“Baby, soll ich Dir meinen Drachen zeigen?”: eine Dating-App für Schachspieler

Mit einer Dating-App für Schachspieler und einer Reihe anzüglicher Anspielungen flankiert WM-Organisator Agon das WM-Match zwischen Magnus Carlsen und Fabiano Caruana, das im November in London beginnt. “Mates” heißt die App, die Schachspieler auf der Suche nach einem Partner zusammenführen soll. Wer nach dem Zuschauen bei der WM selbst noch ein bisschen spielen will, der soll per “Mates” Gleichgesinnte finden.

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Die wesentliche Gemeinsamkeit zwischen Schach und Sex besteht darin, dass sich beides vor allem im Kopf abspielt. Aber in den Köpfen der Agon- und Pure-Chefs tauchte dieser Gedanke nicht auf, als sie jetzt umständlich erklärten, warum Schach eine Partnerschaft mit einer Sex-App eingeht. Sie hätten vielleicht die wunderbare Jovanka Houska hinzuziehen sollen. Deren Schach-Roman “The Mating Game” (Buchempfehlung! Weihnachten!) ist ganz schön sexy, lustig noch dazu und voll mit Schachspielern.

Schach soll sexyer werden. Diese Agon-Agenda schimmerte schon durch, als die Vermarktungsfirma Ende 2017 eines der Logos für die Schach-WM 2018 präsentierte. Das Bild von den im Spiel gleichermaßen vereinigten wie verrenkten Klötzchenschiebern würde trefflich als Titelbild eines Schach-Kamasutras taugen. Jetzt legt Agon eine App obendrauf, damit Gleichgesinnte diese und andere Stellungen üben können.

Hinter all dem stehen die Bemühungen der angeschlagenen Firma, ihre Veranstaltungen zu monetarisieren. Im Laufe ihrer anhaltenden geschäftliche Erfolglosigkeit hat sie beim Schach-Weltverband FIDE einen Schuldenberg in mittlerer sechsstelliger Höhe angehäuft. Will Agon-Chef Ilya Merenzon nicht bald in die Wüste geschickt werden, muss die WM 2018 organisatorisch und finanziell ein Erfolg werden.

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Wir wären ja zu gerne mit im Raum, wenn den Managern der WM-Partner Unibet und S.T. Dupont erklärt wird, warum während des Matches die Logos ihrer Unternehmen zusammen mit einer Vagina abgebildet sein werden.

Seine Bemühungen sind nicht zu übersehen. Dieses Mal will Agon nicht wieder am ersten Tag der Veranstaltung feststellen, dass der Webcast nicht funktioniert, sondern hat die Schacholympiade als WM-Testlauf für seine neue Übertragungstechnik genutzt. Die ersten Sponsoren sind auch schon mit im Boot. Allen voran Wettanbieter Unibet, ein Branchenriese, der anlässlich eines WM-Matches im Land der Sportwetten nun sein Geschäft mit dem Schach forciert. Zuletzt kam der französische Luxus-Accessoire-Hersteller S.T. Dupont dazu und präsentierte sogleich den offiziellen WM-Stift, ein edles Schreibgerät, das etwa so viel kostet, wie eine Escortagentur der gehobenen Kategorie für eine nächtliche Begleitung abrechnet.

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Ganz neu ist die Idee “Schach-Dating” nicht. Das britische Satire-Schachmagazin “Kingpin” hat schon vor Jahren damit gespielt. Ob die Telefonnummer von GM Keith Arkell noch aktuell ist, wissen wir leider nicht. Wer dringend mal über ungleichfarbige Läufer sprechen möchte, findet auch hier schnell Hilfe.

Mit hochgezogenen Augenbrauen werden die Dupont- und Unibet-Verantwortlichen das Logo des neuen WM-Partners “GetPure” aus Russland betrachten – eine Vagina, die für die schönere  Hälfte des Geschäftsfelds dieses Unternehmens steht. Dessen App “Pure” dient einzig dem Zweck, Menschen schnell und unkompliziert zum Austausch von Körperflüssigkeiten zusammenzuführen. Bei “Pure” reicht ein flotter Spruch, eventuell ein Foto dazu, dann findet die App Gleichgesinnte in der Nähe, und fortan geht es einzig um die Frage “Bei Dir, bei mir oder lieber ganz woanders?”.

