Gipfelmanifest (II): Worum es bei der Präsidentenwahl wirklich geht

Am Wochenende wird ein Präsident gewählt. Es trifft Team Krause auf Team Pfenning. Beide Seiten haben ihr Programm vorgelegt. Leider repräsentieren die Programme kaum eine Entscheidungsgrundlage für die seit Wochen umworbenen Wähler.

Der Wahlkampf kreiste um zwei, drei Themenkomplexe. Nicht das Wahlprogramm, sondern die Tendenz der Delegierten in diesen Angelegenheiten wird die Wahl entscheiden.

Der Fall Jordan

Natürlich. In dieser Schlacht ist die Hauptkampflinie klar markiert.

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Team Krause sagt, dass sie den Dresdner Schachverkäufer aufgrund der Schwere des Vergehens natürlich belangen mussten, dass sie obendrein nicht einmal eine Wahl hatten, um sich nicht selbst strafbar zu machen. 

Team Pfenning fürchtet ein langes, teures Verfahren, das schlecht für den DSB ausgehen könnte, und hätte lieber das Friedensangebot Jordans angenommen. Wie viel Geld aus Dresden an den DSB geflossen wäre, um die Sache per Vergleich sofort zu beenden, darüber schwanken die Angaben. Von Team Krause hören wir eher 80.000, von Team Pfenning bis zu 100.000 Euro.

In dieser Angelegenheit dürfte Team Krause eine Mehrheit auf seiner Seite haben, wenngleich keine stabile. Aber Ullrich Krause kann Zweifler ganz einfach auf die Perspektive verweisen, dass ein DSB-Präsident Pfenning zugleich Entlastungszeuge des Angeklagten wäre wie Chef des klagenden Verbandes, eine unmögliche Position. Dass im Krause-Lager nun trotzdem die Angst umgeht, diese Wahl könne knapp werden, womöglich verloren gehen, liegt am anderen, seit Monaten schwelenden Komplex. Und in dem wiederum kann Uwe Pfenning Krause ganz einfach schlecht aussehen lassen. 

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Artur und die Eierköpfe: Während DSB-Präsident Ullrich Krause in seinen zwei bisherigen Jahren in erster Linie damit beschäftigt war, die Kirmesbude aufzuräumen, die ihm seine Vorgänger hinterlassen haben, musste sein Geschäftsführer Marcus Fenner einen erheblichen Teil seiner Arbeitskraft darin investieren, eine neue Deutsche Amateurmeisterschaft aus dem Boden zu stampfen. Dort treffen die Amateure jetzt auf Gesichter des deutschen Schachs, das von Artur Jussupow zum Beispiel, der ihnen freundlich erklärt, was für einen Mist sie sich zusammenspielen. Den rechtlichen Streit um die Marke “Amateurmeisterschaft” hat der DSB derweil gegen Dirk Jordan gewonnen. (Foto: Schachbund) 

Der Fall Schachjugend

Die Deutsche Schachjugend hat seit Ende 2018 nur noch 1,5 hautpamtliche Stellen statt wie bisher 2. Fördergeld, um die etablierte Stellensituation wieder herzustellen, stünde bereit. Der Schachbund will das Geld nicht haben (eine fünfstellige Summe), verweigert die halbe Stelle und verweist auf rechtliche Gründe (eine Nebelkerze wahrscheinlich), potenziell zu hohe Personalkosten und fehlende Transparenz der DSJ-Finanzen. Außerdem schwebt Krause in seiner Geschäftsstelle eine Pool-Lösung statt einer Trennung vor: ein Team von Mitarbeitern für das Schach, auf die die DSJ bei Bedarf zugreifen kann.

Diese Angelegenheit im Detail aufzuarbeiten, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Viele Details finden sich im Antrag von Malte Ibs (ab Seite 218), den zu stellen er sich genötigt sah, als klar war, dass es bei 1,5 Stellen für die DSJ bleiben soll.

