Nach dem Pähtz-Rücktritt: Wie der Schachbund Nationalspieler honorieren sollte (21. Jahrhundert)

Je sichtbarer ein Schachmeister in der Öffentlichkeit ist, je mehr Leute ihn oder sie kennen, Anteil nehmen, desto besser dient dieser Meister dem Schach. Eine dem Schach verpflichtete Organisation sollte zu bezahlende Spieler in allererster Linie danach honorieren, wie sehr sie dem Schach als Zugpferd nutzen.

Bilden wir doch mal die Top 5 der größten Zugpferde des deutschen Schachs, jeder für sich eine Ausnahmeerscheinung:

  1. Jan Gustafsson, schachlich ein Frührentner, den man kennt, weil er zufällig den Weltmeister im Skype hat und oft mitschneidet, wenn der sich meldet.
  2. Christof Sielecki, Nummer 1.500 der Welt, aber weltweit viel bekannter als die meisten Leute vor ihm, weil er Schach so toll erklären kann.
  3. Vincent Keymer, sehr jung, sehr gut, nährt die Hoffnung, dass dereinst wieder ein Deutscher Weltmeister wird. Seit Wijk und Grenke international ein Begriff.
  4. Elisabeth Pähtz, Nummer 1.100 der Welt, eine Frau, als solche Weltklasse, national einsam an der Spitze – auch in der öffentlichen Wahrnehmung.
  5. Niclas Huschenbeth, Nummer 250 der Welt, erklärt Schach prima, steriler als Sielecki zwar, ist aber besser mit Sozialen Medien. Und der stärkere Spieler.

Wir könnten die Liste noch fortsetzen, ein Spieler aus der aktuellen Herren-Nationalmannschaft käme kaum in die Zugpferd-Top-10. Auf sechs steht ja Robert Hübner, dahinter Sebastian Siebrecht. Dann vielleicht Nisipeanu? Oder eher Jussupow?

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Wir sehen: Die Elozahl hat in sehr begrenztem Maße damit zu tun, wie sehr ein Spieler dafür sorgt, dass sich Schach rumspricht. Erst wenn Weltklasse im Spiel ist, wird der Elo zum Zugpferd-Faktor. Vorher interessieren andere Größen.

Halb so viel wert wie ein Mann

Wir brauchen den Elo, um zu bestimmen, wer in die Nationalmannschaft kommt. Wir könnten ihn auch verwenden, um die Nationalspieler zu bezahlen. Aber nicht so, wie es gerade geschieht, denn das ist unsäglich.

Nach Lesart des Deutschen Schachbunds ist eine Frau generell halb so viel wert wie ein Mann. Das würde sogar für eine  Frau mit 2.700 Elo gelten, und es gilt auch für die Nummer vier der deutschen Schach-Zugpferd-Rangliste.

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Elisabeth Pähtz. (Foto: Schacholympiade Batumi)

Elisabeth Pähtz ist vor einem halben Jahr aus der Nationalmannschaft zurückgetreten. Jetzt, unmittelbar vor dem deutschen Schachkongress, hat sie noch einmal öffentlich ihre Unzufriedenheit kundgetan.

Am Bodensee sind wir nicht einmal geneigt, ihr in vielen Punkten zu folgen, zum Beispiel dem, dass Deutschland unbedingt Frauen-Superturniere braucht. Wir halten auch den Punkt “Förderung von Spitzenspielern und -spielerinnen gleichstellen” aus dem Pfenning-Wahlprogramm für Mumpitz. Aber wir haben Pähtz’ jüngste Mitteilung zum Anlass genommen nachzuforschen, wie der Schachbund seine Nationalspieler entlohnt.

Auch Daniel Fridman könnte sich beklagen

Was wir da gefunden haben, ist eine Frechheit Frauen gegenüber, speziell solchen, die großmeisterlich Schach spielen können. Und nicht nur Elisabeth Pähtz, auch Daniel Fridman hätte Grund, sich zu beklagen.

Wenn die Nationalmannschaften auf Reisen gehen, werden vom Schachbund (aktueller Kontostand: gut 500.000 Euro, Tendenz steigend) fürs Honorar zwei Töpfe gebildet. Einer für die Frauen und einer für das offene Team. Der für die Frauen ist generell halb so groß wie der andere. Innerhalb jedes Teams wird  dann nach Elo aufgeteilt, so dass etwa ein Nisipeanu ein paar Taler mehr bekommt als ein Svane, eine Pähtz mehr als eine Hoolt.

