Nigel Short war Anfang Mai als FIDE-Präsidentschaftskandidat angetreten, damit zumindest ein unabhängiger, genuin und in allererster Linie dem Schach verpflichteter Kandidat zur Wahl steht. Jemand, der frei ist von Machtgezerre, Pöstchen- und Geldschieberei und ausschließlich dem Spiel zur Blüte verhelfen will. Würden Schachspieler und nicht graue Herren den FIDE-Präsidenten wählen, Nigel Short würde natürlich gewinnen.
Drei Monate lang hat Nigel Short durchgehalten, sich glaubhaft als einziger am Wohlergehen des Schachs interessierter Kandidat präsentiert und sich sogar die Unterstützung manch großer Föderation gesichert. Am Ende des dritten Monats zeichnete sich eine erste Nähe zu seinem Konkurrenten Arkadij Dworkowitsch ab. Die kulminierte jetzt in einem öffentlichen Händedruck, kombiniert mit einem Tweet, der mit dem Wort “united” (vereinigt) begann. Nigel Short ist kein unabhängiger Kandidat mehr.
Die Frage, ob er nun dennoch kandidiert oder sich gleich dem Dworkowitsch-Team anschließt, lässt er offen, sagt nur so viel: “United” mit Dworkowitsch fühle er sich bestens, denn der sei nicht Makropoulos.
In der Tat hat sich Georgios Makropoulos längst als allein an Machterhalt und -gewinn interessierter Funktionär offenbart. Als Kirsan Iljumschinow noch präsent war, konnte sich der Grieche halbwegs glaubhaft als Kandidat des Übergangs inszenieren und einen gewichtigen Grund formulieren, warum er gewählt werden sollte: damit Iljumschinow verschwindet. Als der vorzeitig verschwand, wäre für einen authentischen Kandidaten des Übergangs der logische Schritt gewesen, sich nun selbst in den Ruhestand zurückzuziehen.
Das Gegenteil geschah. Makropoulos begann mit aller Macht ober- und unterhalb der Gürtellinie eine Wahlkampagne, gespickt mit Desinformation und Deskreditierung aller Beteiligten auf den Gegenseiten – die mit den gleichen Mitteln antworteten. Dieses noch laufende widerliche Schauspiel wird auf dieser Seite nicht dokumentiert (hier soll es in erster Linie ums Schach gehen, nicht darum, wer mehr Dreck am stecken hat), lässt sich aber täglich auf Twitter verfolgen.
Die traurige Rolle des Deutschen Schachbunds
Im Falle des Deutschen Schachbunds gilt, dass man gar nicht mit Dreck um sich werfen muss, um doch eine traurige Rolle zu spielen – und das seit Jahrzehnten. Seit dem Amtsantritt des damaligen FIDE-Präsidenten Florencio Campomanes 1982 degeneriert die FIDE zu einem innerlich zefressenen, fremdgesteuerten und außerhalb der Schachszene nicht vorzeigbaren Moloch. Freunde des Schachs ertragen das nicht, und wer eine öffentliche Stimme hat, der erhebt sie, prangert Missstände an und bezieht Position. Sollte man meinen.
Der Deutsche Schachbund könnte sich ein Beispiel unter anderem am US-amerikanischen nehmen, macht aber traditionell – nichts. Seit 1982 vergeht mit jedem Tag eine neue Chance, die Stimme zu erheben. Position beziehen bedeutet in Berlin aktuell, stillschweigend und mutmaßlich entgegen der Präferenz der 90.000 zahlenden Mitglieder Makropoulos den Segen zu erteilen. Welche Motive den Schachbund zuvorderst antreiben, Pöstchen, Pöstchen, hat der Journalist Stefan Löffler unlängst in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung herausgearbeitet (siehe auch rechts).
Wahrscheinlich spielt aus deutscher Sicht auch eine Rolle, den Ex-Präsidenten Herbert Bastian in einer FIDE-Geschichtskommission von seinem Hobby okkupiert zu wissen, so dass er der aktuellen, noch nicht fest im Sattel sitzenden nationalen Führung nicht dazwischenfunken kann. Das föderal organisierte deutsche Schach mit seinen Landesfürsten und deren Entourage hat auch so eine Menge Baustellen. Hier ein Verband in Auflösung (Sachsen), dort einer in Fundamentalopposition (Baden), und das ist nur, was sich uns nach einem oberflächlichen Blick offenbart hat (wir interessieren uns ja eigentlich für Schach, siehe oben). “Gens una fucking sumus”, würde Nigel Short dazu sagen.
Short unter Beschuss nach dem Händedruck
Da sich international Georgios Makropoulos als offensichtlich unwählbar offenbart hat, bleibt Arkadi Dworkowitsch. Dem die Hand zu reichen, hat Nigel Short unmittelbaren heftigen Beschuss von Schachfreunden eingebracht, die gehofft hatten, die FIDE würde sich mit Präsident Short von heute auf morgen in eine der Förderung des Schachsports und seiner Aktiven verpflichtete Organisation verwandeln. Stattdessen ein Händedruck mit jemandem, den viele Beobachter als von noch dunkleren Mächten angetrieben sehen als den Betonfunktionär Makropoulos.
In der Tat, hinter Dworkowitsch steht der Kreml, und den interessieren Menschenleben, Menschenrechte, Rede- und andere -freiheiten wenig. Wahrscheinlich bedarf es aber der Macht eines solchen wenig zimperlichen Apparats, um den Makropoulos-Apparat mit seinem System aus Gefälligkeiten und Abhängigkeiten auf dessen Terrain niederzuringen. Die Frage ist, ob am Ende der Schlacht unter Einsatz aller Mittel das Böse besiegt ist, oder ob hier schlicht ein neues Übel das alte zu ersetzen gedenkt.
Das international bunt besetzte Dworkowitsch-Team und die Vita seines Anführers lassen hoffen, dass unter dem ehemaligen Organisationschef der Fußball-WM eine funktionierende, professionell arbeitende internationale Sport-Organisation entstehen könnte. Über dieser Personalie steht das Interesse der russischen Politik an Einfluss im Schach – im Moment zwar das Interesse eines zwielichtigen Regimes, zugleich aber auch das Interesse des Landes mit der größten Schachkultur überhaupt. Eine zu schluckende Kröte allemal, aber schlimmer kann es eh nicht werden.
[…] versehen wir auf dieser Seite Wörter eigentlich im negativen Kontext: Beton-Islam, Beton-Funktionär. Heute ist das anders, wir feiern Beton-Dieter, an dem sich am Mittwoch hoffentlich Maxime […]