Elisabeth Pähtz nach dem Rücktritt (II): “Das Stückwerk muss aufhören, die Ignoranz auch”

Elisabeth Pähtz hat eine lange Liste angefertigt. Darauf aufgeführt: all die Vorfälle aus der Vergangenheit, die ihr bis heute bitter aufstoßen, vier A4-Seiten, auf denen sich kleine Demütigungen und Zurückweisungen aneinanderreihen.

Das Problem ist nur, wer will das heute noch alles wissen? Das zweite Problem: Wo Pähtz sich gedemütigt fühlt, würde ihr Gegenpart in diesen Episoden, meistens war das der ehemalige DSB-Sportchef Klaus Deventer, kühl darauf verweisen, dass doch immer alles strikt nach Recht und Gesetz zugegangen ist.

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Derweil im Schachforum: Blöde Emanzipation! Ohne derart neumodischen Kram hätte die seit Ewigkeiten beste Schachspielerin wahrscheinlich kein so gewichtiges Wort. Ob dort jemals debattiert worden ist, was Liviu Dieter Nisipeanu als Mann interessant macht?

Die Wahrnehmung der Spitzensportlerin und die Wahrnehmung ihres Sportapparats dürften in vielen dieser Fälle stark voneinander abweichen. Und die Wahrnehmung vieler Schachspieler ist noch einmal eine spezielle. Die sehen Pähtz weniger als Vorzeigedame ihres Sports, eher als “Nervensäge”, wie Pähtz selbst sagt (siehe unten). 

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Derweil beim DSB-Kongress: Als dieser Tweet online ging, haben wir am Bodensee sehr ernsthaft erwogen, unsere Leser den schönsten DSB-Funktionär wählen zu lassen.  Sogar Fotos hatten wir schon herausgesucht, die Sache dann aber doch gelassen, weil klar war, wie es ausgehen würde. Mit dem Geschäftsführer gibt es beim DSB genau einen sehr schönen Mann, ein Schnittchen möchte man fast sagen, während sich die Optik aller anderen zwischen “Durchschnitt” und “geht so” bewegt.

Wie schwer der Schachbund, obwohl personell runderneuert, sich immer noch damit tut, im 21. Jahrhundert anzukommen, war neulich beim Kongress in Magdeburg zu sehen. Alte Zöpfe, die abgeschnitten gehören, saßen dort in der ersten Reihe und mischten munter mit.

Oder es war beim ersten Teil dieses Interviews zu sehen, als darunter in den Kommentaren ein Patzer des DSB öffentlich wurde. Der wäre an dieser Stelle nicht weiter erwähnenswert, hätte sich auch leicht reparieren lassen, hat aber in Berlin einen Lösch-Reflex ausgelöst. Und der repräsentierte die beim Schach immer noch tief verwurzelte, archaische Unkultur, Unangenehmes und Kontroverses möglichst kleinzuhalten, am besten gar nicht darüber zu reden. 

Elisabeth Pähtz redet aber, gerade über Unangenehmes und Kontroverses. Sie streitet für ihre Sache, auch öffentlich, und das mit steigender Intensität, je weniger sie das Gefühl hat, dass sie gehört wird. Je intensiver sie streitet, desto weniger wissen das Schachvolk und seine Regenten damit umzugehen, und die Entfremdung wächst. Ob sich das reparieren lässt?

In diesem Fall ist der Interviewer als Schach-Fan emotional involviert, getrieben von dem Wunsch, dass die deutschen Nationalmannschaften nicht binnen fünf Jahren zwei Mal ihr erstes Brett verlieren sollten. Und das führte zu einem Interview, das nur unter einer im Vorgespräch gestellten Bedingung stattfinden würde: “Wenn ich dich frage, ob und wie es weitergeht, dann will ich etwas Konstruktives hören.”

Sich darauf einzulassen, ist ihr spürbar nicht leicht gefallen, wahrscheinlich in erster Linie wegen der noch zu klärenden Vorkommnisse 2019 (siehe erster Teil), die erst im Lauf des Interviews aufkamen. Aber sie hat am Ende die versprochene Kurve ins Versöhnliche bekommen und eine Perspektive aufgezeigt.

Eine Vorlage, wenn man so will. Ob die jemand aufnimmt, werden wir bald sehen.  

Deine Rücktrittserklärung kam kurz vor der Wahl beim DSB. Absicht?

Ja. Zwei weitere Jahre Leistungssport unter dem Vizepräsidenten und Hauptverantwortlichen für Leistungssport Klaus Deventer kamen für mich nicht in Frage. Ich wollte ein Zeichen setzen.

Indem Du die Pause in einen Rücktritt verwandelst. 

Ich wollte nicht mehr. Über all die Jahre könnte man ja Fall für Fall als Kleinigkeit bewerten, aber wenn sich eine Kleinigkeit an die andere reiht, kommt irgendwann der Punkt, an dem es reicht.