Den Part Transparenz und Personalkosten (wegen derer der DSB traditionell im Clinch mit seinen Landesverbänden liegt) im Detail aufzuarbeiten, wäre hier außerdem fehl am Platze. Nur so viel: Die Stellensituationen beim DSB und der DSJ beeinflussen einander in erheblichem Maße. Sie sind aber beiderseits ungeklärt und ungewiss, es geht um Menschen, ihre Arbeitsplätze, ihre Gesundheit, ihre Arbeitsverträge, ihre Integrität sogar und nicht zuletzt darum, wie gut oder nicht gut diese Menschen ihren Job machen.

Darum sollte diese Angelegenheit nicht öffentlich debattiert werden und auch nicht beim DSB-Kongress, sondern so: Die Herren Krause und Ibs werden bei Wasser und Brot in eine Kemenate gesperrt, und sie dürfen erst wieder herauskommen, wenn eine Lösung gefunden ist, mit der beide leben können. Am besten wäre das vor einem halben Jahr passiert.

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Malte Ibs (l.) und Ullrich Krause (r.) könnten das hanseatische Power-Paar des deutschen Schachs sein. Aber 2019 glich ihre Geschichte eher der der zwei Königskinder. (Foto: ChessBase)

Immerhin erreichen uns jetzt Signale, dass die beiden sich wieder annähern, aber die Chance, die Angelegenheit vor dem Kongress vom Tisch zu bekommen, ist vertan. Ibs wusste sich nicht anders zu helfen als mit einem Kongressantrag, die Sache wurde Wahlkampfthema, und da hat sich Team Krause die schwer vermittelbare Position eingehandelt: Geld wäre da, aber sie wollen es nicht. Team Pfenning wäre schlecht beraten, würde es darauf nicht genüsslich herumreiten, und Team Krause tut sich schwer, die andere Seite der Medaille zu zeigen, weil weite Teile davon die Öffentlichkeit nichts angehen.

Lähmung für das deutsche Schach

Allemal gehört in die Öffentlichkeit, dass diese Angelegenheit das deutsche Schach seit Monaten lähmt. In der Geschäftsstelle ist die Stimmung latent schlecht, speziell die zwischen den beiden dort arbeitenden Geschäftsführern, das haben wir so oft und von so vielen verschiedenen Leuten gehört, dass wir es als Fakt darstellen können, ohne diese Geschäftsstelle jemals betreten und mit zumindest einem dieser Geschäftsführer jemals gesprochen zu haben.

Die Schachjugend hat speziell an ihrer Spitze an Elan und Tatkraft eingebüßt, weil sie mehr mit Personalfragen als mit Schach beschäftigt ist. Und zwischen den beiden Präsidenten, einst als hanseatisches Power-Paar angetreten, ist die Stimmung mindestens angespannt, seitdem besagte Elefanten im Raum stehen. 

Dass wir am Bodensee eher für Krause sind, hat den einfachen Grund, dass er ein bisschen mehr nach Schach und ein bisschen weniger nach Bürokratie riecht als Pfenning. Ein pragmatischer Grund kommt noch dazu. Die bisherigen zwei Jahre waren derart bestimmt davon, den Sumpf die Baustelle die Kirmesbude aufzuräumen, die ihm seine Vorgänger hinterlassen haben, dass Krause kaum Kapazität für anderes blieb (und Urlaubstage auch nicht, die hat er alle dem Schachbund geschenkt). Zwei weitere Jahre hat er verdient, um zumindest ein paar weitere seiner Ideen umzusetzen, denn seine zentrale und jetzt umgesetzte Idee ist in mancherlei Hinsicht ein Volltreffer: der Gipfel.

