dass mein Schach-Engagement in der DDR gar nicht so gerne gesehen wurde. Es hat ja Kräfte absorbiert, die ich anderweitig – politisch – hätte einsetzen können.

Wie lief Ihre Kommunikation mit dem MfS?

Es gab verschiedene Kanäle. Einer davon war mein sogenannter Funkwagen, den ich als Polizeireporter fuhr: ein Kombi mit einem Funktelefon. Vorne konnte man den Hörer abnehmen, der hintere Teil des Wagens war voll mit dem Gerät, ein riesiger Kasten. Damit konnte ich schon 1968 mobil mit der Redaktion telefonieren, zum Beispiel durchgeben, was für Fotos von mir zu erwarten waren, wenn ich bei irgendeinem Ereignis gewesen war. Damals war das etwas ganz Besonderes. Im Springer-Haus hatten wir, glaube ich, nur zwei dieser Wagen. Einen fuhr ich. Diesen Kanal habe ich oft genutzt, um die Genossen in Ost-Berlin zu informieren. Das MfS schnitt routinemäßig alle Funktelefonate mit. Ich rief beispielsweise meine Frau an und übermittelte mit scheinbar harmlosen Bemerkungen Informationen.

Gab es direkten Kontakt zur Stasi?

Die wichtigste Schiene war die über den Kurier. Den hatten wir in einem konspirativen Haus in Glienicke kennengelernt, wo wir uns beraten haben, dort haben wir auch gelegentlich übernachtet. Dieser Mann, Hans Goldschmidt, wurde mein Freund und kurioserweise später mein Chef, als ich in der DDR lebte, dazu kommen wir später bestimmt noch. Eine andere Kontaktperson war unsere Putzfrau. Die war uns vom MfS vermittelt worden. In Wirklichkeit tat sie nur so, als würde sie putzen. Sie hat Bänder mitgenommen, die ich besprochen hatte, manchmal auch Filme von meiner Minox.

Eine Minikamera. Die war Teil Ihrer Agentenausstattung?

Damit habe ich Dokumente abfotografiert, in der Regel Unterlagen aus der SPD-Zentrale an der Müllerstraße in Wedding. Wenn ich das zu Hause machte, bastelte ich mir ein kleines Foto-Studio, indem ich Lampen an Stuhllehnen klemmte.  

Keine Agentengeschichte ohne geheimen Briefkasten.

Den gab es, ein hohler Baumstumpf in einem Park in Schöneberg in der Nähe unserer Wohnung. Dort habe ich gelegentlich Sachen deponiert.

Wie hat das MfS Sie auf dem Laufenden gehalten oder Anweisungen gegeben?

Entweder bei unseren direkten Treffen in Ost-Berlin oder über den Kurier, der Aufträge, Wünsche oder Einschätzungen der von uns gelieferten Berichte brachte. Auf diese Weise hatten wir ein Feedback. Aber wir mussten aufpassen, dass der Kurier nicht zufällig Besuchern über den Weg läuft. Eine Lampe im Fenster war das Warnzeichen. Wenn sie leuchtete, wusste er, dass er nicht klingeln kann.

Polizeireporter Heinrich Burger Ende der 60er-Jahre in der Redaktion. | Foto: privat

Ihre Arbeit, Ihre Agententätigkeit – Sie waren in dieser Zeit alles andere als unterbeschäftigt. Wie kamen Sie dazu, ambitioniert Schach zu spielen? Und dazu noch das zeitintensive Fernschach?

Mit Fernschach habe ich früh angefangen. Zu Beginn meiner Studentenzeit Anfang der 60er-Jahre habe ich mich oft geärgert, dass ich Gewinnstellungen nicht gewinnen konnte. Mal reichte die Konzentration nicht, mal verrechnete ich mich. Ein Kommilitone war Fernschachspieler, der bat mich, ihm bei den Analysen zu helfen. So habe ich festgestellt, dass Fernschach  eigentlich ideal für mich ist. Da konnte ich in Ruhe überlegen. Fortan hat Fernschach bei mir allmählich eine immer eine größere Rolle gespielt als Nahschach.

Lubomir Kavalek 1968. | Foto: Wikipedia

Aber Sie haben im Nahschach Bundesliga gespielt?

