Matthias Blübaum und die 2700-Marke: “Mir geht es wie jedem Schachspieler. Ziel ist immer der nächste Hunderter.”

Der Dreikampf um den Nummer-eins-Spot der deutschen Rangliste hat sich zum Auftakt der Schachbundesliga noch einmal zugespitzt. In Diensten der Schachfreunde Deizisau starteten Matthias Blübaum und Alexander Donchenko jeweils mit einem Remis gegen einen Weltklassemann, der eine gegen den Polen Radoslaw Wojtaszek, der andere gegen den Ungarn Richard Rapport.

Donchenkos Gegner war mit 2760 Elo nominell ein wenig stärker bewertet als Blübaums, und so rückte Donchenko seinem Mannschaftskameraden noch näher auf die Pelle. 0,4 Elopunkte trennen die beiden jetzt voneinander – das ist der Stand vor den zwei Runden, die die Schachbundesliga am heutigen Donnerstag absolviert:

Schwarz-rot-goldenes Gedrängel in der Live-Rangliste.

Hinter Blübaum und Donchenko zeigt Liviu Dieter Nisipeanu, dass er nicht gewillt ist, die beiden Youngster davonziehen zu lassen. Parallel zur Schachbundesliga läuft die rumänische Liga, und dort sammelt der gebürtige Rumäne fleißig Elopunkte ein.

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Beim Masters in Magdeburg hatte sich Matthias Blübaum an die Spitze dieses Trios gesetzt. Wir hatten diesen Erfolg zum Anlass genommen, ein Schachgespräch mit dem 23-jährigen Mathematikstudenten zu führen. Weil das so ausführlich geraten ist, haben wir es zweigeteilt. Zur Erinnerung Teil eins:

Heute der zweite Teil. Matthias Blübaum führt uns durch die zweite Hälfte des Masters, speziell die kritischen Partien gegen Donchenko und Nisipeanu. Er spricht über die freundschaftliche Rivalität mit Alexander Donchenko und das Problem, in Corona-Zeiten Schachturniere zu finden.

Matthias Blübaum während des Masters in Magdeburg. | Foto: Frank Hoppe/DSB

Matthias, in der vierten Runde des Masters hast du wieder voll gepunktet. Nisipeanus Leningrad-Stonewall-Mix sah komisch aus.

5…Se4 ist eine totale Nebenvariante. Ich wusste sogar, dass Dieter das im Blitz ausprobiert hatte, dachte aber, das sei ein Spaß von ihm gewesen. Vorbereitet war ich darauf nicht. Als dann 5…Se4 auf dem Brett stand, habe ich mich geärgert. Es sieht zwar zweifelhaft aus, aber es ist nicht einfach für Weiß, etwas rauszuholen. Diese Stonewallstellungen sind immer schwierig zu knacken. Mit Se5 nebst f4 habe ich einfach irgendetwas gemacht, gut war das wahrscheinlich nicht. Ich glaube, sein 12…c5 war ein Fehler. Wenn er vorher rochiert, ist es für mich gar nicht so einfach zu zeigen, wie ich Fortschritte machen will.

Wenn Schwarz nicht …c5 spielt, steht er dann nicht einfach nur auf lange Sicht gedrückt?

Nicht unbedingt. Er wird früher oder später seine Bauernmehrheit am Königsflügel in Bewegung setzen, um dort anzugreifen. Weiß fragt sich währenddessen, wie er am Damenflügel vorankommen will. Das ist gar nicht so einfach umzusetzen, wenn Schwarz ihm nicht auf c5 ein Ziel hinstellt.

„d4-d5 oder nicht d4-d5“ war die Frage, als 12…c5 auf dem Brett stand. Als du 13.b4 gezogen hast, habe ich gestaunt. Darauf wäre ich nie gekommen.

Für mich war 13.b4 in Verbindung mit 14.a3 der natürliche Zug, der erste, den ich ernsthaft überlegt habe. Ich bin ja davon ausgegangen, dass ich den Damenflügel öffnen muss. 13.d5 habe ich mir natürlich auch angeschaut, aber das hat mir nicht gefallen. Klar, ich bekomme einen gedeckten Freibauern. Aber wenn ich d6 spiele, stellt er seinen Läufer nach g5, und dann rollt er bald am Königsflügel los, ohne dass ich auf der anderen Brettseite Gegenspiel habe.

Danach die zentrale Partie des Turniers. Schwarz gegen Alexander Donchenko. Du hast eben schon angedeutet, die Eröffnung sei schiefgegangen.

Alexander spielt normalerweise nicht 1.e4. Also war klar, dass er sich etwas Spezifisches gegen mein Repertoire zurechtgelegt hatte. Und ich musste am Brett überlegen, welche Nebenvariante ich spielen soll. Letztlich habe ich mich für etwas entschieden, das ich noch nie gespielt hatte. 7…Tb8 gilt zwar als schlecht, ich weiß auch warum, aber habe gehofft, dass er das nicht weiß. Er wusste es tatsächlich nicht, nur hat mir das nicht geholfen. Nach 10.Ta2 war nämlich ich derjenige, der nicht wusste, was er tun soll. Ich habe lange überlegt, mir hat nichts gefallen. Wahrscheinlich muss ich irgendetwas mit …b4 machen, aber das sagte mir so gar nicht zu. Am Ende habe ich halt 10…c4 gespielt – grauenhaft!

