Was bedeutet beim Schach eigentlich “konkret”? (Antwort 71)

Wenn gute Schachspieler eine Position oder Variante charakterisieren, dann fällt häufig der Begriff “konkret” . Konkret sind Stellungen dann, wenn sie forcierte Zugfolgen bergen, die fast unausweichlich geschehen müssen, weil es kaum Alternativen gibt, weil Drohungen und Gegendrohungen im Spiel sind, um die sich beide Seiten zu kümmern haben.

Weniger gebräuchlich, aber logisch wäre das Gegenteil “abstrakt” . Abstrakt ist eine Stellung, wenn beiderseits viele Züge plausibel sind, wenn keine unmittelbaren taktischen Notwendigkeiten bestehen, so dass es eher um Pläne und strategische Faktoren geht.

Ein Beispiel:

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konkret.png
Weiß am Zug kommt in Vorteil.

Eine Stellung, wie sie typischerweise aus dem Angenommenen Damengambit entsteht.

Wenn Weiß hier mit einer abstrakten Denkweise herangeht, dann wird er auf Basis seines e5-Vorposten hoffen, mittelfristig einen Königsangriff zu initiieren. Auf e4 wird ein weißer Springer auftauchen sollen, um von dort entscheidend nach d6, f6 oder g5 zu springen. Seinen so wertvollen weißfeldrigen Läufer wird der Weiße unter allen Umständen auf dem Brett halten wollen, weil dieser Läufer auf der Diagonalen b1-h7 eine wichtige Rolle beim Königsangriff spielen soll. Den schwarzfeldrigen wird er gerne gegen den des Gegners tauschen wollen, um die schwarzfeldrigen Probleme des Nachziehenden zu betonen.

Alles richtige Überlegungen – und dennoch Blödsinn. Die Stellung birgt eine konkrete Lösung. Anstatt positionelle Faktoren abzuwägen, muss Weiß ein bisschen rechnen, um sie zu finden. Und dann wird er mit Freude seinen vermeintlich ach so wichtigen weißfeldrigen Läufer hergeben.

Mit 1.Lxd5 exd5 2.Sc3 kommt Weiß in Vorteil.

Versucht Schwarz 2…Lb7, folgt 3.e6! fxe6 4.Sg5, und Weiß steht riesig. Deckt der Schwarze den d5-Bauern per 2…Sb6, hat der Weiße einen weiteren (konkreten) Tempozug: 3.Lg5. Nun sieht 3…Dd7 überaus hässlich aus für Schwarz, während 3…Dc7 nach 4.dxc5 nebst 5.Tc1 in konkrete Probleme läuft.

Antwort 71

Hast Du gemerkt, wie wir Dich mit Frage 71 aufs Glatteis zu führen versucht haben? Du solltest positionelle Faktoren aufzählen und herausfinden, worum es in dieser Stellung geht:

konkret2.jpg

Natürlich könnten wir hier lange über den weißen Isolani auf d4 lamentieren, wie Schwarz ihn am besten belagert, über aktive und passive Leicht- und suboptiomal aufgestellte Schwerfiguren. Ist aber alles Quatsch. Es gibt eine konkrete Lösung.

1…c5!, und Schwarz steht besser.

Dass Schwarz damit potenziell den weißen Isolani auflöst, spielt insofern eine Rolle, als Weiß nicht 2.dxc5 spielen darf. Nach 2…Sxc5 steht er sofort auf Verlust, Schwarz gewinnt Material.

Das wiederum bedeutet, dass 1…c5 mit der Drohung …Lxf3 und Gewinn des d4-Bauern daherkommt. Da Weiß nicht auf c5 schlagen darf, muss er d4 decken, zum Beispiel mit 2.Tad1. Nur wird sich Schwarz auf f3 bedienen und die Struktur des Weißen ruinieren. Die Partie mündet in ein für Schwarz sehr günstiges Endspiel.

Weiter zu Trainingsaufgabe 72

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[…] in diesem Fall greifen wird, oder ob sie verpufft. Konkrete Vorbereitung auf einen Spieler, der Konkretes gerne vermeidet (aber nicht prinzipiell, siehe Giri-Carlsen, Shamkir) – alles andere als eine […]

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[…] Die Antwort findest Du hier […]

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[…] auch, dass der Weg zum Vorteil mit Fallstricken gespickt ist. Nach 3.e2-e4 Lc8-b7 4.Lf1-d3 f7-f5 wird die Angelegenheit sehr konkret und ziemlich kompliziert. Zwar attackiert Schwarz im Sinne der Hypermodernen das Steinitzsche […]

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[…] When German U18 champion Roven Vogel crushed Indian wunderkind Karthik Thrish in Bamberg recently, he created an exemplary win that machines are not yet able to reproduce. Neither Stockfish nor other engines find Vogel’s 20.Ne6, cutting off the opponent’s queen from the kingside defense and setting up the decisive attack at the same time. The white concept is too abstract, machines like it concrete. […]

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[…] Stellung ist auch ein Beispiel dafür, dass gelegentlich konkrete Erwägungen wichtiger sind als allgemeine. Anstatt sich von Konzepten wie „Turm auf die offene Linie“ leiten zu lassen, war es […]

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[…] Definiert die Struktur: Fortan spielt Weiß mit einer 4: 2-Majorität am Königsflügel, Schwarz am Damenflügel. Nur wird sich bald die weiße Majorität als überaus mobil und bedrohlich erweisen, während die schwarze nicht in die Pötte kommt. Aber erst einmal wird es konkret. […]

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[…] den weißfeldrigen Läufer nach Möglichkeit auf dem Brett halten, aber hier verbieten es die konkreten Umstände. Schwarz wäre trotz seiner schlampigen Züge zuvor nun doch für 4…b6 richtig aufgestellt, […]