Kein Name, kein Konzept, keine Rangliste: Zufallsschach und die schwierige Revolution von oben

„Wesley So ist erster Weltmeister im Fischer Random.” So oder ähnlich lauteten jetzt die Schlagzeilen in der Schachpresse, nachdem der Amerikaner Magnus Carlsen im WM-Finale mit 13,5:2,5 abgefertigt hatte.

Carlsen guckt skeptisch, So ist guter Dinge: Auftakt für ein neues WM-Format. (Foto: Lennart Ootes/chess.com)

Erster Weltmeister? Von wegen. Schon 2001 gab es einen Weltmeister im etwas anderen Schach, Peter Leko. Seinerzeit gab es auch einen Weltverband, eine Weltrangliste, ein Ratingsystem. Und, vielleicht am wichtigsten, einen einheitlichen Namen, der das Spiel vermarktbar macht: Schach960.

Die Chess960-WM wurde schon 2001 in Mainz ausgespielt. Leko gewann.

Der Begriff „Fischer Random“ ist schachfremden Medien und marginal am Schach interessierten Leuten nicht zu vermitteln, weil er nicht beschreibt, worum es geht. 

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„Schach960“ ist die offensichtlich bessere Wahl. Wer „Schach960“ liest, der versteht: Es ist Schach, nur anders. Schon vor 20 Jahren hatte eine Studie ergeben, dass das Spiel „Schach960“ heißen sollte. Unter diesem Namen schrieb es die FIDE auf Initiative des deutschen Schachorganisators Hans-Walter Schmitt in ihre Statuten. In den “FIDE Laws” steht es bis heute als “Chess 960”.

Wozu der Begriff „Fischer Random“ in der Berichterstattung führt, war jetzt auch in den Schlagzeilen zu sehen, in denen der schachfremden Presse nämlich: „Fischer“ fiel weg, „Zufall“ blieb, und plötzlich spielten Carlsen und So „Zufallsschach“. Das klingt für den unbedarften Beobachter eher nach Würfeln als nach Strategie und Taktik.

Als ob sie den Titel ausgewürfelt hätten: WM im “Zufallsschach”.

Außerdem: Wollen wir wirklich bis in alle Ewigkeit den Namen eines durchgeknallten Antisemiten durchschleppen? Ja, er hat’s erfunden, aber einen exponierten Platz in der Schachgeschichte hat Fischer auch so sicher.

Die Schach960-Weltrangliste gibt es immer noch. Deren Spitze repräsentiert allerdings in erster Linie, wer damals in Mainz alle mitgespielt hat.

Obwohl das Spiel als „Chess 960“ in den FIDE-Regeln steht, wird es bei der neu geschaffenen Weltmeisterschaft unter einem anderen Namen gespielt. Mit dem Ansinnen, Fischer zu ehren, hat das nichts zu tun, sondern mit potenziellen Rechtsstreitigkeiten. Die Marke „Chess 960“ hat sich längst Rex Sinquefield mit seinem Chess Club aus Saint Louis gesichert. Die Domain chess960.com gehört Hans-Walter Schmitt aus Bad Soden, der weiterhin eine Weltrangliste führen lässt.

Die Marke “Chess960” ist nach Saint Louis vergeben.

Die Revolution von unten funktionierte nicht

Schmitt hat seinerzeit eine Revolution von unten versucht. In erster Linie unter Amateuren wollte er vor 20 Jahren Schach960 groß machen, aber deren Begeisterung zu wecken, erwies sich als zähe Angelegenheit. Es fehlten die dauerhaft 960 spielenden Zugpferde, denen das Schachvolk nacheifert.

2009 kürte Schmitt mit Levon Aronian zum letzten Mal einen 960-Weltmeister, danach schliefen seine internationalen Ambitionen ein. Auf seiner lokalen Insel bei Frankfurt lässt Schmitt weiter Schach 960 spielen, richtet bis heute jährlich eine Deutsche Meisterschaft aus, mehr nicht.

“Chess960 World Championships” hieß es damals, und die großen Namen an den Brettern rechtfertigten diese Bezeichnung.

Von sich aus tut sich der Amateur schwer damit, einfach mal etwas Neues auszuprobieren. Wer 960 spielt, muss raus aus der Komfortzone. Anstatt ein Schema abzuspulen, gilt es vom ersten Zug an, über die Rochade nachzudenken, sich zu orientieren und erst einmal in die Partie hineinzukommen. Frühzeitiger Schiffbruch nicht ausgeschlossen.