Du hast mir eine lange Liste mit all diesen Kleinigkeiten gezeigt. Die meisten davon lassen sich an einer Person festmachen…

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Hinsichtlich ihrer Schach-Karriere findet Elisabeth Pähtz dieses Motiv passend.  (Foto: privat)

Fast alle sogar! Nur weiß und versteht ja kaum jemand, was vor 2014 alles passiert ist, weil neue Leute am Ruder sind. Die können nichts dafür und nehmen mich jetzt wahrscheinlich als Nervensäge wahr, weil sie meine Geschichte mit dem DSB nicht kennen. Klaus Deventer war bereits bei Beginn meiner Schachlaufbahn beim DSB bzw. DSJ. Ihn mache ich für vieles von dem verantwortlich, was mich bitter gestimmt hat.

Ein Beispiel, bitte.

Ach, es sind so viele mit so vielen Details. Eine besonders krasse Erinnerung war die Schacholympiade 2008. Damals wollte der DSB unseren Zweittrainer in einer 20 Kilometer entfernten Villa unterbringen, angeblich aus Kostengründen. Sarah und ich boten an, in ein Doppelzimmer zu ziehen, damit der Trainer ins Hotel kann, aber das allein reichte nicht. Dirk Jordan hat den Restbetrag bezahlt. Und dann bekamen die Herren wenig später noch einen dritten Trainer. Für dessen Einzelzimmer und Honorar war plötzlich Geld da. Das habe ich als demütigend empfunden. Oder nehmen wir den Grand Prix, über den wir ja eben schon gesprochen haben. Bei den Herren hat sich der DSB um eine Wildcard bemüht, obwohl es keinen deutschen Schachspieler gibt, der stabil über 2.700 Elo liegt. Eine Frau, die die Teilnahmekriterien der FIDE erfüllt, gäbe es durchaus, aber niemand ist auf die Idee gekommen, nach einer Wildcard für den Frauen-Grand-Prix zu fragen, wie mir Klaus Deventer mitgeteilt hat.

Ich hatte eher die Geschichte mit den zerrissenen Flyern erwartet. 

Ja! Da organisierst du ein Schachfestival für Frauen, und dann zerreißt ein Mitglied der DSB-Frauenkommission deine Werbeflyer, weil er Konkurrenz zu seinem eigenen Turnier fürchtet. Der Vorsitzende der Kommission sitzt tatenlos daneben und sagt achselzuckend „So ist der halt“, wie soll ich mich da fühlen? Und diese Leute sitzen immer noch in der Frauenkommission. Den DSB interessiert das anscheinend wenig.

Mir ist unlängst die Kleinigkeit „Honorierung der Nationalmannschaften“ aufgefallen. Bekäme jemand den Auftrag, ein Honorarsystem zu entwickeln, das Frauen davon abhält, sich zur Ausnahmespielerin zu entwickeln, er könnte einfach das jetzige übernehmen.

Eine Honorierung nach Elo, nicht nach Geschlecht, wäre angemessen. Ich könnte ja damit leben, weniger zu bekommen als Brett vier der Männer, mein Elo ist schließlich kleiner. Aber zu sagen, eine Frau bekommt generell halb so viel wie ein gleichstarker Mann, das geht nicht.

In Schachforen kursiert zu Deiner Person das Narrativ von der gierigen Diva, die mehr gefördert worden ist als jeder andere deutsche Schachspieler. Dazu die Frage: „Was will die eigentlich noch?“

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Fürchtet niemanden und spielt auch so: Vier Jahre ist es her, da ging dem deutschen Schach sein Spitzenspieler verloren. Sollte nun das weibliche Pendant folgen, würde sich ein Muster offenbaren, das kaum ausschließlich an den Spielern liegen kann. (Foto: Grenke Chess)

Ich verstehe ja, woher das kommt. Immer wieder mache ich Stress wegen Kleinigkeiten, die niemand im Detail wissen will. Das nervt, logisch. Darum wird ja auch gerne übersehen, dass es mir eher um die Förderung vom Frauenkader allgemein geht. Ich bin ein ganz anderer Fall als seinerzeit Arkadij Naiditsch, der vor allem auf Finanzielles geschaut hat. Aber gut, reden wir über mich und Geld. Die meisten Leute wissen nicht, wie meine Förderung tatsächlich aussah. Bei vielen ist nur hängengeblieben, dass ich als 13-Jährige einmal 10.000 Mark bekommen habe. Das ist damals für regelmäßiges Großmeistertraining verwendet worden, in erster Linie mit Christopher Lutz und Artur Jussupow. Ansonsten habe ich das Gleiche bekommen wie alle anderen Topkader. Mein jährlicher Zuschuss reicht für die Teilnahme an der Einzel-EM, außerdem Reise- und Verpflegungskosten für ein Open wie das auf der Isle of Man. Wenn wir dem die Prinzenförderung gegenüberstellen, dazwischen liegen Welten. Leider war ich schon erwachsen, als die Prinzengruppe entstand. Das war Pech.