Merenzon und GetPure-Gründer Roman Sidorenko haben sich jetzt bei ihren verbalen Klimmzügen fast so sehr verrenkt wie die Gestalten auf dem WM-Logo, um die Gemeinsamkeiten von Schach und Sex zu erklären. Sie hätten ja schlicht sagen können, dass sich beides vor allem im Kopf abspielt, aber darauf sind sie nicht gekommen. Beides sei voller Leidenschaft, Spannung und Aufregung, sagten sie stattdessen. “Außerdem will weder beim Schach noch beim Sex jemand lange darauf warten, dass der andere seinen Zug macht”, erklärte Sidorenko. Merenzon freut sich, wie unanständig auch das Design der Schach-App “Mates” daherkommt.

Über das Design dürften Agon und GetPure zueinander gefunden haben. Beide haben die Moskauer Agentur “Shuka” verpflichtet, um ihren Geschäften ein Gesicht zu geben – ein Coup laut Merenzon. Wenn der Agon-Chef Kritik hört, weil es so oft hakt in seinem Schachbetrieb, dann verweist er stets als erstes darauf, dass aber doch das Design toll ist, eben weil diese preisgekrönte Agentur dafür sorgt, dass jeder Mist, den Agon macht, zumindest gut aussieht.

Mit einem Klick von der Schach-App zur Sex-App

Der Schach-Dating-App “Mates” haben die Shuka-Designer eine Fetisch-Optik mit Schachanleihen verpasst. Ansonsten ist sie eine Kopie von “Pure”, nur dass es statt Sex eben um Schach geht. Schachpartner finden die Benutzer sogar gratis, während die Partnersuche bei “Pure” nach den ersten Gratis-Versuchen Geld kostet.

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Beim Test der “Mates”-App fanden wir leider nur einen potenziellen Spielpartner in der Nähe, und das war ein Hund. Ansonsten: 100 Prozent Männerüberschuss.

Zum Geschäftsmodell, das hinter der Partnerschaft Agon/GetPure steht, haben sich beide Unternehmen nicht geäußert. Es dürfte auf dem Link zwischen der Schach-App und der Sex-App beruhen. Sobald nämlich der “Mates”-Benutzer der Suche nach Schachpartnern überdrüssig ist und nun richtig zur Sache kommen will, gelangt er mit einem Klick zu “Pure”. Von den Abos, die liebeshungrige Schachspieler dort abschließen, wird neben GetPure wahrscheinlich auch Schach-Organisator Agon profitieren.

Jedem Anwender empfehlen wir, sich vor dem Anbandeln ein Erfolg versprechendes Eröffnungsrepertoire zurechtzulegen. Insbesondere für Männer auf der Suche nach dem anderen Geschlecht muss in einem Sport mit zehn Prozent Frauenanteil der erste Spruch sitzen. “Baby, soll ich Dir meinen Drachen zeigen?”, sollte für 1…c5-Spieler funktionieren. Per “Ich besorg’ es Dir Grob” stellt die 1.g4-Spielerin sogleich Authentizität her, muss aber hoffen, mit diesem Ansinnen an einen Ben-Oni (Sohn des Leids) zu geraten. Langsame Slawen zum Beispiel mögen es ja eher sanft und fühlen sich von der groben Gangart leicht abgeschreckt.

In Ermangelung eines Schachpartners am Dienstagabend haben wir “Mates” natürlich sofort ausprobiert – und einen erheblichen Männerüberschuss registriert. Zu allem Unglück waren all die spielwilligen Herren auch noch mehrere hundert Kilometer entfernt. Nur einen Treffer in gerade noch akzeptablen 113 Kilometern Entfernung haben wir gelandet – weder Mann, noch Frau, sondern ein Schäferhund, der Schach spielen wollte. Ob es sich um einen Rüden oder eine Hündin handelte, ließ sich nicht feststellen, weil “Mates” nicht zwischen Geschlechtern unterscheidet.

Gens una sumus.

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[…] Carlsen soll sich unlängst von seiner Freundin getrennt haben. Zum Glück gibt es jetzt eine Dating-App für Schachspieler. Da müsste er nur dieses Sixpack-Bild reinstellen und würde fortan die meisten Wettbewerber nicht […]

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[…] man ja immerhin noch die auf der Bodensee-Plattform bereits an anderer Stelle näher beleuchtete Schachspieler-Dating-App zur Verfügung. Ob sich dort tatsächlich jemals ein Paar gefunden hat und längerfristig […]

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