Vor 24 Stunden wären wir ja mit einem Unentschieden gegen Frankreich in der neunten Runde der Schacholympiade sehr einverstanden gewesen. Heute bedarf es keiner Betrachtung durch die schwarz-rot-goldene Brille, um festzustellen, dass die Franzosen glücklich und mit einem tiefblauen Auge davongekommen sind. Auch über ein 0,5:3,5 gegen Allemagne hätten sie sich nicht beschweren können.
Donnerstag gegen Vietnam
Stattdessen hieß es am Ende 2:2, und Deutschland steht mit nun 14:4 Punkten immer noch prima da, zwei Punkte hinter den führenden Polen und einen hinter deren vier Verfolgern. In der zehnten und vorletzten Runde kommen nun die an eins und zwei exzellent besetzten und dahinter nicht so starken Vietnamesen auf das deutsche Team zu – eine klassische Aufgabe aus der Abteilung “vorne halten, hinten punkten”.
Gegen den klaren Favoriten Frankreich deutete sich schon nach zehn Minuten an, dass es ein guter Tag werden könnte. Christian Bauer war in seiner Spezialvariante gegen Caro-Kann in die Vorbereitung Rasmus Svanes gelaufen und stand schlicht und ergreifend sehr früh sehr schlecht. Bei gegenseitigen Rochaden würde Schwarz fröhlich gegen den weißen König rollen können, und Weiß bliebe nur zu hoffen, dass er irgendwie überlebt. Gegenspiel war nicht in Sicht.
Natürlich richtete sich der bange Blick des Beobachters immer wieder ans erste Brett, wo Monsieur Vachier-Lagrave Nisipeanu seinen Najdorf-Sizlianer vorsetzte. Das Geschehen war für Normalsterbliche schwer durchschaubar, und die Liebe der Maschine für die weiße Stellung (“plus 1”) kaum Indikator. Zu oft haben wir MVL schon durch Najdorf-Verwicklungen manövrieren sehen, die der Computer für bedenklich hält, und am Ende erwies sich das Konzept des Franzosen eben doch als stichhaltig.
Plötzlich standen sie an vier Brettern besser
Aber dann verzog sich nach und nach der Pulverdampf, die Angelegenheit bekam Struktur – und es sah immer noch gut für Nisipeanu aus, während Svane weiterhin den König seines Gegenspielers anvisierte. Da waren sie dann schon zu zweit in greifbarer Nähe jeweils eines vollen Punktes. Und Daniel Fridman spielte ja auch noch.
Der tat sich in einer Abtauschvariante des Damengambits (diesmal mit Weiß) zunächst schwer, aber das erging Laurent Fressinet auf der anderen Seite des Brettes nicht anders. Schwarz mag sich ein wenig zu viel des planlosen Manövrierens erlaubt haben, denn mit einem Mal baute Fridman Druck am Damenflügel auf und hatte nun auch Vorteil. Als wenig später der Moment des entscheidenden Durchbruchs im Zentrum gekommen sah, entging dieser Moment Fridman nicht, so dass auch der deutsche Topscorer einem vollen Punkt entgegenzusegeln schien.
Und Matthias Blübaum? Sogar der stand besser, der Vierte im Bunde. Blübaum hatte mit Schwarz am zweiten Brett früh ausgeglichen, wunderbare Felder für seine Springer gefunden, die das gegnerische Läuferpaar sicher im Zaum hielten. Schließlich fiel beim Weißen sogar ein Bauer um, was zu einem 4-gegen-3-Endspiel auf einem Flügel führte, allerdings mit ungleichfarbigen Läufern. Blübaum drückte und knetete pflichtgemäß, aber da war trotz Vorteil nicht mehr drin als ein Remis. Immerhin eines aus der Position der Stärke mit Schwarz gegen 2.700-GM Etienne Bacrot.
Zeitnot: Svanes Partie drehte sich ganz, Fridmans halb
Dann die Zeitnot. Eigentlich verwaltete Rasmus Svane ja sogar einen feinen Zeitvorsprung, aber der floss mehr und mehr dahin – ebenso wie sein Angriff gegen den weißen König. Bauer stabilisierte die Bastion seines Monarchen, Svane spürte, dass ihm die Angelegenheit entglitt, und dann ging sie auch sofort den Bach runter. Sieg für Frankreich in einer Partie, die sich komplett gedreht hatte.
Ähnlich Daniel Fridman. Der gebürtige Lette war ja wieder nahe am Gewinn, aber die Stellung des Gegners noch nicht so schlecht, dass es auf Deutscher Seite nicht noch ein wenig Präzision erfordert hätte, um den Sack zuzumachen. Mit sechs Minuten für die letzten zehn Züge konnte Fridman derart präzises Spiel nicht leisten. Wenigstens entglitt ihm die Partie nicht komplett, nachdem sich Schwarz konsolidiert hatte, remis.
So würde Liviu Dieter Nisipeanu am ersten Brett den fünften der Weltrangliste schlagen müssen, um diesen an den anderen Brettern so hoffnungsvoll begonnenen und nun verkorksten Vergleich zumindest ins Unentschieden zu retten. Und das tat er. Auf der ganzen Breite des Brettes schnürte Nisipeanu den Franzosen ein, ließ in Zeitnot nichts einbrennen und steuerte danach ein gewonnenes Damenendspiel mit zwei Mehrbauen an. Vachier-Lagrave ließ sich das nicht mehr zeigen.
Von wegen Beton-Dieter. Killer-Dieter träfe es nach dieser Vorstellung eher.
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