Elisabeth Pähtz kommentiert: Keine Kompromisse

Mit ihrem hart erkämpften Schwarzremis gegen WM-Herausforderin Aleksandra Goryachkina hatte sich Elisabeth Pähtz beim Grand Prix die Gewissheit erarbeitet, dass sie im 12-köpfigen Feld der Weltklassespielerinnen würde bestehen können. Aber “bestehen” allein war ihr noch zu wenig. Je mehr weitere Unentschieden folgten, desto mehr wollte Pähtz einen vollen Punkt.

Das galt auch in Runde sechs, als ihr mit Valentina Gunina eine der gefürchtetsten Angreiferinnen im Frauen-Schachzirkus gegenübersaß. Wie schlägt man so jemanden? Elisabeth Pähtz verrät uns ihr Rezept.

Gunina mit ihren eigenen Waffen schlagen: Elisabeth Pähtz erklärt uns anhand ihres Sieges beim Grand Prix, wie das geht. (Foto: David Llada)

Pähtz, Elisabeth (2479) – Gunina, Valentina (2502)
Women’s Grand Prix Skolkovo, September 2019

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Kommentar: Elisabeth Pähtz

Was sollte man wissen, wenn man gegen Gunina spielt? Eigentlich nicht viel,
außer, dass sie so ziemlich die kompromissloseste, mutigste und unobjektivste Weltklassespielerin ist.

Wie schlägt man Gunina? Am besten mit ihren eigenen Waffen!

1. e4 c6 2. Nf3 d5 3. Nc3 Bg4 4. h3 Bxf3 5. Qxf3 Nf6 6. Be2 e6 7. O-O
Bc5

Diese Stellung spielte Gunina bereits beim Cairns-Cup in diesem Jahr, es kam daher wenig überraschend, auch wenn ich es persönlich immer für sehr mutig halte, eine Variante zu wiederholen. Beim diesjährigen Grand Prix allerdings gab es so einige konsequente Spielerinnen, die ihrem System bis zum bitteren Ende die Treue schworen.

8. Rd1

(8. Qg3! O-O 9. e5 Nfd7 10. Kh1 f6 11. exf6 Nxf6 12. d3 Nbd7 13. Be3 Qe7 14. d4 Bb4 15. Bd3 e5 16. dxe5 Nxe5 17. Qh4 {0-1 (51) Dzagnidze,N (2513)-Gunina,V (2501) Saint Louis 2019)

8… Bd4 9. Qf4

Dieser Zug gehörte nicht mehr zum Gunina-Repertoire. Für mich doch recht verwunderlich, denn es ist weder eine Neuerung noch ein unlogischer Zug. Weiß droht schlichtweg mittels e4-e5 fortzusetzen.

9… e5!?

Es kostete sie stolze 40 Minuten, bevor sie sich für diesen Zug entschied. Ich vermute, dass es unglaublich schwer sein muss, seinem Gegner die Initiative zu geben (9…Lxc3!? nebst …Sxe4), wenn man sie doch
selber über alles liebt.

(9… Bxc3!? Die kritischste Variante im gesamten System. Gunina entschied sich dagegen. 10. dxc3!? Wurde bereits in einer Partie gespielt. (10. bxc3 Nxe4 11. Rb1 mit Kompensation (11. Ba3!?)) 10… Nxe4 11. c4 O-O 12. Be3 und remis in Soltanici,R (2408)-Istratescu,A (2555), Arad 2019)

10. Qg3 dxe4 11. d3 exd3 12. Bxd3 Nbd7

Und ich Esel beging meinen ersten Fehler: Ich hörte auf MVL! Ich hatte diese Stellung kurz in der Vorbereitung und schaltete auch genau an dieser Stelle die Engine ein. Sie schrie nach Dxg7 mit klarem Vorteil. Nur wem glaubt man mehr? Einer Engine oder dem Superman, der sich vielleicht etwas länger mit dieser Stellung beschäftigte?!

13. Ne2?!

(13. Qxg7! Rg8 14. Qh6 Qe7 15. Bf5 Qf8 16. Qh4 Qg7 17. g4 mit großem weißen Vorteil.)

Nachdem ich auf MVL gehört habe, verbessert meine Gegnerin niemand Geringeren als David Navara:

13… Bb6!?

(13… O-O 14. Bf5 Nc5 15. Bh6 Nh5?? (15… Ne6 16. Bxe6 Nh5 17. Qg4 fxe6 18. Qxe6+ Rf7 19. Be3 mit weißem Vorteil) 16. Qg4 Qd6 17. Qxh5 Qxh6 18. Qxh6 gxh6 19. c3 1-0 (19) Vachier Lagrave,M (2775)-Navara,D (2734) Riga 2019)

Wohl der kritischste Moment in der ganzen Partie. Nach 50 Minuten entschied ich mich für einen Zug, der sich schachlich falsch anfühlte. Vermutlich ein Gefühl, was meiner Gegnerin bestens bekannt ist, denn sie spekuliert nur allzu oft, dass sie mit inkorrekten Opferspiel durchkommt – und meistens behält sie sogar Recht!