So lange alle deutschen Schachfrauen eher Amateure sind und die besten Männer Profis, ist so ein System zwar ungelenk, aber zu rechtfertigen. Mit einer Ausnahmespielerin in den Reihen der Frauen ist es obsolet, ungerecht und bar jeder Logik.

Kein Leistungsanreiz, im Gegenteil

Das Honorarsystem berücksichtigt nicht, dass gelegentlich eine Schachmeisterin heranwachsen mag, die über den Dingen steht. Die Weltklasse ist, auf GM-Level spielt und öfter in der Zeitung steht als die Herren Nisipeanu, Meier, Blübaum, Fridman und Svane zusammen. Das System nimmt in Kauf, dass der Schachbund so jemandem sagt:

“Du bist nur halb so viel wert.”

Das allein ist skandalös, aber nicht alles. In der Wirtschaft wird mit Anreizen gearbeitet, Leistung zu bringen. Beim Schachbund passiert das Gegenteil. Warum sollte Annmarie Mütsch Elisabeth Pähtz überrunden wollen, wenn sie am Ende per Paragraf doch nur halb so viel wert ist wie ein marginal spielstärkerer Mann? Wie oft ein Spieler zum Einsatz kommt, wie gut er punktet, spielt in beiden Teams keine Rolle. Auch nicht die Platzierung in der Zugpferd-Rangliste. Es gibt einen Topf, dann wird nach Elo ausgeschüttet, fertig. Wenn nun ein Daniel Fridman ein Weltklasseturnier hinlegt, schön für ihn. Auf dem Konto merkt er das nicht.

Unfassbar. Aber wahr. Willkommen beim Schachbund.

Männer spielen besser Schach als Frauen. Würde der Elo der Spieler (unabhängig vom Geschlecht) die Grundlage für das Basis-Honorar bilden, wäre dieser Faktor berücksichtigt. Darüber hinaus müssten einige wenige weitere Dinge berücksichtigt werden, und das Honorarsystem wäre gerecht:

  • Leistung: Wer viel gewinnt, wird belohnt. Wer viel verliert, der nicht.
  • Zahl der Einsätze: Wer viel spielt, bekommt mehr Geld.
  • Medien- und Social-Media-Score: Wer für das Schach trommelt, wird belohnt. Wer nicht, der nicht. Und, nein, das ist nicht schwierig zu ermitteln. Google-Abfrage mit Namen der Spieler anlegen, Erwähnungen zählen, fertig. Follower in den Sozialen Medien zählen, fertig. Der Schachbund hat aufgrund irgendeiner alten Verbindung sogar eine Agentur am Start, die Schach-Erwähnungen zählt, weiß aber nicht, was er damit machen soll. Ab jetzt weiß er es.
  • Weltklasse-Faktor: Wer Weltklasse ist, bekommt extra.

Jetzt müssten die Basis plus die vier oben genannten Faktoren nur noch gewichtet und in eine Formel gepackt werden, fertig wäre das neue Honorarsystem für die Nationalspieler des Deutschen Schachbunds, bitteschön, gern geschehen.

Um den mathematischen Teil (nein, Uwe, wir bilden jetzt keine Kommission mit Untergremien) kümmert sich bitte jemand mit mehr Gehirn, speziell mit mehr mathematischem Verstand als der Schreiber dieser Zeilen. Wir schlagen Leon Mons vor, der ist Mathematiker und mit Schach nicht ausgelastet.

Und: Können wir das bitte sofort ändern, nicht erst in 25 Jahren?

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Thomas Richter
Thomas Richter
4 Jahre zuvor

Svane ist im Schnitt 100-150 Elopunkte besser als Paehtz, das ist nicht “marginal”.
Paehtz hat meistens Elo unter 2500, das ist nicht ganz GM-Niveau (Nisipeanu, Meier, Bluebaum, Fridman und Svane haben es natürlich).
Man kann Männern doch nicht vorwerfen, dass Elo knapp 2500 nicht Weltklasse ist?
Wer weniger spielt, hat mehr Zeit für soziale Medien – Reklame fürs Schach und nebenbei in eigener Sache. Das gilt für Sielecki, +- Huschenbeth und erst recht Gustafsson. Jedenfalls Sielecki ist sicher kein Kandidat für die Nationalmannschaft.