Und da fühlte es sich schon verkehrt an?

Schlimmer. Ich dachte, dass ich schon auf Verlust stehe. Aber ich kann ja nicht einfach aufhören, ich musste weiterspielen. Mir ist es dann wenigstens gelungen, nicht noch mehr falsch zu machen und die Stellung zusammenzuhalten, so gut es geht. In Zeitnot habe ich die Idee …Kh7 nebst …Sg6 gefunden, danach ergab es sich, dass sich meine Stellung leichter spielen ließ. Und dann ist es ja auch sofort gekippt.

Stellung vor 34…Txf3.

34…Txf3 muss man erstmal raushauen mit wenig Zeit auf der Uhr.

33.Db8 war ein ziemlicher Bock von ihm. Bei 33…Lg4 hatte ich 34…Txf3 schon geplant. Aber da war es auch schon angenehm für mich zu spielen, und ihm lief die Bedenkzeit viel mehr davon als mir. Bestimmt war Alexander frustriert. Ich kenne das ja selbst: Du hast die Partie lange unter Kontrolle, dann entgleitet sie dir, plötzlich ist alles superkompliziert, und dann stellst du bald vor lauter Frust alles ein.

Nach dem Sieg gegen Alexander hast du das Turnier mehr oder weniger austrudeln lassen.

Die Partie in der sechsten Runde gegen Niclas war noch wichtig. Er lag einen Punkt hinter mir, ich durfte nicht verlieren. Am Ende hätte ich sogar noch weiterspielen können, aber ein Remis passte mir ins Konzept. Damit war ich so gut wie durch.

Deutsche Blitzmeisterschaft gewonnen, Masters gewonnen, Nummer eins in Deutschland. Wie fühlt sich das an?

Kaum anders als vorher. Das Masters war ein Schachturnier, das gut gelaufen ist. Das passiert. Es kommt bestimmt auch wieder eines, das schlecht läuft. Froh bin ich, dass mein Elo gestiegen ist, aber unabhängig davon, ob ich jetzt die deutsche Nummer eins bin oder nicht. Dass ich es bin, ist natürlich schön, aber nicht so wichtig.

Come on!

Okay, ich verfolge natürlich, wie Alex spielt und wo er steht. Als Ansporn gefällt mir so ein Konkurrenzkampf recht gut. Aber ich wäre auch als deutsche Nummer zwei zufrieden, wenn ich meinen Elo deutlich über 2700 bringe. Mir geht es in erster Linie um meine Zahl. Die von anderen kann ich ja schlecht beeinflussen.

Wie ist euer Verhältnis? Als ehemalige Prinzen kennt ihr euch ja schon ewig.

Freundschaftlich. Früher haben wir viel zusammen gearbeitet, das machen wir heute kaum noch. Aber wir verstehen uns gut, und wahrscheinlich empfinden wir es beide als Ansporn, wenn wir sehen, wie stark der andere spielt.

Die deutschen Schachprinzen 2012: (von links) Alexander Donchenko, Rasmus Svane, Dennis Wagner, Matthias Blübaum. | Foto: Deutscher Schachbund

Bei dir hat sich schon vor Corona abgezeichnet, dass es nach oben geht. Woran liegt das?

Über 2640 war ich ja schon vor ein paar Jahren, aber bin immer wieder runtergefallen. Jetzt mache ich nichts großartig anders als vorher, es läuft einfach gerade sehr gut. Woran das liegt, weiß ich gar nicht. Aber ich hoffe natürlich, dass das so bleibt.

Setzt du dir Ziele? Die „2700“ hast du eben schon erwähnt.

Das geht doch jedem Schachspieler so. Ziel ist immer der nächste Hunderter.

Für dich stand direkt nach dem Masters die polnische Liga auf dem Programm, da hast du Alexander wieder überholt. Als nächstes kommt wahrscheinlich die Bundesliga-Meisterschaftsrunde für Deizisau? Und danach?

Zur Bundesliga möchte ich gar nichts sagen. Es darf gerne jeder spekulieren, wer bei uns aufläuft, aber ich möchte nicht vorab unsere Aufstellung preisgeben. Darüber hinaus, schwierig. Es scheint ja langsam wieder loszugehen mit dem Turnierbetrieb, aber ich habe noch nichts Konkretes geplant.

Sollte sich etwas offenbaren, wärst du wahrscheinlich nicht abgeneigt.

Klar. Es gibt ja nicht so viele Chancen zu spielen im Moment. Ergäbe sich eine, würde ich sie wahrscheinlich nutzen.

Matthias Blübaum und Bundestrainer Dorian Rogozenco während der Online-Olympiade, bei der Deutschland es bis unter die letzten 16 schaffte. | Foto: Frank Hoppe/Deutscher Schachbund
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[…] Gegnerschnitt nahe 2600 vorgesetzt, da kann er den nächsten Schritt machen. Und die anderen drei, Matthias Blübaum, Alexander Donchenko und Liviu Dieter Nisipeanu, sollen die Chance haben, sich Richtung 2700 zu […]

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