Fabiano Caruana: “Hier sind alle paranoid.”

Hat Caruana den Corona? 37,1 Grad Körpertemperatur maß der Turnierarzt am Morgen vor der zweiten Runde beim US-Großmeister, und das löste sogleich Aufregung aus. Eine zweite Messung musste her, es blieb dabei: 37,1 Grad.

Letztlich kamen die Organisatoren zu dem Schluss, dass Caruana nicht krank ist. Das Kandidatenturnier geht weiter, die zweite Runde fand statt, und der Turnierfavorit fegte den Außenseiter vom Brett. Nach 34 Zügen gab sich Kirill Alekseenko Fabiano Caruna geschlagen.

Kurz nach der Partie stand Fabiano Caruana seinen Freunden vom Saint Louis Chess Club Rede und Antwort. In diesem vertrauten Umfeld äußerte sich die Nummer zwei der Welt in aller Offenheit zum Turnier, den Begleitumständen und zum Fehlstart seines vermeintlichen Hauptkonkourrenten Ding Liren.

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Fabi, wie läufts?

Heute ziemlich rund. Ich wollte eine scharfe Stellung, darum 4.f3 gegen den Nimzoinder, und ich habe bekommen, was ich wollte.

Du hast nach der Partie gesagt, sein 15…Te6 sei seltsam. War das noch Teil deiner Vorbereitung?

Eigentlich schon, vor einiger Zeit habe ich mir das angeschaut, aber ich konnte mich heute an nichts erinnern. Er hatte diese Variante nie zuvor gespielt, insofern war ich überrascht. Nach …Te6 war ich komplett auf mich gestellt. Vorher hatte ich mich wenigstens an ein paar Ideen und Züge erinnert. Ich wusste auch noch, dass Schwarz statt 15…Te6 15…Tb8 ziehen kann, aber das war es dann.

Wolltest du eine scharfe Stellung, weil auf der anderen Seite der Spieler mit dem niedrigsten Elo saß? Oder ist das deine generelle Attitüde für das Kandidatenturnier?

In erster Linie wollte ich einen Kampf, eine reiche Stellung. Das war nicht spezifisch auf ihn gemünzt, aber ich dachte, dass mein Ansatz gegen ihn gut funktionieren könnte. Kirill hat vergleichsweise wenig Erfahrung mit Eröffnungsvorbereitung auf diesem Level.

Wie empfindest du die Spielbedingungen?

Komfortabel fühlt sich unter diesen Umständen wohl niemand. Zwei Mal täglich wird unsere Temperatur gemessen, morgens und abends. Heute Morgen war ich sogar doppelt dran. Ich hatte beim ersten Messen 37,1, da brach sofort Alarm aus. Der Doktor hat irgendwelche Politiker angerufen, um zu klären, wie er mit diesem Ergebnis umgehen soll. Ich musste dann nochmal meine Temperatur nehmen lassen: wieder 37,1. Eigentlich eine normale Temperatur, aber hier in Russland zählt das anscheinend als Fieber.

Wow.

Hier sind alle paranoid. Keine tollen Spielbedingungen, aber wir haben ja nicht die Wahl.

Und die Handschlag-Problematik?

Kein Problem. Ich vermeide Körperkontakt, wann immer es geht.

Das Bild der zweiten Runde: Ian Nepomniachtchi und Alexander Grischuk vermeiden den Handschlag. Vier Stunden später war das vergessen:
Remis? Okay. Grischuks Berliner Mauer hielt trefflich, und die Spieler hielten sich an einen Automatismus: Schachpartien enden mit einem Handschlag. | Fotos: Lennart Ootes/FIDE

Was sagst du zu Ding Liren? Alle haben ihn für deinen Hauptrivalen gehalten, nun ist er mit null aus zwei gestartet.

Offensichtlich macht ihm die Situation zu schaffen. Für ihn war es ja besonders schwierig, Die Krise hat in seiner Heimat angefangen, bestimmt hat er Freunde und Familie, die darunter schon gelitten haben, lange bevor der Rest der Welt betroffen war. Nachdem er diese Situation bewältigen musste, saß er in Moskau zwei Wochen in Quarantäne. Das erklärt seinen schlechten Start.

Für dich war es nicht ganz einfach, Jekaterinburg zu erreichen.