14. Bf5!?

(14. a4!)
(14. Qxg7 Rg8 15. Qh6 e4 16. Bc4 Qe7 mit schwarzer Initiative)

14… g6

15. Bxd7+

(15. Bg5 war in meiner 50-minütigen Kopfanalyse ebenfalls ein Kandidat, aber nach 15… gxf5 16. Rxd7 Qxd7 17. Bxf6 Rf8 18. Nf4!! Qd6 (18… exf4?? 19. Re1+ Be3 20. Qxf4 +-) 19. Nh5 Kd7∞ vermochte ich keine objektive Stellungseinschätzung zu geben. Laut Rechner ist diese Stellung ausgeglichen. Ich hielt sie jedoch für deutlich gefährlicher als die von mir in der Partie gewählte Opferoption, auch wenn ich letztendlich damit unrecht hatte.)

15… Nxd7 16. Rxd7 Kxd7

Natürlich sah ich hier keinen Gewinn bzw. nichts Konkretes. Ich dachte allerdings, dass ich durch ihre schwache Königsstellung ausreichend Kompensation besitzen würde. Im Endeffekt ging es auf, aber Gunina musste ordentlich nachhelfen!

17. Bg5 Qc7

(17… Qe8!? 18. Bf6 Rd8!! 19. Nc3 (19. Bxe5 f6 20. Qg4+ f5 21. Qf4 Rf8 -+) 19… Kc8 20. Bxe5 f6 21. Bxf6 Rf8 -+)

18. Rd1+ Kc8 19. Bf6 Re8 20. Nc3

20… Kb8

(20… e4!? 21. Qg4+ Kb8 22. Nxe4 a6 mit deutlichem schwarzen Vorteil)

21. Ne4 a6 22. Nd6

Es ist schon kurios, wie sehr sich die Charaktere unterscheiden. Hätten wir an dieser Stelle mit vertauschten Farben gespielt, hätte ich nicht einmal mit der Wimper gezuckt und Ka7 a tempo gezogen. Meine Gegnerin zuckte ebenfalls nicht mit der Wimper, spielte ebenfalls a tempo – aber den falschen Zug!

22… Re6??

Sieht auf dem ersten Blick wie ein sofortiger Gewinn aus. Ich fragte mich allerdings, was sie gedacht haben muss: A) dass ich die Idee 23…f6 nebst …g5 nicht berücksichtigt habe, oder B) dass ich bluffe und nun wieder Se4 zurückziehen muss und ihr dabei ein glattes Tempo schenke?

(22… Ka7 =+)

23. Bxe5

Erst hier fiel ihr auf, dass sie den Zwischenzug 25. Dg4 nicht im Programm hatte. Noch überraschender allerdings ist, dass sie jetzt nicht die Reißleine zieht, sondern sich Siegeschancen bewahren will, koste es, was es wolle!

23… f6??

(23… Rxe5 24. Qxe5 Ka7 25. c4!? (25. b4!?) und Weiß steht einen Tick besser, aber objektiv sollte Schwarz halten können. Der große Haken dieser Variante aus Sicht meiner Gegnerin: Sie bietet dem Schwarzen kaum eine Chance zu gewinnen, daher war sie wahrscheinlich keine Option für eine kompromisslose Spielerin wie Gunina.)

24. Bf4 g5 25. Qg4 gxf4 26. Qxe6 f3

Ich vermute, dass sie bis hierhin gerechnet haben muss. Der Gedanke des Dg3-Motivs hat sie womöglich beflügelt, auch wenn es an keiner Stelle funktioniert!

27. Ne4

(27. Nc4!? schloss ich in der Partie für mich aus, auch wenn 27… Qg3 hinten und vorne nicht funktioniert. Option 1: 28. Qe8+ (oder Option 2 28. Rd8+ +-) 28… Ka7 29. Qxa8+ Kxa8 30. Nxb6+ Ka7 31. fxg3 +-)

27… Ka7 28. Rd7

28… Qf4

(28… Qe5 29. Qxe5 fxe5 30. Rxh7 Rd8 31. gxf3 +-)

29. Rxb7+ Kxb7 30. Nd6+ Qxd6 31. Qxd6 Rg8 32. Qd7+?!

Dieser Zug gewinnt natürlich, aber ich gebe zu, dass ich nach

32… Bc7

den Schock fürs Leben bekam.

(Geplant hatte ich 33.g4, aber dann folgt 33… Rd8, und Valja hätte es auch gegen mich zum Sieg geschafft, nachdem sie schon gegen Cramling und Stefanova riesiges Glück hatte.)

33. Qxh7 +- Rxg2+

34. Kf1 Rh2 35. Ke1 Kb8 36. Qf5 Rh1+ 37. Kd2 Rb1 38. Qxf6 a5 39. b3 Kb7 40. a4 Rg1 41. Qxf3 Bd6 42. h4 Bb4+ 43. c3 Ba3 44. Kd3 Kb6 45. h5 Bc1 46. Qf8 Bg5 47. Qb8+ Kc5 48. Qa7+ Kd6 49. Qxa5 Rd1+ 50. Ke2 Rd2+ 51. Kf1 Rd1+ 52. Kg2 Rd5 53. Qb4+ Kc7 54. Qe4 Bd2 55. c4 Rg5+ 56. Kf1 Kb7 57. Qe7+ Ka6 58. Qd6

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[…] heute an dieser Stelle von Robert Prieb zu reden sein würde. Zumal ja in der siebten Runde mit Aleksandra Goryachkina keine Geringere als die Vize-Weltmeisterin auf den 14-Jährigen wartete, der für die SG Bochum […]