Am ersten und zweiten Brett sogar. Mit Lasker-Steglitz sind wir 1974 in die Bundesliga-Endrunde gekommen. Gleich zum Auftakt spielten wir gegen den späteren Meister Solinger SG. Ich bekam es am zweiten Brett mit Lubomir Kavalek zu tun, am ersten Brett spielte mein Mannschaftskamerad Herbert Kauschmann gegen Robert Hübner. Kavalek hatte sich auf meinen offenen Spanier vorbereitet, setzte mir eine Neuerung vor und gewann. Die Partie ist oft veröffentlicht wurden, nur konnten die Schachmagazine mit dem Namen „Burger“ nichts anfangen. Die Partie ist als Lubomir Kavalek – Arthur Bisguier in die Schachgeschichte eingegangen, das habe ich nie korrigiert. Jedenfalls war ich im Nahschach wahrscheinlich nicht ganz schlecht, aber auch nichts Besonderes. Knapp über 2200.

Als Sie aufgeflogen waren und in Haft saßen, haben Sie aus dem Gefängnis heraus weiter Fernschach gespielt. Ging das einfach so?

Zu Beginn saß ich eineinhalb Jahre in Untersuchungshaft, da lief gerade das Semifinale zur Weltmeisterschaft. Einer meiner Gegner war ein bekannter DDR-Meister. Speziell bei dieser Partie hatte ich Sorge, dass die Behörden nun meinen Postverkehr unterbinden. Aber sie haben mich weiterspielen lassen. Weil in der DDR wahrscheinlich die Stasi mitlesen würde, habe ich auf meinen Karten stets meine Situation in der Haft geschildert. Später stellte sich heraus, dass die Karten an meinen Schachfreund in der DDR tatsächlich über einen Stasi-Schreibtisch liefen. So war man dort immer informiert, wie es mir geht. Aus der Haft heraus habe ich auch die Deutsche Meisterschaft mitgespielt. Ich bin Vizemeister geworden, punktgleich mit Heinz-Wilhelm Dünhaupt, der die bessere Wertung hatte.

Rudolf Teschner 1954. | Foto: Schachbund

Sie waren auch schachjournalistisch tätig.

Für die Deutsche Schachzeitung habe ich im Gefängnis gearbeitet. Deren Chefredakteur Rudolf Teschner war ein Freund unserer Familie, er kannte meinen Vater, war oft zu Besuch, bei diesen Gelegenheiten haben auch wir die eine oder andere Partie gespielt. Für mich war Teschner immer ein väterlicher Freund. Für seine Zeitung habe ich Übersetzungen vom Englischen ins Deutsche gemacht und gelegentlich Partien kommentiert. Das ging während der Haft weiter.

Nach drei Jahren Gefängnis der Austausch auf der berühmten Glienicker Brücke, der “Agentenbrücke” …

… nein, da war er nicht, das ist ein Fehler in meinem Wikipedia-Eintrag. Der Austausch lief viel prosaischer ab. Das fing an mit meinem Mittagessen im Gefängnis: Pellkartoffeln mit Quark, in die ich mir reichlich Zwiebeln geschnitten hatte, eines meiner Lieblingsgerichte. Ich hatte mir den Magen vollgeschlagen, wollte mich gerade zum Mittagsschlaf hinlegen, da kam ein Aufseher rein: „Herr Burger, packen Sie Ihre Sachen zusammen.“ Der Gefängnisdirektor hat mich dann zu einer Rechtsanwaltskanzlei am Kurfürstendamm gefahren, wo wir noch auf den Senatsbeschluss warten mussten, dass ich begnadigt und freigelassen werde. Und dann haben die versucht, mich zu bewegen, nicht nach Ost-Berlin zu gehen. Ich bekam meinen Ausweis zurück, es hieß: „Herr Burger, Sie sind frei.“ Ich wurde fast gedrängt, nun auf die Straße zu gehen, ich sei ja ein freier Mann.

Sie hätten im Westen bleiben können.

Mir kam das verdächtig vor, und ich habe lieber gewartet, bis mein Anwalt, der DDR-Rechtsanwalt Wolfgang Vogel, mich abholt. Und der sagte mir, ich werde erwartet. Mit Vogels Mercedes sind wir dann am Grenzübergang Invalidenstraße rübergefahren. Der fuhr einfach durch! Keine Kontrolle, gar nichts. Als die Grenzer ihn sahen, gingen sofort die Schlagbäume hoch. Ein paar Tage später hat Vogel auf dem gleichen Weg mein Hab und Gut aus dem Gefängnis geholt. Meine Zelle war ja vollgestopft, vor allem mit Büchern. Vogel hat seinen Mercedes mit meinen Sachen vollgepackt und auch die rübergebracht.

In der DDR standen Sie wahrscheinlich anfangs ohne Job da.

Fortsetzung:


Mehr als 170.000-mal verkauft: Heinrich Burgers väterlicher Freund Rudolf Teschner war Autor eines der erfolgreichsten deutschsprachigen Schachbücher überhaupt.

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