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Wenn aus zwei Baustellen eine würde, würde das die Aufräumarbeiten vereinfachen. Aber dafür muss die Mauer weg, die DSJ und DSB trennt. (Foto: Schachbund)

Wir predigen an dieser Stelle seit Monaten, dass Schach ein Gesicht braucht, weil ein solches dem Spitzen- wie dem Breitenschach gleichermaßen dienen würde. Mit dem Gipfel gibt es nun (abseits des privat organisierten Grenke-Opens) erstmals eine Großveranstaltung, bei der Vertreter beider Disziplinen Teil eines großen Ganzen sind: die Gesichter des deutschen Schachs sind da und diejenigen, die zu ihnen aufschauen, ihnen nacheifern auch. Außerdem hat der DSB nun erstmals ein wirtschaftliches Pfund, mit dem er wuchern kann, eine Großveranstaltung mit so vielen Besuchern, dass potenziell ausrichtende Städte sich die Finger danach lecken, sie zu bekommen.

Bonbons für kleine Könige:
Zentralisieren oder Länder stärken?

Der Gipfel repräsentiert auch eine umstrittene, für die Wahl relevante Tendenz: Zentralisierung. Die gefällt einigen Vertretern aus dem Referenten- und Zuständigkeitendickicht des DSB gar nicht. Was vorher als separate Kleinveranstaltung ihr Hoheitsgebiet war, wird nun einer Großveranstaltung einverleibt, und das kostet Macht und Entscheidungshoheit. Aus kleinen Königen werden Bauern.

Pfennings Programm enthält das eine oder andere Bonbon, das solche kleinen Könige locken soll. Nach Vorstellung seines Teams sollen Referenten und Vertreter von Landesverbänden künftig mehr Gelegenheit haben, ihre Vorstellungen beim Präsidium einzubringen und mit ihm abzustimmen. Er stellt gar eine DSAM-Veranstaltung in jedem der 17 Landesverbände in Aussicht (17 Turniere pro Jahr? LOL). Dieses Vorhaben sollen die Vertreter der Landesverbände beim Bundeskongress mit Freude zur Kenntnis nehmen – und für Pfenning stimmen, um sich zum Beispiel eines dieser 17 Bonbons zu sichern.   

Auch solche offensichtlichen Lockmittel stimmen den Schreiber dieser Zeilen eher für Krause. Aber nicht bedingungs- und endlos.

Gipfel, Supersache, jetzt muss mehr kommen.

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Wie Uwe Pfenning (DWZ 1793) während der Wahlkampfpartie um die DSB-Präsidentschaft einen schmerzhaften Oktopus im Lager von Ullrich Krause (DWZ 2172) eingepflanzt hat, das ist aller Ehren Wert. (Foto: Faszination Schach)

Einige der jüngeren Entwicklungen geben aber Anlass zum Stirnrunzeln. Die DSJ-Problematik hat Krause zu lange gären lassen. Akut schadet sie dem Schach in erheblichem Maße, und im Wahlkampf öffnete sie dem anderen Team eine willkommene Flanke. Wäre der Wahlkampf eine Schachpartie, dann hätte Team Krause Team Pfenning erlaubt, im eigenen Lager dauerhaft einen Oktopus einzupflanzen. Aua. Dafür muss es eine bessere Lösung gegeben haben. Oder anders: So darf sich ein FM nicht von einem 1700er vorführen lassen.

Sponsoren: die üblichen Verdächtigen

Die German Masters, bei denen sich die besten deutschen Spieler und Spielerinnen miteinander messen, haben noch Experiment-Status. Nur wenn sie sich dauerhaft finanzieren lassen, werden sie zu einer Dauereinrichtung, und dann, endlich, könnte der DSB seine Turnierordnung dahingehend ändern, dass der Titel “Deutscher Meister” beim stärksten deutschen Turnier unter den stärksten deutschen Spielern ausgespielt wird.

Nun sehen wir mit Besorgnis, dass es zwar einen Sponsor gibt, aber den üblichen Verdächtigen, den Energieparkentwickler UKA, seines Zeichens Hauptsponsor der Nationalmannschaft und seit Jahren einziger dem DSB verbundener großer Sponsor (wenn wir mal den Dauerbrenner ChessBase außen vor lassen. Dessen fehlgeleitete Zurückhaltung in Sachen DSB beleuchten wir in Teil III). Sollte nicht der Schachbund so eine Abhängigkeit mit aller Macht abzuschaffen versuchen, so wie jedes Unternehmen danach trachtet, ja nicht in Abhängigkeit von einem Auftraggeber zu geraten?