Was muss passieren, damit Du vom Rücktritt zurücktrittst?

Für das Frauenschach in Deutschland wünsche ich mir einen runden Tisch mit dem kompletten Kader und allen Funktionären, um die Vergangenheit aufzuarbeiten, einen Schnitt zu machen und dann neu anzufangen. Das Stückwerk muss aufhören, dann kommen auch wieder Ergebnisse. Ich persönlich möchte Akzeptanz spüren. International gewinne ich immer wieder Medaillen, mehr als jeder andere, und das verschafft dem deutschen Schach Ansehen und Fördergelder vom Ministerium. Aber irgendeine Form der Anerkennung bekomme ich dafür selten, stattdessen oft Ignoranz. Das kann nicht sein.

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Olga Birkholz eröffnet den Länderkampf der Frauen gegen Aserbaidschan. (Foto: Klaus Steffan)

Würde die neue Vizepräsidentin Sport Olga Birkholz der verlässliche und vertrauensvolle Kontakt sein, der Dir bislang fehlte?

Ich kenne Olga kaum. Aber ich bin mir trotzdem sicher, dass sie Feingefühl und Empathie einbringen wird. Abgesehen davon ist ja nicht alles schlecht. Zum Beispiel haben wir seit 2014 einen Bundestrainer, der signalisiert, dass er sich für unsere bzw. meine Belange interessiert. Dorian hat mir geholfen, meine Motivation wiederzufinden und Konflikte zu lösen. Ihm verdanke ich, dass ich zwei Mal die 2.500-Hürde übersprungen habe. Oder nehmen wir Andreas Jagodzinsky, den Leistungssportreferenten. Der ist freundlich, empathisch, interessiert. Nur entscheidet halt am Ende nicht er, sondern das Präsidium. Und dort hatte nach meinem Empfinden der Präsident Ullrich Krause den Leistungssport komplett seinem Vizepräsidenten Sport übergeben. Was ja auf eine Weise sogar Sinn ergab, Klaus Deventer war fast 30 Jahre dabei und kannte sich aus. Nur waren eben jede Menge Konflikte mit seiner Person verbunden, die die anderen nicht kennen konnten. Oder Marcus Fenner. Ich verstehe nicht, dass er meine Mails nicht beantwortet, aber glaube, dass er Gold wert ist für den DSB. Im Prinzip mag ich die ganze Riege.

Also steht von Deiner Seite aus die Tür für eine Rückkehr offen?

Ja. Nach all den Querelen bin ich mir nicht sicher, wie es auf der anderen Seite der Tür aussieht, aber das werde ich in Dortmund herausfinden. Dort treffe ich Ullrich Krause.

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Elisabeth Pähtz im Wijk an Zee 2019. (Foto: Alina l’Ami)
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Markus
Markus
2 Jahre zuvor

Wo ist denn diese 4 Seiten lange Liste mit Deventer Kränkungen? Mich interessiert das auch jetzt noch

Bernhard Braun
Bernhard Braun
4 Jahre zuvor

Wie heißt das Mitglied der Frauenkommission, welches die Flyer zerrissen hat ? Warum wurde da nicht eingeschritten ?

Bernhard Braun
Bernhard Braun
4 Jahre zuvor

Conrad, vielen Dank für die Information und Nennung des Namens des “Übeltäters”. Ich finde es traurig, dass sich solche Leute im DSB halten können.

Alisa Frey
Alisa Frey
4 Jahre zuvor

Danke für das Interview! Bezüglich der Frauenkommission würde ich mir aber doch wünschen in Zukunft differenzierter darzustellen. In dieser Kommission sitzen so einige Leute, die den Spielbetrieb der Frauen von Ligen bis Einzel- und Mannschaftsmeisterschaften organisieren und am laufen halten. Es gibt sicher Potentiale zur Verbesserung (wo gibt es die nicht?), aber dieses “alle über einen Kamm scheren” finde ich nicht gut. Ich will damit die o.g. Handlung keinesfalls verteidigen, aber finde den direkten Schluss bzw. die direkte Verbindung zur (gesamten) Frauenkommission falsch. Zur Transparenz: Ich bin auch ein Mitglied der Frauenkommission. … ach ja: mit Schönheitswettbewerben sollte man sich… Weiterlesen »

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[…] wo sie neben ihrer schachlichen Klasse ihre individuelle Kenntnis der Teilnehmerinnen einbrachte (siehe Interview). Pähtz hat diese Gelegenheit genutzt, um sich ein noch besseres Bild künftiger Gegenspielerinnen […]

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[…] Pähtz Mitte 2019 im Interview mit dieser Seite. […]

Krennwurzn
Krennwurzn
4 Jahre zuvor

Endlich ein objektives Kriterium: EP gefällt mir als Frau nicht, daher verdient sie keine Förderung!!