K.Scherer
K.Scherer
4 Jahre zuvor

Es sollte überhaupt keine Entlohnung von Berufsspielern mit Mitteln der Beitragszahler des DSB geben. Und die Privilegien, die Frau Pähtz in den letzten Jahren/Jahrzehnten hatte, sind in den Zeiten der Gleichberechtigung ein absoluter Anachronismus. Trotz großmeisterlichem Vater, optimaler Förderung seit frühester Kindheit durch Funktionäre, Trainer etc. hat sie als Berufsspielerin mit Mitte 30 noch nicht mal den Großmeistertitel der Männer erreicht. Statt E.Paehtz ein schönes Leben als Berufsspielerin zu ermöglichen, sollten vom DSB öffentliche Gelder lieber für Jugendförderung, Integration von Randgruppen etc. verwendet werden. Was die Medaillen anbelangt, so hätten genauso gut (oder noch mehr) Blindenschachspieler und andere Gruppen Anrechte… Weiterlesen »

Ralf Mulde
Ralf Mulde
4 Jahre zuvor

Ich bin es so satt … die Befindlichkeiten von ohnehin schon quasi lebenslänglich mit DSB-Geld, also mit vorrangig mit den Beiträgen “niederster” Amateure unterstützter Wichtigkeiten sind ohne jedes Interesse. Wer nicht will, muss ja nicht – und taugt auch gewiss nicht zum “Aushängeschild des DSB. Man stelle sich so einen Rücktritts-Quatsch (der doch wohl schon vor einem halben Jahr erfolgte?) einmal mit Charakteren wie Wolfgang Unzicker, Klaus Darga, … aber auch mit Sonja Graf-Stevenson vor. Geht nicht? Na eben. Undenkbar. Auf der Seite des Schachtickers erschien zeitgleich ein anderer Artkel, in dem es u.a. heißt; “Das Kandidatinnenturnier der Frauen beginnt… Weiterlesen »

Raymund Stolze
Raymund Stolze
4 Jahre zuvor

Ehrlich gesagt, empfinde ich diesen Beitrag sehr oberflächlich. Dabei wäre der Rücktritt von Elisabeth Pähtz ein echter Anlass, endlich ernsthaft über den DSB und seine Wahrnehmung in der Öffentlichkeit nachzudenken. Fakt ist doch, dass kein Schach spielender deutscher Profi soviel mediale Aufmerksamkeit hierzulande erhalten hat wie Elisabeth Pähtz. Erinnert sei nur an ihren Auftritt bei RTL im Jahre 1999 , wo sie „die Frau im Ohr“ von Hape Kerkeling war, der sich als iranischer Schachspieler ausgab und simultan gegen die Schachabteilung des FC Bayern München spielte! Im Internet hat das Video inzwischen 1.653.399 Aufrufe verbucht (Link: https://www.youtube.com/watch?v=eDwXAx79KtQ ). Im SPIEGEL-SPECIAL-Ausgabe… Weiterlesen »

Torsten Tamm
Torsten Tamm
4 Jahre zuvor

Wenn eine Frau eine Elo von 2700 aufwärts hätte, oder auch 2600 aufwärts, würde sie soviel bekommen, wie ein Mann, weil sie in der offenen Nationalmannschaft spielen würde.

trackback

[…] abschauen. Ein Vorschlag für Anreize für Profis war neulich an dieser Stelle im Zusammenhang mit Elisabeth Pähtz‘ Rücktritt zu lesen: Anstatt das Geld mit der Gießkanne gleichermaßen über allen Spielern zu verteilen, […]

Uwe Heilmann
Uwe Heilmann
4 Jahre zuvor

Aus vielen Äußerungen anlässlich des Rücktritts von Elisabeth Pähtz habe ich das Gefühl, dass Schachspieler nicht verstehen, dass Profisport ein Business ist und ein solches aus vielerlei Gründen nicht von einem Amateurverband organisiert werden kann. Ich will zunächst einmal weiter ausholen und auf die Anfänge des professionellen Sports im 19. Jahrhundert verweisen, wobei ich hier nicht ins Detail gehen kann. Es waren in der Regel Geschäftsleute, die die Möglichkeit ansahen, Sportveranstaltungen zu organisieren, Eintrittsgelder zu erhalten, davon eigens engagierte Sportler zu bezahlen und Gewinn zu machen. Das war für Jahrzehnte das Grundprinzip. Es gab für den Sport ein Publikum, das… Weiterlesen »

trackback

[…] und eine Alternative vorgeschlagen, die war nicht so gut weil viel zu kompliziert. Weil sich der Beitrag von vor einem halben Jahr trotzdem hartnäckig unter den meistgelesenen Texten auf dieser Seite […]