Eigentlich wollte ich am 11. März anreisen, dann bekam ich ein Visum für den 13. März. Ok, kein großes Problem, habe ich gedacht und wollte meine Reisepläne ändern.  Die Corona-Krise hatte ja noch nicht den Punkt erreicht, an dem ich absehen konnte, dass Reisen derart eingeschränkt sein würden. Aber dann hieß es kurz vor dem Abflug, fast alle Flüge ab dem 13. seien gestrichen. Das betraf auch meinen neuen Flug, der über Düsseldorf gehen sollte. Flüge via Frankfurt gab es aber noch. Und ich fand heraus, dass man von Prag direkt nach Jekaterinburg fliegen kann. Also Frankfurt-Prag-Jekaterinburg, das schien ideal, weil die Situation in Tschechien noch nicht so schlimm aussah. Einen Tag später schloss Tschechien die Grenzen, und es hieß, jeder Einreisende müsse zwei Wochen in Quarantäne. Und dann musste ich spontan wieder neu planen: Frankfurt-Moskau-Jekaterinburg dieses Mal. Eine Stunde, nachdem das gebucht war, ging die Reise auch schon los, sie hat fast einen Tag gedauert. Angenehm war das nicht, aber letztlich war ich froh, überhaupt anzukommen.

Solche Umstände schon vor Beginn gibt es nicht allzu oft. Anand musste 40 Stunden in einem Transporter durch Europa fahren, um sein Match 2010 gegen Topalov spielen zu können, das ist vielleicht noch vergleichbar. Mit welcher Einstellung geht ein Elitespieler so einen Wettkampf an, um Topleistung abzurufen, nachdem vorher so viel schiefgelaufen ist?

Vor der Abfahrt zum WM-Kampf in Sofia 2010: Anand-Sekundant Peter Heine-Nielsen prüft, ob alles verladen und verstaut ist. | Foto: ChessBase

Sollte ich anderen wirklich Ratschläge geben? Ich bin mir ja nicht sicher, ob ich selbst damit ideal umgehe. Tendenziell vergisst du alles andere in dem Moment, in dem du dich ans Brett setzt. Unangenehme Begleitumstände auszublenden, spielt sich ein, wenn du jahrelang einen Wettkampf nach dem anderen bestreitest. Vishys Fall war sehr speziell, ein Vulkanausbruch in Island, der den Flugverkehr in Europa lahmlegt. Hinsichtlich der Reisebedingungen erging es mir jetzt lange nicht so schlecht wie ihm damals. Andererseits ist die Gesamtsituation belastender. Statt einem Vulkanausbruch in Island haben wir hier eine Krise, die die ganze Welt betrifft und schon manches Leben gekostet hat.

Hat die FIDE richtig entschieden? Das Turnier unbedingt durchziehen, während um sie herum eine Veranstaltung nach der anderen abgesagt wird?

Ich bin mir nicht sicher. Wir haben ja gerade erst angefangen, und es gibt keine Garantie, dass das Turnier regulär endet. Vielleicht wird es immer noch abgebrochen und verlegt, niemand weiß das. Angesichts der Krise und der generellen Situation würde ich die Frage, ob die FIDE richtig entschieden hat, mit „nein“ beantworten. Andererseits mag ich die FIDE für ihre Entscheidung nicht anschuldigen. Es war eine schwierige Konstellation. Das Kandidatenturnier zu verschieben, wäre auch keine tolle Lösung.

“Am Brett blendest du alles andere aus”: Fabiano Caruana. | Foto: Lennart Ootes/FIDE

Kandidatenturnier live: Partien, Video, Hintergründe.


Das ultimative Referenzwerk zur meistgespielten Eröffnung: Fabiano Caruana erklärt Spanisch.
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[…] Diese klare Meinung hatte sich Teimour Radjabov schon gebildet und sie ausgesprochen, bevor das Kandidatenturnier begann – was dazu führte, dass statt seiner nun Maxime Vachier-Lagrave spielt, der vor allem froh ist, dabei zu  sein. Auch Wang Hao hatte vor seiner Anreise aus Japan öffentlich zu Protokoll gegeben, er würde es für richtig halten, das Turnier zu verschieben. Mit etwas moderateren Worten hat sich dem unlängst Fabiano Caruana angeschlossen, aber hinzugefügt, er wolle die FIDE nicht anklagen. […]

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[…] Krächzend und hustend führte Nepomniachtchi nach geschlagener Schlacht das Publikum durchs Geschehen. Sogleich stand die Frage im Raum, mit der sich wenige Tage zuvor Caruana konfrontiert sah: „Hat er den Corona?“ […]