Vielleicht ist ja demnächst kein Schachspieler mehr UKA-Geschäftsführer, oder Windkraftanlagen auf dem Festland geraten in Misskredit, weil sie so viele Insekten und Vögel aus der Luft fegen. Wäre gut, dann eine Alternative an der Hand zu haben, anstatt mit leeren Händen und ohne Plan B (und ohne Masters) dazustehen.

Ganz oben auf der Agenda sollte die Suche nach einem neuen Großsponsor stehen, der die Masters-Turniere dauerhaft unterstützt. Dass bisher kein Antrag, die Turnierordnung zu ändern, publik geworden ist, spricht eher dafür, dass sich der DSB nicht sicher ist, diese Sache durchziehen zu können. Sicherheit wird nur ein neuer, starker Partner geben. Bis dahin bleibt es beim schwer vermittelbaren Umstand, dass der deutsche Meister nicht beim stärksten deutschen Turnier gekürt wird.

Könnte das nicht ganz schnell gehen? Mit Ossi Weiner hat der DSB einen Terrier in seinen Reihen, der Mittel einwerben kann, und den der DSB nun auf große Geldgeber loslassen könnte. Klar, bei jedem potenziellen Sponsor besteht die Gefahr, dass er vor seinem Portemonnaie erst das Ungetüm DSB-Website öffnet und es sich dann anders überlegt, aber niemand kann darauf warten, dass endlich diese Kuh vom Eis ist (mehr dazu in Teil III). Beim Schachbund ist schon der Weg bis zum Erkennen einer Notwendigkeit quälend lang, und bis zur daraus folgenden Handlung vergeht dann noch einmal eine Ewigkeit.

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Einst überzog Ossi Weiner die Welt mit Schachcomputern. Heute ist er in erster Linie im Ruhestand, in zweiter Geschäftsführer der Wirtschaftsdienst GmbH des Schachbunds und in dritter für Mittelakquise beim DSB zuständig. Vielleicht bittet ihn mal jemand, die zuvor genannte Reihenfolge im Sinne des Schachs zu überdenken?! (Foto: topschach.de)

Eine zentrale Veranstaltung wie den Gipfel, gut besucht und sportlich attraktiv, gab es noch nie. Da müsste sich doch etwas machen lassen, zum Beispiel unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die noch dreistellige und potenziell vierstellige Zahl der Teilnehmer irgendwie anreisen muss. Idealerweise mit der Bahn, deren Vorstandsvorsitzender zufällig Schach spielt.

Ist dort schon jemand vorstellig geworden? 

Wird fortgesetzt. In Teil III: Der Schachbund online – ein Ungetüm und seine Wüsten.

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Peter
Peter
5 Jahre zuvor

Hat die verlinkte Kongressbroschüre mal jemand Korrektur gelesen? Die Jugend -Mannschaftseuropameisterschaft fand in der Landessportschule Bad Blankenburg und nicht etwa in der “Landessportschule Brandenburg” statt (wie fälschlicherweise im Protokoll vom DSB-Hauptausschuss 01.12.2018 in Eisenach vermeldet)

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[…] Wer Leute in die eine oder andere Richtung steuern will, der muss Anreize schaffen. Und genau das würde der Schachbund tun müssen, um sein Wachstum aktiv zu gestalten. Anreize für Ehrenamtler, Besonderes zu bewegen, für Vereine, für Spieler, insbesondere für Profis. Und er muss klar kommunizieren, was er tut, in welche Richtung er steuert und allen Beteiligten Hilfe anbieten, auch da: insbesondere den Profis/Zugpferden (mehr dazu findet sich bereits in Teil II dieser Serie). […]

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[…] (Wird fortgesetzt. In Teil II: Worum es bei der Präsidentenwahl wirklich geht.) […]