Profis lieben das. „Ich spiele lieber 960 als klassisches Schach“, hat Wesley So schon gesagt, bevor er Weltmeister wurde. Ex-Juniorenweltmeister Parham Maghsoodloo würde gerne mehr Schach960 spielen und erwartet, dass sich das automatisch ergeben wird. „Das Schach der Zukunft“ nennt der indische Wunderknabe Nihal Sarin Chess960. Ins gleiche Horn stößt Luis Engel, deutscher Jugendmeister und zweitjüngster deutscher Großmeister.

Diese Aufzählung ließe sich leicht fortsetzen. Ein Spitzengroßmeister, der Schach960 doof findet, hat sich noch nie offenbart.

Offiziell muss es jetzt “Fischer Random” heißen. Die Marke “Chess960” ist vergeben, die Domain chess960.com auch.

Profis sehnen sich danach, den monströsen Eröffnungszopf einfach abzuschneiden, heute noch mehr als zu der Zeit, in der Hans-Walter Schmitt begann, Schach960 zu promoten. Damals fingen Computerschach und das damit verbundene Ausufern der Eröffnungstheorie beim Schach gerade erst an. Heute ist das am Brett abzurufende Wissen so groß geworden, dass dieser Komplex selbst von Sptzenprofis kaum noch beherrschbar ist.

20 Jahre später: Revolution von oben

Wahrscheinlich nimmt in erster Linie deswegen das neue Spiel erneut Fahrt auf, dieses Mal eine Revolution von oben, das erfolgversprechendere Modell: die Superstars machen es vor, das Volk folgt.

Magnus Carlsen gewann 2018 ein 960-Match gegen Hikaru Nakamura mit 14:10, war damit inoffizieller Weltmeister. In Saint Louis spielten eine Reihe Weltklassegroßmeister 960-Matches. Die Resonanz auf beide Veranstaltungen war so gut, die Akteure so zufrieden, dass die Weltmeisterschaft nun in ein offizielles Format gegossen und das Turnier in Saint Louis wiederholt worden ist.

Hans-Walter Schmitt 2008, als sich die Ära seines “Chess Classic” schon dem Ende entgegen neigte. Den Namen von einst führt heute das “Grenke Chess Classic” weiter, Schmitt ist dort als Berater mit im Boot.

Was dem Spiel fehlt, ist neben einem einheitlichen, eingängigen Namen eine Organisationsstruktur, die es international und einheitlich vermarktbar macht. Rex Sinquefield wird als guter Kapitalist, der er nun einmal ist, die Marke „chess 960“ weder der FIDE noch chess.com zum Nulltarif und einfach so überlassen. Schmitt sagt, mit ihm habe nie jemand darüber gesprochen, ob sich nicht auf der von ihm vor 20 Jahren geschaffenen Struktur aufbauen ließe.

Bei der FIDE fragen sie sich derweil, wie es weitergehen soll. „Ist es Spaß  und Show? Oder eine neue Dimension unseres Spiels?“, fragte jetzt öffentlich FIDE-Vize Emil Sutovsky.

Beides!

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Gerhard Schreiber
Gerhard Schreiber
1 Jahr zuvor

Am Besten, den Namen „Bobby Fischer“ aus allen Büchern tilgen. Die Veröffentlichung von Partien und Filmen unter Strafandrohung verbieten, ebenso das Nachspielen seiner Schachpartien! Ich fürchte, es gibt einige Menschen, die (fast) so weit gehen würden. Auch wenn ich das jetzt bewusst stark überspitzt formuliert habe. Aber die Äusserung von Paul Meyer- Dunker über Bobby Fischer hat mich doch sehr nachdenklich gemacht! Für mich war er ein genialer Schachspieler, aber als Mensch (leider) eine tragische Figur und psychisch sehr krank. Und über einen kranken Menschen urteilt man nicht so krass und pauschal, wie Herr Meyer Dunker es getan hat.

Neandertaler
Neandertaler
1 Jahr zuvor

Bobby Fischer war Schachgenie, er war psychisch krank, und er war Antisemit. Mit ersterem hat der Name seiner Schachvariante zu tun. Zweiteres war ursächlich für dritteres.

Ich wäre dafür, aktive, quicklebendige Antisemiten unter uns zu bekämpfen, und nicht Namen längst toter Kranker. Auch wenn das natürlich viel einfacher ist.

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[…] fand allerdings offensichtlich, was auf dieser Seite seit mehr als vier Jahren immer wieder steht: „Fischer Random“ ist kein vermarktbarer Name, allein schon, weil sich nicht sofort […]